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Ländliches Skåne

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Nach dem Aufstehen geht es hinüber in das Haupthaus zum Frühstück. Es gibt Rührei, Speck und Würstchen. Das sind nur die warmen Gerichte! Extra gekühlt steht ein leckerer Joghurt bereit. Dazu gibt es mehrere Sorten Brötchen, von denen einige selbst gebacken wurden. Käse, regionale Wurstspezialitäten, süße Aufstriche und Früchte runden das Angebot ab. Dieses königliche Frühstück wird illuminiert von festlich brennenden Kerzen. Das alles ist nur für mich angerichtet, denn ich bin der einzige Gast! Ich bereue meine Entscheidung, eine zweite Nacht hier in der Årröd Residenz zu verbringen, für keine Sekunde!

 

Doch ich bin ja nicht zum Frühstücken auf Reisen. Wohin geht`s also heute?


 Oktobertour durch Südschweden:
 
Montag: Warum nicht Schweden?
Dienstag: Monsta auf Seereise
Mittwoch: Stürmische Meilen
Donnerstag: Ländliches Skåne
Freitag: Malmö ich komme
Sonnabend: Rolling Home

Beim Essen komme ich mit meiner Gastgeberin, einer resolut aussehenden Frau mittleren Alters, ins Plaudern. Sie empfiehlt mir eine Radroute mit viel Natur und einigen kleinen Hügeln. Verschmitzt sagt sie, die Fahrstrecke wäre ungefähr 2 Meilen lang. Irgendwoher dämmert mir, dass mit diesen Meilen etwas nicht stimmen kann. Das Internet klärt mich auf: Die schwedische Meile ist exakt 10 Kilometer lang und damit die vielleicht längste Meile der Welt. Im Vergleich nimmt sich die Seemeile (1,852 Kilometer) oder die amerikanische Landmeile (1,609 Kilometer) geradezu bescheiden aus!

 

20 Kilometer schrecken mich natürlich nicht. Im Grunde will ich sogar deutlich weiter, denn ich habe mir in den Kopf gesetzt, bis zur Küste zu radeln. Diesmal ist es die Ostküste. Als erstes drehe ich die Streckenempfehlung um. Ich beginne also am Ende. Das führt dazu, dass ich den Abzweig eines kleinen Pfades finden muss. Aus Mangel an alternativen Wegen gelingt das auch ganz gut. Vor Jahrzehnten mag das ein Weg für Ackerwagen gewesen sein. Jetzt ist es kaum mehr als ein schmaler Trampelpfad, der umgeben von Bäumen und dichtem Gebüsch über Felder und Weiden führt. Da freut sich mein Mountainbike, endlich einmal auf artgerechtem Untergrund unterwegs zu sein. Auch ich bin begeistert!

 

Oktobertage wie dieser beginnen kühl und verschlafen. Schwer zu sagen, ob sich daraus ein „Goldener Oktober“ entwickeln wird. Die erwachende Sonne, harmlose Wölkchen am Himmel und kaum Wind sprechen dafür. Inzwischen rolle ich auf einer abgelegenen Landstraße und mir wird ein großartiges Szenarium geboten. Die Zutaten sind nicht nur blauer Himmel, Sonne, Hügel, Wiesen und Herbstbäume. Dazu kommen noch Tiere. Auf einer Kuhweide dösen dunkelbraune Rinder vor sich hin. Alle, wirklich alle Kühe fläzen herum. Immerhin sehen die, die nicht gerade schlafen, mich mit dümmlich-ausdruckslosen Gesichtern an. Auf einer anderen Weide ragen vier Hufen in die Luft. Ist das arme Pferdchen krank, dass es schon „die Hufe hochgerissen hat“? Nein, es wälzt sich vor Wonne auf dem Rücken. Jetzt hat es mich entdeckt und steht etwas ungelenk zuerst mit den Vorderbeinen und dann mit den Hinterbeinen auf.



Der zweite Teil der empfohlenen Route ist die stillgelegte Bahntrasse, die ich gestern schon unter die Räder nehmen wollte. Es ist eine Naturstraße aus glattgewalztem Schotter. Sie verläuft, wie es sich für eine Bahnstrecke gehört, geradlinig und fast steigungslos. Erstaunlicherweise begegnet mir an einigen wenigen Stellen sogar felsiges Gestein, in das für das Gleis eine Kerbe geschlagen wurde. Direkt an der Trasse lädt mich ein herrlicher Rastplatz mit sonniger Wiese, Teich und Sitzbank ein. Schade, dass es nach dem üppigen Frühstück nicht wirklich einen Grund zum Rasten gibt.

 

Die Stadt Tollarp scheint der Endpunkt des Radwegs zu sein, doch das täuscht. Gleich hinter dem Ort geht es Richtung Kristianstad auf einem feinen Asphaltstreifen weiter. Ich folge dem Weg ein Stück und zweige dann nach Åhus ab. Irgendwie kommt mir der Küstenort bekannt vor. Habe ich den Namen vielleicht schon einmal gehört oder gelesen? Viele Kilometer Landstraße liegen vor mir. Das Gelände ist hier völlig flach und Wälder gibt es nicht, nur gelegentliche Dörfer. Ein Bauwerk am Horizont weckt mein Interesse. Es sieht aus, wie ein Turm oder eher wie eine Halle mit einem seltsam schrägen Dach, dass auf einer Gitterkonstruktion ruht. Ist es eine neumodische Kirche? Oder irgendein hochmoderner landwirtschaftlicher Speicher? Die Konstruktion kommt näher. Offenbar führt meine Straße direkt daran vorbei. Aus der Nähe sieht es mit Kesseln und Rohrleitungen eher nach einer chemische Fabrik aus. Was ist das nun? Aufklärung liefert das Firmenschild: Es ist die Destillieranlage für den weltberühmten „Absolut“-Wodka der hier in riesigen Mengen hergestellt wird.

