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Malmö ich komme!

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Mein erster Blick gilt der Wetter-App: 2 Grad Celsius da draußen! Brrrr, das ist kalt. Ich werde beinahe alles anziehen müssen, was ich mitgenommen habe.

Beim Frühstück versucht die Wirtin mich zu beruhigen: „Ach manchmal haben wir sogar Schnee zu dieser Jahreszeit.“ Wenn ich dann den herrlichen Sonnenschein da draußen sehe, kann ich mich doch als Glückspilz fühlen. Trotz der 2 Grad!

Bis ich loskomme haben sich die Temperaturen schon mehr als verdoppelt. Die Oktobersonne gibt alles, der Wind ist eingeschlafen und die geplante Strecke nach Malmö ist nicht einmal länger, als mein Ausflug gestern. Es könnte wahrlich schlechtere Voraussetzungen geben!


Oktobertour durch Südschweden:
 
Montag: Warum nicht Schweden?
Dienstag: Monsta auf Seereise
Mittwoch: Stürmische Meilen
Donnerstag: Ländliches Skåne
Freitag: Malmö ich komme!
Sonnabend: Rolling Home

Zum Warmwerden empfängt mich die gemütliche Bahntrasse, die ich schon kenne. Dafür, dass die Strecke nicht asphaltiert ist, rollt es gar nicht schlecht! Auf dem Eisenbahndamm gleite ich in sanften Radien durch einen Blättertunnel. Zwischen den Bäumen lugen immer wieder sonnige Wiesen und herbstbunte Bäume hervor. Auch der eine oder andere Fetzen eines leuchtend blauen Himmels lässt sich sehen. Zwischendurch wird mein Weg zur Einzelspur und langsam wird die Landschaft immer offener. Der Wald wird durch Viehweiden mit Steinmauern ersetzt. Erst nach wunderbaren 18 Kilometern, komme ich in die Stadt Hörby und kann damit aufhören, Eisenbahn zu spielen. Meine Hoffnung, dass es jenseits der Stadt mit dem freundlichen Bahnradweg weiterginge, erfüllt sich leider nicht. Vielmehr wird die Landschaft wieder so, wie ich sie aus Dänemark kenne. Es ist waldloses, leicht hügeliges Land, über das ein engmaschiges Netz von Landstraßen geworfen wurde. Das Land ist übersäht von unzähligen Einzelhöfen, wo sich jeweils wenige Häuser in eine Art Kissen aus Bäumen und Sträuchern einkuscheln. Von diesen Höfen gibt es so viele, dass ich jederzeit von mindestens drei Seiten observiert werden könnte. Unter diesen Umständen ist es sogar ausgesprochen schwierig, zwischendurch einmal ein diskretes Gebüsch zu finden. 



Die Stadt Lund kommt in Reichweite. Ihr Umfeld begrüßt mich so, wie es Millionen anderer Städte auf der Welt auch tun würden. Die Landstraßen werden breiter, der Verkehr dichter und die Gewerbebetriebe zahlreicher. Als ich dann über die Stadtgrenze rolle, reißt es mich aus meinem drei Tage gepflegten Schwedentrott! Ich hatte nicht mit den hypermodernen Gebäuden eines Forschungszentrums gerechnet, mit denen ich empfangen werde. Straßenbahnen, die aussehen, als kämen sie aus einem Science-Fiction-Film, fahren herum. Gleich danach kommen die Hochhäuser verschiedener Hightechfirmen. „Willkommen in der Zukunft!“ rufen sie mir zu, und etwas leiser: „Wir, die Hyper-Mc-Double-Cool-Company, sind die Allergrößten! (… und haben Geld ohne Ende)“ 

Gestern noch war ich in der kleinen Stadt Tollarp. Was für ein Kontrast! Denn Tollarp war eine Geisterstadt. (Ich wollte es erst gar nicht aufschreiben.) Sicher, an den ausgedehnten Siedlungen gepflegter Eigenheime gab es nichts auszusetzen. Doch der Stadtkern war geprägt von heruntergerockten und aufgegebenen Wirtschaftsbetrieben, dauerhaft geschlossenen Kneipen und verlassenen Ladengeschäften mit zugenagelten Eingängen. Den Mittelpunkt bildete die Ruine eines großen Supermarkts, die ihrem baldigen Abriss entgegendämmerte. Der riesige Parkplatz gähnte leer vor sich hin. Nur ein einziges Lebensmittelgeschäft scheint den Tollarpern geblieben zu sein und in dessen Radius spielte sich ein wenig Restleben ab.

