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Nr. 14

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Wie bitte? Es gibt hier einen Singletrail? Und diese Strecke existiert schon seit 2019? Davon habe ich gar nichts bemerkt?! Wie ist das möglich?

 

Pressemeldung: Der Singletrack „Nummer 14“ in Szklarska Poręba (Schreiberhau) wurde am 26. Oktober 2019 vom Bürgermeister der Stadt, Mirosław Graf, offiziell eröffnet. Die Gesamtlänge des Rundkurses beträgt 21,8 Kilometer, davon sind 14 Kilometer als einspuriger Geländetrail ausgeführt. Die Bezeichnung „Nummer 14“ leitet sich aus der Fortsetzung der Nummerierung der Rowerowa Kraina-Radrouten her.

 


Gerade erst im vergangenen Jahr 2022 hatte ich doch das Isergebirge für mich entdeckt. Sogleich nahm ich dort etliche Kilometer unter meine Fahrradreifen. Zunächst war es für mich ein „Terra Incognita“. Doch wenig später war in meinem Blog schon von den Erlebnissen im winterlichen „Sibirien“ (dem Isergebirge mit viel Schnee) zu lesen. Schließlich startete meine „Revanche im Riesengebirge“ eben hier im Isergebirge und nicht im benachbarten Karkonosze. Auch während des Sommerurlaubs 2022 blieb ich dem Landstrich treu. Ich durchstreifte mit Monsta-Bike wieder und wieder die Gegend zwischen den Smrk und der Wysoka Kopa, der Hala Izerska und dem Dorf Jizerka. (Tafelfichte CZ/ Hinterberg PL/ Große Iserwiese PL/ Klein Iser CZ). Bei all diesen Ausflügen bemerkte ich wirklich nicht, dass es hier eine geschlossene und hochattraktive Runde feinster Trails gibt? Dass ich dabei unbewusst schon auf einigen Abschnitten dieses wunderbaren Singletracks gefahren bin, darf ich gar nicht erzählen …

 

Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass ich durchaus ein paar verwitterte Wegweiser im Gelände gesehen hatte. Irgendwer muss vor Jahren das ehrgeizige Ziel gehabt haben, ein eng gesponnenes Netz feiner Mountainbike-Routen über das Isergebirge zu werfen. Die ganze Sache geriet wohl in Vergessenheit, die verbliebenen Pfade im Gelände wirken heute verwildert und nicht mehr vertrauenswürdig. Auch die wenigen überlebenden Informationstafeln und verblassten Wegmarkierungen haben nichts mehr zu verkünden. Im Laufe der Zeit wurden sie unleserlich. Ich vermute aber, mit diesem Streckensystem müssen die Zahlen unterhalb der „Nummer 14“ zu tun haben. Dazwischen sind mir die wenigen neuen 14er Markierungen kaum aufgefallen. So habe ich ihnen auch keine Beachtung geschenkt. 

 

Erst bei einer meiner vielen abendlichen Traumreisen mit dem Mauszeiger auf Mapy.cz bemerkte ich die Beschriftung „Single Track Nr. 14“. Ich stöberte ein bisschen weiter, stieß auf einige Berichte im Internet und nun war mein Plan nicht mehr zu stoppen. Die „Nummer 14“ musste schnellstens besucht werden.


Todesmutig? Tina in der "Todeskurve"
Todesmutig? Tina in der "Todeskurve"

Heute ist es soweit. Es ist ein sommerlicher Maitag und meine liebe Frau Tina und ich haben Urlaub. Wir rollen erwartungsvoll mit unseren Bikes an der „Todeskurve“ oberhalb von Szklarska Poręba los. Wir sind gespannt auf den Trail. Der lässt jedoch vorerst noch auf sich warten, denn die ersten drei Kilometer müssen wir auf autofreiem Asphalt abspulen. Dank der leichten Steigung zieht sich die kleine Überbrückungsstrecke unangenehm in die Länge, zumal meine elektrisch unterstützte Frau etwas mehr Gas gibt, als mir eigentlich lieb ist. Damit mir dieser Weg nicht zu zäh vorkommt, will ich die kurze Zwischenzeit nutzen und über die Sudetenstraße und ihre Todeskurve berichten.