 

Gerade bevor die endlose Landstraße langweilig zu werden droht, ist Åhus endlich erreicht. Bevor ich mich der kleinen Altstadt widme, erlebe ich meinen ersten schwedischen Supermarkt. Gestern, also nach zwei Tagen, sind meine noch zu Hause am Küchentisch geschmierten Schnitten nämlich zu Ende gegangen. Ich decke mich jetzt vornehmlich mit Gebäck und Eis zum Sofortverzehr ein und genieße die althergebrachte „Normalität“ und Ungezwungenheit, die es in Deutschland dank vorgeschriebenem medizinischen Mundschutz seit Monaten nicht mehr gibt.

 

Åhus ist ausgesprochen klein und übersichtlich und überhaupt nicht touristisch! Es gibt eine Reihe kleiner niedlicher Häuser, die bestimmt einmal die Wohnungen der Fischer waren. Die Parallelstraße ist schon die Hafenpromenade. Und deren Herz ist eindeutig das große Backsteingebäude der alten „Absolut“-Wodka-Fabrik. Der Betrieb ist in vollem Gange, so dass ich vermute, dass hier nur die Spezialitäten hergestellt werden. Denn wo die Massenware herkommt, weiß ich ja schon! Langsam dämmert mir auch, wo ich das Wort „Åhus“ schon einmal gelesen habe. Es war wohl das Etikett einer Wodkaflasche, dass ich gründlich studiert hatte.

Ich spaziere mit meiner knisternden Kuchentüte in der Hand am Sportboothafen entlang und gewinne dadurch umgehend neue Freunde. Ein kleiner Sturmtrupp aus drei Enten watschelt entschlossen auf mich zu. Das ist nur die Vorhut. Weiter hinten folgt die ganze Kompanie, so dass ich Minuten später regelrecht belagert werde. Nur sehr langsam begreifen die Vögel, dass es nichts gibt. Das war`s dann auch mit der Freundschaft!

 

Dadurch, dass ich heute unbedingt ans Meer wollte, habe ich mich erstaunlich weit von meiner Unterkunft entfernt. So wird es auch schon wieder Zeit für den Aufbruch. Die Rückfahrt verläuft bis Tollarp durch eher ereignisloses Flachland. Immerhin ist es eine andere Route als auf dem Hinweg und es spricht ja auch nichts gegen ein wenig Ausdauertraining.



Die letzten Kilometer verlaufen dann wieder auf dem Railtrail. Und weil dieser Tag mit Tierbeobachtungen begonnen hat, endet er auch mit einem Tiererlebnis:

 

Weil die Bahnstrecke weitgehend geradeaus verläuft, kann ich schon aus der Entfernung erkennen, dass weit vor mir ein großes vierbeiniges Hindernis von dunkler Farbe auf dem Weg steht. Ist es ein kapitales Wildschwein oder ein großer Hund? Auf jeden Fall beginne ich mir Sorgen über mein weiteres Durchkommen (sowohl auf dieser Strecke als auch für mein weiteres Leben) zu machen. Beim Näherkommen bemerke ich, dass es sich um eine Kuh handelt. Ist das jetzt besser? Jetzt bemerkt mich die Kuh auch und springt nach rechts in den Graben. Nur Sekunden später hat sie es sich anders überlegt. Sie klettert zurück auf den Weg und trabt im Laufschritt von mir weg. Nach einer halben Minute wird es ihr zu anstrengend und sie trottet, ohne sich noch einmal umzudrehen, einfach weiter. Obwohl ich eher langsam fahre, führt das natürlich dazu, dass sich der Abstand zwischen uns wieder reduziert. Hat dieses Rindvieh wirklich in nur einer Minute vergessen, dass sich auf dem Weg eine radfahrende Gefahr nähert? Oder glaubt es, weggucken hilft und ich würde schon wieder verschwinden? Meine beruhigende Ansprache aus knapp einhundert Meter Entfernung löst in der Kuh einen Riesenschreck aus. Jetzt sprintet das Tier los! Es ist schon eine beeindruckende Erfahrung, das normalerweise eher gemütliche Gewicht von mindestens einer halben Tonne Rindfleisch galoppieren zu sehen. Es gibt übrigens ein Happy End! Nach einer endlos erscheinenden Strecke von vielleicht 50 Metern findet das Rind eine Grasfläche links des Bahndamms. So elegant es bei der Körpermasse eben geht, springt sie über den Graben auf die rettende Wiese. Aus sicherer Entfernung werde ich von dort bei meiner Vorbeifahrt beobachtet. Jetzt muss nur noch der Bauer das Problem lösen, sein Milchvieh wiederzufinden.




Weiter lesen: Malmö ich komme!

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