Micro-Adventures: In der Kürze liegt die Würze!

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Es gibt Fahrradkollegen, die träumen schon jahrelang von der ganz großen Tour. Für den einen mag das der Trip zum Nordkap sein. Der andere will die Alpen überqueren und am liebsten gleich nach Neapel weiterradeln. Ein Dritter plant dem Lauf der Elbe zu folgen und zum Finale die Füße ins salzige Nordseewasser zu stellen. 

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann träumen sie immer noch von der ganz großen Tour …

 


Was ich damit sagen will: Die schönsten Touren sind die, die überhaupt stattfinden! Die Chance dafür ist umso größer, je weniger Aufwand in die Vorbereitung gesteckt werden muss. Und damit bin ich bei den von mir so geschätzten Kurztrips die nicht länger als 1, 2 oder vielleicht einmal 3 Fahrradtage dauern. Besonders coole Menschen sprechen in diesem Zusammenhang gern von „Micro-Adventures“. Die Vorteile solcher Mini-Reisen liegen auf der Hand:

 

Organisation

Von der Idee bis zur Umsetzung vergehen meist nur wenige Tage. Viel muss ja wirklich nicht geplant werden. Für manche Biker ist die Zeitplanung das größte Problem. Dabei gibt es doch eine sehr gute Nachricht: Die meisten Arbeitnehmer haben regelmäßig mindestens zwei zusammenhängende freie Tage zur Verfügung. Dieses Phänomen nennt sich „Wochenende“ und findet ganze 52x im Jahr statt. Da sollte sich doch das eine oder andere Zeitfenster zum Radeln finden, oder nicht? Der Rest der Vorbereitung ist wirklich einfach: Routenplanung, Anreise und eventuelle Hotelübernachtung sind dank Internet eine nette Feierabendbeschäftigung. In der Vorwoche ausgeführt, steigern sie die Vorfreude!  

 

Wetter

Mistwetter bleibt Mistwetter. Da gibt es nichts schönzureden. Radfahren im Dauerregen oder bei Windstärke 8 im Gegenwind sind wahrscheinlich nur ein Fall für absolute Masochisten. Am schlechten Wetter ändern auch kurze Touren nichts. Aber mit dem Vorlauf von nur einer Woche sind die Prognosen der Wetterdienste erstaunlich präzise. Und am Vorabend der kurzen Tour kann man oft schon sehr genau abschätzen, ob es überhaupt regnen wird. Daraus ergibt sich ein Riesenvorteil: Man braucht nur genau die Kleidung einzupacken, die zum Wetter passt. Auch der dicke Schlafsack kann unter Umständen zu Hause bleiben. Das reduziert den Ballast und erhöht damit das Fahrvergnügen! Eine weitere Überlegung ist, das Reiseziel nach der Wetterkarte zu planen. Auf diese Weise konnte ich schon mancher kalten Dusche entgehen. Und im miesesten Fall: Echtes Mistwetter dauert nicht ewig. Vielleicht sieht es eine Woche später schon viel besser aus? 

 

Erlebnisüberflutung

Das klingt vielleicht etwas übertrieben. Aber jeder, der schon einmal für mehrere Tage unterwegs war, kennt bestimmt den Effekt: Die ersten Tage sind die aufregendsten. Viele neue Eindrücke treffen auf eine gesteigerte Euphorie. Alles scheint möglich und der Kopf läuft über vor Glück und Erlebnissen. Die folgenden Tage sind nicht unbedingt fade, aber die ganz großen Abenteuer bleiben aus. Eine gewisse Abstumpfung lässt sich nicht mehr vermeiden. Warum lassen wir die überflüssigen Tage nicht einfach weg?

 

Übersteigerte Erwartungen

An die „Reise des Lebens“ werden meist riesengroße Erwartungen geknüpft. Dann ist es enttäuschend, dass am Traumziel irgendwie auch nur Alltag herrscht, in dem es Regenwetter, genervte Autofahrer und Schlaglöchern gibt. Beim Kurztrip fehlt im Vorfeld einfach die Zeit zum Bau von Luftschlössern. Und wenn auf der kleinen Ausfahrt wider Erwarten wirklich alles schief gehen sollte: Na und! Morgen wartet zu Hause schon wieder das kuschelige Sofa.

 

Gepäck

Welches Gepäck? Für einen Tag braucht man kaum mehr als eine Regenjacke und etwas Proviant im leichten Rucksack. Und ohne Gepäck macht das (Mountain-)Biken gleich doppelt so viel Spaß! Auch zwei oder drei Tage lassen sich ganz gut durchimprovisieren, ohne gleich den ganzen Hausstand dabei zu haben. Auch hier macht das deutlich leichtere Fahrrad viel mehr Spaß. Aber was ist, wenn man wirklich etwas Wichtiges vergessen hat? (Spoiler: Dann packt man es beim nächsten Mal eben ein!)