 

Die „Todeskurve“ ist Teil der Droga Sudecka, der Sudetenstraße. Die Straße wurde in den 1930er Jahren geplant. Sie sollte sich als durchgehende Verbindung an der Nordflanke der Sudeten entlangziehen, also vom Isergebirge über das Riesengebirge bis hin zum Adlergebirge. Im 2. Weltkrieg wurde der Straßenbau abgebrochen. Bis dahin war die Strecke nur in Fragmenten fertiggestellt. Oft wird der Straße eine militärstrategische Bedeutung für das Deutsche Reich zugesprochen. Abgesehen davon, dass jede Straße von militärischem Wert sein kann, hätte der hohe Aufwand wohl kaum den Nutzen gerechtfertigt. Wahrscheinlicher ist, dass der Straßenbau in Zeiten der Weltwirtschaftskrise eine politische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme war, die im Nebeneffekt die Infrastruktur verbessern sollte. Zu den fertiggestellten Abschnitten gehört die Verbindung von Świeradów-Zdrój (Bad Flinsberg) nach Szklarska Poręba (Schreiberhau). Kurz vor Szklarska Poręba wird der Schwarze Berg mit seinem Felsen in einer spektakulären 180-Grad-Kurve umrundet. Ausgerechnet in dieser Kurve werden die Autofahrer durch das gewaltige Panorama auf die oft schneebedeckten Gipfel des Riesengebirges abgelenkt. Ihr Gefährt könnte schnell im Gegenverkehr oder an der Begrenzungsmauer landen! Vermutlich passierte gleich nach Eröffnung der Straße in den 1930er Jahren nur deshalb kaum etwas, weil es so wenige Autos gab. Später müssen sich verheerende Unfälle ereignet haben und inzwischen gibt es unübersehbare Warntafeln, Bremsschwellen und ein rigoroses Tempolimit. 


"Die grosse Kehre mit Schreiberhau und dem Riesengebirgskamm."      (Foto: Postkarte    Wikipedia  gemeinfrei)
"Die grosse Kehre mit Schreiberhau und dem Riesengebirgskamm." (Foto: Postkarte Wikipedia gemeinfrei)

Auf jeden Fall lohnt es sich, auf die kleine Aussichtsplattform im Mittelpunkt der Todeskurve zu klettern und den spektakulären Rundblick zu genießen. Auch wir verzichteten vor einer Viertelstunde nicht auf die grandiose Aussicht auf die Schneekoppe und ihre Kollegen. Dann ließen wir dort unser Auto auf dem Parkplatz zurück und radelten los. Das war ein schöner Auftakt für unsere heutige Tour!

 

Endlich erscheint links am Wegesrand der ersehnte Holzpfosten mit dem blauen Schild und der Nummer 14. Gleich daneben verliert sich ein schmaler Pfad im Wald. Hier beginnt der Trail! Gegenseitig bieten wir uns den Vortritt für die Strecke an, denn nebeneinander kann man auf so einem Weg nun wirklich nicht fahren. Nach kurzer Diskussion werden wir uns einig und wechseln uns von nun an mit der Führung ab. Tina legt los! Sie profitiert bei Sprints und Anstiegen zwar von der elektrischen Unterstützung, muss aber auch das deutlich schwerere Fahrrad über Stock und Stein bugsieren. Zusätzlich wurde ihr eine Packtasche aufgebrummt. Trotz dieser kleinen Handicaps meistert sie zügig alle Hindernisse und zirkelt ihr Gefährt geschickt zwischen Bäumen und Grünzeug hindurch. Ob es ihr genauso viel Spaß macht, wie mir?


Endlich geht's auf den Trail!
Endlich geht's auf den Trail!

