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Stürmische Meilen

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Mit rund 90 Kilometern habe ich mir heute einiges vorgenommen. Wahrscheinlich dachte ich bei der Planung, nach zwei faulen Tagen müsse nun endlich etwas passieren. Das Dumme ist nur: Bei sonst ganz schönem Wetter herrscht ein strammer Gegenwind, fast schon Sturm. (Der Wetterdienst spricht von 30-45 km/h.) Da muss ich jetzt durch. Meinem Reisetempo wird der Wind nicht zuträglich sein. Ich beruhige mich damit, dass ich für den Notfall die Scheinwerfer eingepackt habe. Technisch bin ich also gerüstet, falls es ein überlanger Tag werden sollte. 


Oktobertour durch Südschweden
 
Montag: Warum nicht Schweden?
Dienstag: Monsta auf Seereise
Mittwoch: Stürmische Meilen
Donnerstag: Ländliches Skåne
Freitag: Malmö ich komme
Sonnabend: Rolling Home

Beim Frühstück gehe ich die Strecke noch einmal auf der Karte durch. Ein Dorf reiht sich an das Nächste. Der erste Fixpunkt ist die Kleinstadt Skurup. Dann geht es weiter: Dörfer über Dörfer. Endlich wieder ein markanter Punkt. Diesmal ist es die Stadt Sjöbo. Gleich muss das Ziel kommen. Ich scrolle auf dem Display weiter. Das Ziel taucht immer noch nicht auf. Entnervt zoome ich auf einen gröberen Maßstab. Was? Sjöbo war noch nicht einmal die Hälfte der Strecke? Das kann ja heiter werden!

 

Aber es ist wie es ist und Bangemachen zählt nicht! Ich kurbele los, gegen den Wind natürlich. Die Dorfschafe blöken zum Abschied. Ich blöke zurück, doch der Sturm verweht unsere Kommunikation. Bald wissen die Beine, was zu tun ist und kommen in einen gleichmäßigen Tritt. Winzige Dörfer und Landstraßen wechseln sich ab. Dazwischen viel Freifläche, damit der Wind sich auch gut austoben kann. Mitten im Nichts tauchen gelbe Blinkleuchten und provisorische Verkehrszeichen auf. Warnwesten-Menschen laufen herum. Es sieht aus wie eine Straßensperre. Vermummte Personen staksen herum. Mein in den letzten Monaten neurotisch gewordenes Gehirn flüstert mir zu: „Coronakontrolle!“und „Es ist eben doch nicht ganz so locker in Schweden!“. Man bedeutet mir, zu stoppen. Den schwedischen Wortschwall kann ich mit den Worten: „Sorry, I don`t understand you.“ gerade noch stoppen. Auf Englisch wird mir dann erklärt, ich möge kurz auf ein Begleitfahrzeug warten. Der Wagen würde dann vorausfahren und mich durch die Baustelle leiten. Und ich solle mir keine Sorgen machen, er führe nicht zu schnell. „Na“, denke ich mir: „Wenn sie wüssten, welche kranken Sorgen ich mir vor einer halben Minute gemacht hatte …“

 

Auch der Grund für die Vermummung des Einweisers wird übrigens schnell klar: Der Mann friert schlicht und einfach! Das Pilot-Fahrzeug kommt. Es hat am Heck eine riesengroße Warntafel. Diese Tafel schützt mich während meiner Verfolgung ausgezeichnet vor dem Wind. Deshalb bedauere ich, dass die Baustelle nur ein paar hundert Meter lang ist. So einen Windschatten könnte ich heute gut gebrauchen.

 

Skurup erweist sich als ein verschlafenes Nest. Die eigentliche Attraktion ist das Schloss Swaneholm etwas abseits. Es ist massiger unverputzter Ziegelbau, den ich eher für einen historischen Speicher als ein Schloss gehalten hätte. Immerhin liegt es an einem kleinen verträumten See, dessen Wasser in der Sonne glänzt. Eine schwedische Fahne flattert stramm im Wind. Sie erinnert mich daran, dass noch einige Herausforderungen vor mir liegen. Der Sturm macht mich rastlos. Gleich hinter Swaneholm wird die Landschaft lieblich. Eine verwinkelte Straße mit schönen Alleebäumen führt mich an einem Pferdehof vorbei. Laut Navigation soll ich jetzt eine größere Straße nutzen. Diese Empfehlung schlage ich in den reichlich vorhandenen Wind. Stattdessen stürze ich in ein Geflecht kleiner asphaltierter Straßen, die die winzigen Dörfer und Einzelhöfe verbinden.



Die Landschaft erinnert mich an eine fast vergessene Dänemark-Reise. So abwegig ist der Gedanke nicht. Diese Provinz, Skåne, gehörte bis 1658 zu Dänemark. Auch meine Erfahrung von damals wird mir schlagartig wieder bewusst: Die Berge des südlichen Skandinaviens sind in keiner Landkarte verzeichnet. Sie heißen Westwind, Ostwind, Nordwind und manchmal auch Südwind. Die offene Landschaft ohne Wald macht es diesen 4 Gesellen wirklich leicht. Mein heutiger Berg heißt Nordwind. Etwas überraschend kommen aber auch noch echte Hügel hinzu. Sie sind nicht hoch und auch nicht wirklich steil, aber gemein sind sie trotzdem.

