Was habt ihr nur gegen Packtaschen?

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(… und was gegen den guten alten Gepäckträger?)

 

In meiner Jugend bewunderte ich diese Reiseradler mit ihren bepackten Fahrrädern. Das waren lustige Mädels und Burschen, die mit ihren Bikes wohl um die halbe Welt fuhren und alles dazu Erforderliche stets dabei, also an ihrem Fahrrad, hatten.

 

Ihre Räder waren meist mehr oder weniger sportliche Herrenfahrräder, die man heute wohl als „Randonneurs“ bezeichnen würde.

 

 


Etwas später geriet ich selbst in eine Truppe, die gelegentlich längerer Ausfahrten unternahm. Ich lernte, dass das Non-Plus-Ultra für den Gepäcktransport ein solider Fahrradgepäckträger wäre, an dem die unverwüstlichen Packtaschen der Kultmarke Ortlieb hingen. Die Snobs der Gruppe hatten einen weiteren Gepäckträger an der Vordergabel, an dem zwei zusätzliche kleinere Ortliebs befestigt waren. Für Leser, die lieber die „coolen“ englischen Termini mögen: Ich rede vom traditionellen „Rack“ (Gepäckträger) und den zugehörigen „Panniers“ (Packtaschen).

 

Zurück in die alten Zeiten: Wir waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen mehr oder weniger mittelloser Studenten und unser Equipment war ebenso bunt zusammengewürfelt. Insofern stand die erwähnte Gepäcktrager/Packtaschen-Kombination in Verbindung mit einem vernünftigen Fahrrad eher für den unerreichbaren Idealzustand. Überwiegend fuhren wir mit dem, was wir eben zur Hand hatten und für nützlich hielten. Wir radelten meist auf Landstraßen, aber spätestens bei der Zufahrt zum (illegalen) Zeltplatz konnte der Untergrund auch schon einmal ruppig werden.

 

In dieser Zeit lernte ich zwei Dinge: 

 

1.  Beim Gepäck und seinem Gewicht ist weniger in jedem Fall mehr! Weil unsere Touren immer irgendwie in Rennen ausarteten, war ein Verzicht auf Gewicht strategisch von Vorteil. Zudem vermieste ein unnötig schweres Fahrrad schon damals den Fahrspaß und zwang bereits in leichtem Gelände zum Schieben. 

 

2. Die schon erwähnten, qualitativ hochwertigen Packtaschen waren und sind ihr Geld wirklich wert. Sie sind absolut wasserdicht. Sie gelten nicht nur als unzerstörbar, sie sind es auch! Das gilt selbst dann, wenn sie bei einem Sturz einmal über den Asphalt schlittern. Und sie lassen sich bombenfest am Gepäckträger fixieren. (Am Ziel kann man sie mit nur einem Griff wieder abnehmen.)

 

Gepäckträger und Packtaschen sind heute völlig uncool. Jetzt ist „Bikepacking“ angesagt! Dabei dient der Fahrradrahmen selbst als Gepäckträger, das heißt die verschiedenen Taschen werden direkt an das Bike geschnürt. Die Minimalkonfiguration beim Bikepacking besteht aus einem „Seat-Pack“. Das ist eine Tasche, die direkt an der Sattelstütze angebracht wird und dann idealerweise nach hinten-oben heraussteht. (Hängt die Tasche traurig nach unten oder schlenkert eher seitlich, hat der Besitzer wohl etwas beim Packen verkehrt gemacht.) Idealerweise sieht das Gepäckstück aus wie ein unordentlich gedrehter, riesengroßer Joint, den sich das Bike unter den Sattel geklemmt hat. Inoffiziell hat sich für das Gepäckstück aber seltsamerweise die Bezeichnung „Arschrakete“ eingebürgert. Da das Volumen dieser Sattelstützentasche niemals ausreicht, wird normalerweise eine weitere Gepäckrolle an den Lenker geschnürt („Handlebar-Pack“) und schließlich kommt im Rahmendreieck eine weitere Tasche („Frame-Pack“) unter.