Kurze Zeit später bin ich an der Reihe mit der Führung. Ich lasse das Monsta-Bike fliegen, dass es eine Lust ist. Die dicken Reifen absorbieren mit wohligem Grummeln die meisten Unebenheiten. Trotzdem bleiben genug davon übrig, um mich ordentlich durchzuschütteln. Dieser Waldpfad ist geschottert und mit Wurzeln und Steinen durchsetzt. Auch die größeren Hindernisse sind nicht wirklich böse. Doch sie sind unangenehm genug, dass ich stets mit dem Ausweichen beschäftigt bin.

 

„Links, rechts oder mittendurch?“ und  „Wo ist die optimale Linie?“, lauten die Fragen, die ich immer wieder blitzschnell entscheiden muss. Dass mich dabei permanent ein leichtes Gefälle anschiebt, ist nicht unangenehm. Und dank ihrer erhöhten Böschungen können die Kurven richtig mit Schmackes genommen werden! Gerade schlüpfe ich noch mit meinem Bike zwischen zwei Bäumen hindurch, da erfordert eine unübersichtliche Stelle etwas mehr Aufmerksamkeit. Steinplatten und eine enge Kurve machen die Sache trickreich, so dass Bremskraft und Gleichgewichtssinn gleichermaßen gefordert sind. Es gilt also auch hier: „Augen auf im Singletrail-Verkehr!“ Nun ja, die Stelle ist nicht wirklich dramatisch, aber nach den schnellen flüssigen Abschnitten ein Punkt, bei dem man schon einmal unfreiwillig absteigen könnte.

 

An der nächsten Weggabelung warte ich kurz auf Tina. Als sie angerollt kommt, berichtet sie mir, dass sie tatsächlich gerade an der tückischen Stelle ihr Fahrrad ablegen musste. Das Resultat ist eine Schramme am Schienenbein, eine Macke am Bremshebel und eine abgebrochene Schutzblechstrebe. Ist es nicht immer mein Reden: „Schutzbleche sind Schnickschnack“?! Dummerweise habe ich gerade heute kein Werkzeug mitgenommen, um das Malheur zu beheben. Doch zum Glück verhält sich das Schutzblech überraschend tapfer. (Tina ist auch tapfer!) Selbst wenn dem Spritzschutz gelegentliche Schleifgeräusche entfahren, erfüllt er auch mit reduzierter Befestigung seinen Dienst.

 

Weil wir ja irgendwie auch Touristen auf Sightseeing-Tour sind, weichen wir nun von unserer Nummer-14-Route ab. Nur ein paar hundert Meter von unserem Rundkurs entfernt wartet im Wald eine kleine Sehenswürdigkeit auf uns. Dazu erreichen wir auf einem ausgewaschenen Forstweg einen verlassenen Steinbruch. Der Steinbruch selbst wirkt wie eine winzige sonnige Oase tief im Wald, gefühlte Lichtjahre weit von jeglicher Zivilisation entfernt. Die eigentliche Sensation ist ein 100 Tonnen schwerer Granitquader, der an seinen Ecken auf vier menschlichen Füßen steht. Der Steinblock stammt noch aus der aktiven Zeit dieses Bergwerks. Er sollte als Rohmaterial für Skulpturen an einem Warschauer Kulturhaus dienen. Warum er dann doch hier im Steinbruch zurückgelassen wurde, weiß heute niemand mehr. Schon in den 1980er Jahren kam dem ortsansässigen Künstler Zbigniew Frączkiewicz die Idee, den Stein zu einem Kunstwerk zu machen. Im Jahr 2018 schufen mehrere Bildhauer endlich die Füße und damit konnte sich der schwere Brocken ein Stück über den Boden erheben. Heraus kam dieser überdimensionale Steintisch, oder - je nach Sichtweise - ein Granitblock auf Menschenfüßen, oder einfach nur „100 Tonnen“. (Hier ein Video von der Einweihung des Kunstwerks.)  Ich finde, es ist ein originelles Monument! Wir rasten hier kurz und sind dann schon bald wieder auf unserem Trail.