 

Nun also Lund. Der Kontrast zum verwaisten Tollarp könnte nicht größer sein. Hier herrscht überall wuseliges Leben. Auf den Straßen sind viele junge Leute unterwegs, denn Lund ist eine Universitätsstadt. So erreicht auch die Verkehrsdichte an Fahrrädern fast Berliner Ausmaße. Auf einer Parkbank nehme ich mir Zeit für eine kurze Rast. Auch wenn mich die Energie der Stadt und die geschäftige Atmosphäre in den Bann ziehen, halte ich mich nicht lange auf. Mein Ziel ist schließlich Malmö, die drittgrößte Stadt Schwedens. Und bis Malmö sind es noch ein paar Kilometer.

 

Allgemein ist es nun meist eher lästige Pflicht als Vergnügen, sich mit dem Fahrrad einer Großstadt zu nähern. Oft beginnt es mit weitflächigen und gesichtslosen Vorstädten aus schachtelartigen Einfamilienhäusern, Schnellstraßen und Autobahnkreuzen. Dann kommt die Shoppingzone mit ihren maßlosen Hallen, die von weitem wie weiß gestrichene Pappkartons aussehen. Später verdichtet sich wohl jede Großstadt zunehmend mit reizlosen Wohnsilos. Wird es in Malmö anders sein? Nein, doch das nahe Ziel lässt die Kilometer unter den Reifen nur so zerstäuben. Häuser, Ampeln, Straßenkreuzungen … eine Folge, die gar nicht aufhören will. Hier, in der Ostseestadt Malmö kommt noch etwas dazu. Es sind die maritimen Einrichtungen und Hafenanlagen. Der Pauschaltourist mag sich unter „Hafen“ bunte Fischerboote vorstellen, die an der Pier lustig auf blauen Wellen schaukeln. Währenddessen sitzen dann Pfeife rauchende Kapitäne auf dem Kai und spielen Schifferklavier. Die Realität sieht - wer echte Hafenstädte kennt, weiß das - ganz anders aus. Endlos reihen sich Gewerbebauten verschiedenen Alters und meist in deutlich ramponierten, „zweckmäßigem“ Zustand aneinander. Das Wasser lässt sich nur mit Mühe ausmachen. Auch das ist Malmö.

 

Und plötzlich, viel schneller als erwartet, stehe ich vor meinem Hotel. Es befindet sich mit einigen anderen Hotels in einem Stadtgebiet, das vor wenigen Jahren noch zur schmuddeligen Industriehafenzone gehört haben dürfte. Doch die trendige Innenstadt breitet sich unaufhörlich aus und hat sich diese Straßenzüge einverleibt und damit veredelt.

Da es nun noch zu früh für einen Check-in ist, drehe ich mit meinem Packtaschenfahrrad eine Runde durch die Stadt. Die Orientierung fällt nicht schwer, weil das Wahrzeichen Malmös, der Wolkenkratzer „Turning-Torso“ als Fixpunkt dienen kann. Er ist von jedem Ort gut auszumachen. Schnell lande ich am Ribersborgsstranden. Dort habe ich einen weiten Blick auf die Meerenge Öresund. Am Horizont lassen sich die Häuser von Kopenhagen erkennen und gleich links schwingt die Öresundbrücke herüber. In meinem Rücken liegt Malmö. Genauer gesagt sind es nagelneue Stadtteile mit hypermoderner Architektur, die auf einem ehemaligen Werftgelände aus dem Boden wachsen. Es scheint, das Malmö eine rasant wachsende Boom-Stadt ist. Vieles wirkt nagelneu und Schmutz, Vernachlässigung oder Vandalismus scheinen unbekannt zu sein. Als ich meine Runde fortsetze, finde ich dann auch das alte Malmö.



Es hat zum Beispiel das Malmöhus Slott aufzuweisen, dass in Wirklichkeit kein Schloss, sondern eine trutzige Backsteinfestung mit Wassergraben ist. Ich finde eine Gasse mit pittoresken Fischverkaufsbuden und schließlich auch die richtige kleine Altstadt. An jeder Ecke gibt es einladende Kneipen mit großen Außenterrassen. Es herrscht eine lebhafte Freitags-Nachmittagsstimmung! Wieder einmal stelle ich fest, dass ich, der Fahrradfahrer, in kurzer Zeit erstaunlich viele Sehenswürdigkeiten gesehen habe. Die Ortskenntnis bekam ich ganz nebenbei! Sie wird mir heute Abend bei einem weiteren Bummel noch zu Gute kommen.



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