 

Und damit sind wir beim Knackpunkt: Die ehrenwerte Idee des Bikepacking steht für Minimalismus. Die Devise heißt weg mit dem unnötigen Gewicht von Gepäckträgern und Taschensystemen! Kampf den breit ausladenden Packtaschen, die auf engen Trails hinderlich werden! Und auch die Hecklastigkeit des Gefährts, die die Laune im Gelände killt, soll endlich der Vergangenheit angehören! 

 

Die Versprechen des Bikepacking sind Agilität, Fahrspaß und Wendigkeit. Sie erfüllen sich aber nur, wenn man Askese übt und sich auf ein wirklich leichtes Bikepacking-Setup beschränkt. Noch besser fährt es sich, wenn man auch das weglässt und in seinem kleinen Rucksack nicht mehr als ein paar Stullen, ein Handy und die Kreditkarte spazieren fährt. Für das beim Bikepacking-Equipment eingesparte Geld sind dann schon ein paar Pensionsübernachtungen (mit Frühstück) drin!

 

In der realen Welt wollen Bikepacking-Zubehörfirmen viele schöne Dinge verkaufen und die Damen und Herren Bikepacker auf möglichst wenig verzichten. Deshalb sehen ihre Reisefahrräder oft ähnlich überladen aus, wie afrikanische Sammeltaxis. Nur ein Dogma bleibt: Auf keinen Fall Gepäckträger! Keine Packtaschen! Doch die Industrie weiß auch hier längst Rat. Mittlerweile sind semiflexible „Harnesses“ (Zaumzeug?) im Angebot, die am Fahrrad verbleiben und die überquellenden „Packs“ stützen und bändigen sollen. Zudem lassen sich an verschiedenen Stellen des Bikes so genannte „Cages“ (Käfige?) montieren, welche weiteres Gepäck aufnehmen können. Erlaubt ist, was gefällt. Aber nennt es auf keinen Fall „Rack“ (Gepäckträger)! 

 

Leute, ich fürchte die Magie dieser ganzen Bikepacking-Ausrüstung erschließt sich mir nicht mehr! Was habt ihr nur gegen den guten alten Gepäckträger und seine Packtaschen?

 

Meine Fahrräder haben im Allgemeinen keine Gepäckträger. Die Kleinigkeiten für einen Tagestrip oder eine sommerliche Pensionsübernachtung passen locker in einen nicht zu großen Rucksack. Brauche ich mehr Stauraum, kommt ein klassischer hinterer Gepäckträger ans Rad. Dazu müssen gerade einmal 4 Schrauben festgezogen werden. Nach Bedarf werden dann einfach eine oder zwei Ortlieb-Packtaschen an das Gestell geklickt, was ungefähr so kompliziert ist, wie einen Auto-Sicherheitsgurt ins Gurtschloss einzurasten. Bei Bedarf passt noch ein Schlafsack in wasserdichter Verpackung auf die kleine Ladefläche. Das Beste ist, der Lenker bleibt frei von Klimbim und das Bike dadurch auch in leichtem Gelände einfach dirigierbar. Irgendwo hängengeblieben bin ich übrigens noch nie. Diese klassische Ausrüstung mag uncool sein, sie ist im Gegensatz zu ihrem modernen Gegenstück aber in ihrer Handhabung völlig stressfrei. (Billiger als modernes „Bikepacking“ ist sie auch.)

 

Das Packen und speziell das Weglassen bleibt jedoch auch für mich eine große Kunst, die es zu perfektionieren gilt. Nur durch das Gewicht entscheidet sich nämlich, wie agil, wendig und spaßig die Fuhre wird. In diesem Punkt unterscheidet sich das klassische Reiseradeln überhaupt nicht vom modernen Bikepacking …


Auf dem Bild ist übrigens nicht mein Fahrrad! Ich bevorzuge eindeutig ein leichteres Setup.