100 Tonnen.
100 Tonnen.


Der führt uns schnell zu einer Asphaltstraße, die uns gemeinsam mit einer Eisenbahnlinie auf den nächsten Kilometern begleiten wird. In der Umgebung sehen wir vor allem wieder Wald und später eine verfallene Industrieanlage. Auch sie hatte mit Sicherheit irgendetwas mit Bergbau zu tun. An dieser Ruine entdecken wir auch ein paar Männer in Kampfuniformen. Wir können uns keinen Reim darauf machen, ob es sich dabei um Krieg spielende echte Soldaten oder Soldaten spielende Freaks handelt.

 

Wie schon gesagt, fahren wir jetzt wieder eine Weile auf Asphalt. In ein paar Minuten, gleich an der nächsten größeren Kreuzung werden wir jedoch wieder auf einen Trail einbiegen. Ich muss gestehen, mir gefällt dieser Rhythmus. Wären die gesamten 22 Kilometer ausschließlich Trail, könnte der Spaß schnell in Überforderung umschlagen. Doch hier auf der autofreien Straße kann die Konzentration für eine Weile in den Leerlauf schalten, während die Beine sich endlich einmal beweisen können. Bald wird es wieder andersherum sein. Doch genau betrachtet ist diese Aussage nicht ganz richtig, denn bald müssen Geländehindernisse und gleichzeitig Höhenmeter überwunden werden. Ob das auch so einfach geht?

 

Nach einer kurzen Schotterstraße findet sich ein Hinweis auf die „Nummer 14“ und der schmale Pfad verschwindet wieder zwischen den Bäumen. Sie wirken hier deutlich kleiner und weniger dicht. Dadurch will sich das Gefühl von tiefem Wald hier nicht so recht einstellen. Dafür gibt es immer wieder Abwechslungen in Form von Waldlichtungen und kleinen Bächen, die auf hölzernen Stegen überquert werden. Ja, und es geht dabei auch aufwärts. Aber die Steigungen sind so geschickt in einem spannenden Streckenverlauf versteckt, dass ich sie gar nicht wahrnehme. Bei einer Autostraße kommen wir heraus. Hier stehen einige Häuser und auch eine Tankstelle.

 

Ich frage Tina, ob sie eine Idee hat, wo wir sind. Obwohl wir hier schon mehrmals mit dem Auto durchgefahren sind, hoffe ich insgeheim, dass sie sich nicht erinnert. Dann könnte ich sie mit einer kleinen Extratour zu einem Ort führen, an dem der Groschen sicher fallen würde. Ich habe Glück. Wir verlassen also „Nummer 14“ und fahren durch ein kleines Waldstück auf eine Freifläche mit einem Großparkplatz zu. Jetzt ist klar, wo wir sind!

Der Parkplatz und die umliegenden Gebäude gehören zum „Neuwelt-Pass“. Diese Passstraße ist eine der wenigen Möglichkeiten, im Bereich des Riesengebirges die Sudeten zu überqueren. Von hier nur ein paar Kilometer talwärts liegt schon das tschechische Harrachov (Harrachsdorf), das als westliches Tor zum Riesengebirge gilt. Der Neuwelt-Pass ist bestimmt kein besonders hübscher Ort, auch wenn hier in den letzten Jahren ein architektonisch aufwendiges Biathlon-Sportzentrum aufgebaut wurde. Andererseits finde ich, dass man sich so eine markante Wegmarke wie eine Passstraße nicht entgehen lassen sollte. Wir überqueren hier die Bahngleise und dann bringt uns ein Sandweg schnell zu unserem offiziellen Rundkurs zurück.