 

Um mein Zwischenziel, die Stadt Sjöbo muss ich noch ein wenig kämpfen. Ich habe mich auf eine Art Landrücken emporgearbeitet. Entsprechend kann ich weit blicken. Aber das Auge findet nichts, um sich festzuhalten. Es gibt Felder und Dörfer, doch markante Gebäude, Kirchen oder Türme finde ich kaum. Kurze Zeit später fahre ich durch eine kleine Sommerfrische an einem See. Der Jahreszeit entsprechend wirkt sie verlassen. Für einige Kilometer muss ich auf eine größere Straße, doch dann habe ich mein Etappenziel erreicht. Viel sollte ich von dieser Stadt besser nicht erwarten. Eine kurze Einkaufsstraße bietet mit Sanitätshäusern und Optikern das übliche Sortiment für eine ältere Bevölkerung. Meine Bedürfnisse liegen derzeit etwas anders: Ich möchte dringend etwas essen und auch mein Handy braucht Saft. Die Rettung offenbart sich in Form einer Pizzeria, die erst auftaucht, als ich schon nicht mehr an die Existenz einer Gastwirtschaft glaubte. Die Araber, die den Laden führen, sind sehr freundlich, obwohl wir nicht ein einziges Wort voneinander verstehen. Für die Bestellung eines Burgers mit einem Riesenberg Pommes reicht die Verständigung aber dann doch.

 

Als das Festmahl verschlungen ist, geht es mir schon viel besser. Das vergeht beim Blick auf die Landkarte. Denn wie man es auch dreht, man könnte diese Rast nur mit viel gutem Willen gerade einmal als Halbzeitpause bezeichnen. Das wird also ein langer Fahrradtag und auch die Themen „Sonnenuntergang“ und „Tageslicht“ sind ernst zu nehmende Faktoren. Ich fasse den Entschluss, auf der öden, aber gradlinigen Hauptstraße Strecke zu machen. Die knapp 25 Kilometer müssten - so plane ich - trotz des heftigen Gegenwinds in reichlich 1 ½ harten Stunden zu machen sein. Danach würde die Welt schon ganz anders aussehen, denn der folgende Weg scheint durch einen Wald zu führen. Vielleicht ist es gar eine zum Radweg umgebaute stillgelegte Eisenbahnstrecke?

 

Los geht`s! Mit Elan trete ich an und gegen die Monotonie der langweiligen Straße sollen Kopfhörer und ein Hörbuch helfen. Ich schaffe gerade einmal 5 Kilometer auf dieser Fernverkehrsstraße Nr. 13. Dann gebe ich auf. Es nervt. Die Schweden gelten ja als freundliche und besonnene Menschen. Bestimmt sind sie auch sehr gute Autofahrer, aber sie sind keine Fahrräder gewöhnt. Das ungebremste Tempo und der knappe Seitenabstand mancher Überholer ist alles andere als beruhigend. Da ist die nächste Seitenstraße mein Fluchtweg. Als ich die motorisierte Meute hinter mir gelassen habe, bastle ich mir auf dem Handy eine neue Route zusammen. Wieder geht es durch kleine Dörfer und natürlich wird die Strecke einige Kilometer länger. Aber habe ich eine Wahl?

 

Das Hörbuch bleibt auf den Ohren. Die Dörfer kommen und gehen und irgendwie wird die Umgebung unmerklich immer „schwedischer“. Die Häuser sind jetzt meist aus Holz und oft Schwedenrot. Steinmauern, besser Steinschüttungen aus Feldsteinen begrenzen die Wiesen. Es gibt auch viel mehr Tiere. Auf den Weiden stehen meistens Rinder, aber ich sehe auch Pferde und Schafe. Sogar ein wenig Wald gibt es nun. Ich fühle mich zwar schneckenlangsam, aber die Räder drehen sich und Meter für Meter komme ich meinem Ziel näher. An einer Kreuzung, an der ich nach meinem neuen Plan links abgebogen wäre, frage ich sicherheitshalber Google nach dem Weg. Google sagt rechts und verspricht gleichzeitig, dass ich nur noch eine gute Stunde unterwegs sein würde. Dann ist eben Google jetzt mein Wegweiser. Und plötzlich wird alles ganz einfach. Als die Restkilometer nur noch einstellig sind, sause ich geradezu meinem Ziel entgegen.

 

Meine Unterkunft ist ein Pferdehof mit Fremdenzimmern. Als mir mein Quartier gezeigt wird, gehen mir die Augen über. Ich werde in einem zum Ferienhaus umgebauten Stall mit einer liebevollen Puppenstubeneinrichtung schlafen. Dazu habe ich eine moderne Küche, eine traumhafte Dusche und eine Schale voller Süßigkeiten. Ich beschließe umgehend, eine weitere Nacht in diesem Paradies zu bleiben und verlängere sofort die Buchung. Und da kannte ich das Frühstück noch nicht!




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