 

Freund, Freundin und Familienmitglieder

Gemeinsame Erlebnisse verbinden. Aber Hand aufs Herz: Nicht immer teilt der geliebte Partner die Fahrradbegeisterung in gleichem Maße. Manchmal sind auch einfach die Unterschiede in der körperlichen Kondition zu groß. Dann könnte die große gemeinsame Fahrradtour im lang ersehnten Sommerurlaub langfristig zum Fall für den Scheidungsrichter werden. Auch der wochenlange Egotrip ohne den Partner könnte zu Auseinandersetzungen führen. Die Kurzreise, mit oder ohne Partner, sollte dagegen die gegenseitige Toleranz nicht überstrapazieren. Vielleicht schmiedet ein Übernachtungstrip mit dem Partner sogar mehr zusammen als 100 Fernsehabende. 

 

Unglücksfälle

Katastrophen passieren. Da bricht vielleicht ein wichtiges Teil der Gangschaltung. Bei einem Beteiligten hat kurzfristig das fiese Grippevirus zugeschlagen oder ausgerechnet am geplanten Termin probt das Wetter den Weltuntergang. Und nun? Dann ist es sicher nicht das ganz große Drama, eine Kurztour abzubrechen oder erst gar nicht zu beginnen. Ein zweiter Anlauf ist doch wirklich schnell geplant … 

Aber gibt es denn noch etwas Besseres als solch eine kurze Fahrradreise über eins, zwei oder drei Tage? Ja, klar: Statt einer lieber ganz viele Kurztouren machen!


Nach all diesen Vorzügen muss aber auch über die Fallstricke geredet werden. Es gibt für mich nämlich drei eiserne Regeln, die unbedingt berücksichtigt sein wollen: 

 

1.
Eine richtige Tour braucht mindestens eine auswärtige Übernachtung. Fehlt dieser fixe Außentermin ergeben sich automatisch 100 Dinge, die noch ganz schnell vor oder nach der Ausfahrt erledigt werden wollen. Aus 5 Minuten werden 15, dann eine halbe Stunde und kaum hat man es sich versehen fehlt schon ein halber Tag zum Fahrradfahren. Das dann auch der Kopf mit Alltagsdingen beschäftigt bleibt, ist nicht zu vermeiden. Am Ende macht man eine kleine Kaffeefahrt für ein Stündchen. Das mag auch ganz nett sein, ist aber eben keine richtige Tour!

 

2.

Es sollte eine gewisse Anreise geben. Ich bevorzuge mein Auto, weil es den Stress vermeidet, irgendwelche Zuganschlüsse erreichen zu müssen und mir gleichzeitig ein Notbett bietet. Bahnfreunde nehmen natürlich gern den Zug und freuen sich darüber, dass Start und Ziel nicht am selben Ort liegen müssen. Entscheidend ist, auch geografisch den Alltagstrott zu verlassen und ein wenig Abstand zu gewinnen. 

 

3.

Es wird eine Story gebraucht. Das Kopfkino will gefüttert werden! „Heute fahre ich ein bisschen umher“ ist ein denkbar schlechter Plot. Wie wäre es mit der Umrundung eines Gewässers? Es könnte auch ein Gipfel bezwungen werden wollen, bei guter Kondition vielleicht gleich eine ganze Handvoll davon. Für mich zum Beispiel sind Burgen und Aussichtstürme unverzichtbare Fixpunkte. Wichtig ist nur, dass es ein Ziel zur Motivation gibt.

 


Am Anfang habe ich behauptet, dass die großen „Touren des Lebens“ meist unterbleiben. Damit habe ich vielen Unrecht getan. Es gibt nämlich auch die Fahrradkollegen, die jahrelang von der ganz großen Tour träumen und die Sache dann wirklich durchziehen. Einige steigen danach nie wieder aufs Fahrrad. Über die Gründe spricht man nicht und die Fotos verraten auch nichts. Auf den Aufnahmen sieht man nur viel Landschaft und grinsende Gesichter.

 

Manche Fahrradenthusiasten haben aber auch ihr Glück in langen Touren gefunden. Jahr für Jahr sitzen sie wochenlang im Sattel und erkunden Länder und Kontinente. Ich freue mich mit ihnen über ihr aufregendes Hobby. Noch besser ist es, wenn sie ihre Erlebnisse aufschreiben, so dass ich ihre Reiseberichte begierig verschlingen kann!


Fotos Collage aus:

8bar bikes auf flickr.com (CC BY-ND 2.0)

Timo Klostermeier auf ccnull.de (CC-BY 2.0)