 

Als wir uns wieder auf schmaler Spur in den Wald verkriechen, sind wir etwa auf 900 Metern Höhe. Dort, wo uns der Wald wieder ausspucken wird, werden es ziemlich genau 1000 sein. Das bedeutet, dass wir wieder einmal aufwärts klettern müssen. Doch wer jetzt an einen freudlosen Aufstieg denkt, sozusagen als notwendiges Übel für späteren Spaß, liegt völlig falsch. Als Willkommensgruß schenkt uns unser Trail sogar eine nette kleine Abfahrt, die wir genießen, während wir im Augenwinkel zwei Gravelbiker beobachten, die auf der parallelen Straße weiter aufwärts strampeln müssen. Natürlich bleiben auch uns der Anstieg nicht erspart. Doch wieder ist er so geschickt zwischen Bäumen, Geröllsteinen und interessanten Kurven versteckt, dass er überhaupt nicht zur Last fällt. Dabei baden wir, ohne viel darüber nachzudenken, intensiv in würziger Waldluft, hören Vogelstimmen und lassen unsere Augen von einer Million Grünschattierungen berauschen. Als es schließlich doch ein wenig anstrengend wird, rollen wir schon kurz darauf auf einer Straße gleich bei einem Rastplatz aus.

 

Während Tina eine erstaunliche Menge Proviant aus der Packtasche zieht, entdecke ich zu meiner Freude eine fest installierte Fahrrad-Servicestation, deren Werkzeuge komplett und voll funktionsfähig sind!  (Wozu unser aller (EU) Steuermittel doch alles gut sind!) Das verschafft mir die Gelegenheit, Tinas lädiertes vorderes Schutzblech ganz zu demontieren. Das nun überflüssige Teil wird auf dem Gepäckträger verzurrt und bildet zusammen mit dem regulären Spritzschutz über dem Hinterrad eine Art Doppelschutzblech! „Nur echt mit dem Doppelschutzblech!“ Das ist nur ein neuer Werbespruch von vielen, den wir uns nun ausdenken, während wir unsere Brotzeit verzehren.

 

Übrigens wäre es von diesem Ort kein Beinbruch, noch einmal vom Kurs abzuweichen und einen Abstecher zur Górzystów-Hütte auf der Isergebirgs-Alm zu unternehmen. Konkret hieße „Kein Beinbruch“ 15 Extrakilometer, 240 zusätzliche Höhenmeter und einen abenteuerlichen Holzstegpfad über eine Sumpfwiese. Wir verzichten heute darauf, auch weil die Saison der leckeren Blaubeerpfannkuchen in der Chatka Górzystów wohl noch nicht begonnen hat.

 

Dafür liegt ein neues Highlight direkt vor uns, das von der offiziellen Nummer-14-Streckenführung einfach ignoriert wird. Hier in etwas mehr als 1000 Metern Höhe, also auf dem Dach des Isergebirges, befindet sich die alte Quarzmine „Stanisław“. Das ist ein gewaltiger verlassener Tagebau, der überdies die höchstgelegene Bergbauanlage Mitteleuropas sein soll. Zur Absicherung derartiger Stätten müssen in Polen ein paar rostige Warntafeln genügen. Von Zäunen, Wachdiensten und strengen Strafandrohungen gibt es keine Spur. Das eröffnet uns die Möglichkeit einer Bergwerks-Erkundungstour, die sich wirklich lohnt!


„Stanisław“ ist ein früheres Quarzbergwerk.
„Stanisław“ ist ein früheres Quarzbergwerk.

Auf groben Schotterstraßen nähern wir uns zuerst einer Ansammlung verlassener Betriebsgebäude, die mit ihren leeren Fensterhöhlen und kaputten Toren schon einmal für die richtige, also geheimnisvolle und irgendwie verbotene Stimmung sorgen. Ein paar Meter weiter und nur von wenigen Felsblöcken nachlässig bewacht kommen wir direkt an die Abbruchkante. Von hier lässt sich der Tagebau in seiner vollen Größe übersehen. Er ist fast 500 Meter lang, 100 Meter breit und ganze 6 Abbauetagen tief. Ganz tief unten hat sich ein kleiner See gebildet.  Auf den kargen Steinen sprießt überall frisches Buschwerk, das zeigt, dass die Natur dabei ist, sich dieses riesige Menschenwerk zurückzuholen. Folgt man der Blickachse durch die künstliche Talkerbe, verliert sich der Blick in der Niederschlesischen Tiefebene, die sehr weit weg und sehr tief unten erscheint. Wir kraxeln mit unseren Fahrrädern weiter hinauf zum höchsten Punkt des Geländes auf der seitlichen Flanke. Die Landkarte weist für diesen Gipfel eine Höhe von 1084 Metern aus. Von dieser Position gibt es einen neuen interessanten Blick auf das Bergwerk. Fotos aus dem Internet deuten übrigens darauf hin, dass die Mine noch vor wenigen Jahren ein wahrer (und verbotener) Abenteuerspielplatz mit verrosteten Bergwerksanlagen und zurückgelassenen LKW-Wracks war. Glaubt man den Ankündigungen eines Investors, wird es hier bald einen Hotelkomplex und einen EU-genormten Abenteuerspielplatz mit Hochseilgarten geben. Wenn es nach mir ginge, dürfte aber gern alles so bleiben, wie es jetzt ist!

 

Am meisten begeistert uns hier oben am Rand des Tagebaus die Sicht auf die Silhouette des nahen Riesengebirges. Seine Gipfel zeichnen sich für uns beinahe auf Augenhöhe vor dem strahlend blauen Himmel ab. Da der Gebirgszug kaum 10 Kilometer entfernt liegt, erscheint er zum Greifen nah. 

Irgendwann haben wir genug gesehen und brechen wieder auf. Leider können wir ja nicht mit den Fahrrädern über die Abbauterrassen des Bergwerks springen. Deshalb poltern wir auf gleichem Weg zurück hinunter zu unserem Rundkurs.



Eine kurze Verbindungsetappe bringt uns zum nächsten Singletrail. Die engen Serpentinenkurven dort erweisen sich als knifflig, aber irgendwie müssen wir auf engem Raum wieder einmal Höhe gewinnen. Bei der Felsengruppe Zawalidroga (Branntweinstein) kommen wir auf einen bequemen Fahrweg, doch schon wenige Meter weiter stehen wir vor einer neuen Entscheidung. Während sich links eine stattliche Felsengruppe erhebt, auf die man bestimmt hinaufklettern könnte, zieht der doppelspurige Weg betont steil und grob steinig aufwärts. Das ist nicht fahrbar für uns! Rechts dagegen weist die ausgewiesene Mountainbike-Strecke nach unten. Klar, wir könnten hier die vorgeplante Route nehmen, aber dann entginge uns der Wysoki Kamień (Hochstein, 1058 m) mit seinem burgartigen Gebäude. Bei diesen Aussichten erscheint die kurze Schiebestrecke akzeptabel und schon 300 Meter später radeln wir durch die Pforte der „Abendburg“.

 

Das seltsame Hauptgebäude ähnelt in Größe und Form einer kleinen Kapelle. Es ist aus groben Feldsteinen gemauert und hat romanisch aussehende Fenster mit hölzernen Fensterläden. In seinem Inneren befindet sich ein größerer Raum mit einer niedrigen massiven Holzdecke, einem großen Kachelofen und einigen Tischen und Sitzbänken. Nur sparsam dringt das Licht durch die kleinen Fenster in die Baude. Noch dunkler ist es in einer Ecke in der Nähe der Eingangstür, wo sich eine Art Verschlag befindet, in dem ein alter Mann sitzt. Er bietet offenbar ein kleines Imbisssortiment feil.

 

Obwohl das Gebäude erkennbar neu gebaut ist und sicher einiges gekostet hat, wirkt der Baudenbetrieb seltsam unbeholfen und in keiner Weise kommerziell.  Ein knappes Dutzend Wanderer, die Hälfte davon gehört zu einer Schülergruppe, verteilt sich über die Anlage. Sie tun das, was man am Ziel einer Wanderung eben so macht: Herumhängen und die Sonne sowie die Aussicht genießen! Doch auch sie stehen nicht gerade Schlange am kleinen Verkaufstisch.

 

Die Aussicht hier oben ist klasse! Noch besser wäre sie wahrscheinlich von der Plattform des Turmgebäudes. Es ist massiv aus schweren Feldsteinen erbaut und sieht mit seinem Spitzdach und dem hölzernen Wehrgang wie ein mittelalterlicher Burgturm aus. Ja, auch dieses Gebäude ist nagelneu und leider noch nicht öffentlich zugänglich.


Hier gab es niemals Ritter: Die Abendburg ist ein kompletter Neubau!
Hier gab es niemals Ritter: Die Abendburg ist ein kompletter Neubau!

Aber was hat es mit diesem merkwürdigen Gebäudeensemble auf sich? Die Geschichte dahinter klingt unglaubwürdig, ist aber wahr. Der pensionierte Lehrer Józef Gołba kaufte schon vor einem Vierteljahrhundert die Trümmerreste der früheren Baude und erfüllte sich in mühsamer Eigenarbeit den Traum von seiner eigenen „Abendburg“. Anders als man vermuten könnte, wollte er mit der Anlage weder Geld verdienen, noch erstrebte der Pädagoge ein privates Refugium mit hohem Zaun und Überwachungskamera.

 

 

Neugierig erkunden wir nun das Gelände auf dem Wysoki Kamień, erfreuen uns an der Aussicht und Tina entdeckt und fotografiert in einer Nische sogar eine einzelne Osterglocke, die sich offenbar erheblich in der Zeit geirrt hat.

 

Nach einer Weile fahren wir wieder ab, schieben über die Geröllstrecke und jetzt geht es mit uns nur noch abwärts! Der schmale Fahrradweg ist wieder einmal reizvoll und perfekt angelegt. Weil es nun steiler als bisher hinunter geht, und einige Haken in Form kniffliger Serpentinenkurven geschlagen werden wollen, ist die Fahrt etwas anspruchsvoller. Dazu kommen immer wieder Ablenkungen in Form schöner Ausblicke. Ich habe auf diesem finalen Abschnitt einen gewaltigen Spaß, während meine liebe Frau sich, glaube ich, langsam auf den baldigen „Feierabend“ freut!


Trailspaß pur!
Trailspaß pur!

Eine lange gerade Strecke diagonal zur Bergflanke bildet den Ausklang. Hier gibt es nur noch wenige Hindernisse und das Adrenalin wird langsam auf den Normalpegel abgesenkt. Unten erwartet uns der schon bekannte Asphalt, der uns in wenigen Minuten zum Ausgangspunkt zurückführt.

 

Verschwitzt und fröhlich stellen wir die Räder beiseite und fallen uns in die Arme. Wir haben den Singletrack Nummer 14 bezwungen und wir hatten beide viel Spaß dabei! Die Mountainbikeroute ist in ihrer Anlage einfach ein Meisterwerk! Die Herausforderungen sind so fein dosiert, dass weder Frust noch Langeweile aufkommt. Dabei entwickelt der Trail seinen ganz eigenen Rhythmus, den man schon fast mit einer Dramaturgie vergleichen kann. Zusätzlich lassen sich durch kurze Abstecher interessante Sehenswürdigkeiten einbinden, was allerdings nicht offiziell vorgesehen ist und etwas Ortskenntnis voraussetzt. Nicht zuletzt ergibt sich die Möglichkeit, einzelne Abschnitte dieses Fun-Trails in eine längere Radtour zu integrieren und damit einen großen Teil des Isergebirges zu erschließen. Das habe ich in der Vergangenheit sogar schon unwissentlich praktiziert.

 

Für alle, die niemals genug bekommen, bietet sich eine Kombination mit den Routen des ebenfalls hervorragenden Wegenetzes des „Singltrek pod Smrkem“ an. Dann wären wir aber locker bei dreistelligen Tageskilometern …

 

Kurz gesagt: Der „Singletrack Nummer 14“ in der Nähe von Szklarska Poręba ist eine klare Empfehlung!



Hinweis: Einige Weblinks im Text verweisen auf Websites in polnischer Sprache.

Ich empfehle, die Übersetzen-Funktion des Webbrowsers zu nutzen!

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