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Ein Faultier auf dem Ještěd

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... Während das goldgelbe Getränk im Glas immer weniger wird, kristallisiert sich langsam ein Plan für diesen Nachmittag heraus. Mein sportlicher Rest-Ehrgeiz wird sich wohl am ehesten mit einer erneuten Auffahrt auf den legendären Jeschken (Ještěd) befriedigen lassen. 

 

Die Lösung muss aber gesichtswahrend sein und dazu sollte der Jeschkenanstieg auf jeden Fall aus dem Tal heraus gestartet werden. Ganz nett wäre es auch, wenn sich dann noch ein paar schöne Kilometer drumherum drapieren ließen ... 


Der Drang, Berge zu versetzen, löst sich am zweiten Tag einer Tour meist auf ganz wundersame Weise auf ...

(Zum ersten Tag geht es hier!)


Also, noch einmal: Der Drang, Berge zu versetzen, löst sich am zweiten Tag einer Tour meist auf ganz wundersame Weise auf. So ist es auch heute. Verschlafen krieche ich aus meinem Mini-Expeditionsmobil und blinzele in die Sonne. Im Gegensatz zu gestern sieht es heute tatsächlich nach einem herrlichen Frühlingstag aus. Der große Schotterparkplatz in Świeradów-Zdrój (Bad Flinsberg), der als perfekter Zugang zur Trailwelt der „Singltrek pod Smrkem“ gilt, füllt sich langsam mit den Autos der Mountainbike-Enthusiasten. Gerade neben mir ankert ein riesiges Wohnmobil mit Bautzener Kennzeichen. Aus seiner Tür quillt eine 6 köpfige Familie, von denen jeder ein eigenes Mountainbike aus den Staufächern hervorkramt. Ich beobachte bei meinem Morgenkaffee verwundert das quirlige Spektakel. Denn obwohl die älteren Geschwister im besten Rebellionsalter sind, startet die ganze Familie nicht nur friedlich, sondern auch fröhlich in die gemeinsame Tour. Vorher hatte ich mit dem Vater der Bande noch einen kleinen Plausch. Er berichtete mir, dass sie schon einige Tage unterwegs seien und heute nur eine kurze Abschiedsrunde drehen könnten. Na dann viel Spaß auf den Trails!

 

Und was ist mit mir? Ich bin immer noch unentschlossen, doch zuerst werde ich wohl die nördlichen Trails der „Singletrek pod Smrkem“ erkunden. Es mag unglaublich klingen, aber ich kenne diese Routen noch nicht! Irgendwo dort muss es auch eine Art Trailpark-Zentrale mit Gastronomie geben und damit bestimmt auch ein Glas Bier. Vielleicht wirkt das schäumende Getränk inspirierend für einen genialen Plan für den Rest-Tag!

  

Ich starte am ehemaligen Grenzposten zwischen Polen und der Tschechischen Republik. Ein kleiner Pfad führt mich ein Stück in den Wald und zu dem Beginn einer Strecke, die sich nach einem unbedeutenden Gipfel in der Nähe „Hřebenáč“ nennt. Laut Plan ist die Strecke knapp 10 Kilometer lang und von geruhsamem Charakter. Letzteres schließe ich aus der offiziellen Wegbeschreibung, in der Aussagen wie: „Eltern mit Kindern“, „weniger geübte Biker“ und - aufpassen! - „nicht langweilig“ vorkommen. Wenn man das schon extra erwähnt …


Fahrtechnisch anspruchsvoll ist das nicht ...
Fahrtechnisch anspruchsvoll ist das nicht ...

... aber trotzdem kommt keine Langeweile auf!
... aber trotzdem kommt keine Langeweile auf!

Aber vielleicht ist aber so ein gemütlicher Trail genau der richtige Einstieg für diesen Tag. Und wirklich, ich sollte mich nicht getäuscht haben. Die Kilometer rollen sich auf schmalen Waldpfaden einfach so weg. Es darf dabei ein bisschen am Lenker gedreht werden und Muskeln und Bänder werden durch die milden Stöße des Untergrunds sanft massiert. (Meine liebe Frau, von Beruf Physiotherapeutin, verdreht beim Lesen dieser Worte natürlich die Augen!) Nach der Hälfte der Strecke habe ich die Möglichkeit, mit der Route „Obora“ (Wildgehege) um knapp 7 Kilometer zu verlängern. Warum nicht? Obora erweist sich als geringfügig ruppiger, was nach der gründlichen Erwärmung eine angenehme Steigerung ist. Auf einer längeren Genussabfahrt kommt sogar ein wenig Tempo auf!

Alles in allem zeigt sich meine Frühsportrunde von einer durchweg entspannten Seite. Der Trail erlaubt lässiges und stressloses Dahingleiten durch eine endlose Waldlandschaft. Unbemerkt sind schon 1½ Stunden vergangen, als ich beim Trailcenter in der Nähe des Ausgangspunkts wieder herauskomme.

 

Diese Zentrale erweist sich als Mountainbiker-Zeltplatz an einem Badesee. Der See breitet sich malerisch unter der Terrasse des obligatorischen Biergartens aus, während sich zur Vervollkommnung der Idylle dahinter die Kulisse des Isergebirges erhebt. Der Platz selbst ist ein Wimmelbild aus Wohnmobilen, Zelten, Mountainbikes und Personen in buntem Sportdress. Auf einem Holzgestell gleich neben der Kneipe hängen dutzende Geländefahrräder der Gäste. Eines von den Rädern ist mein Monsta-Bike. Ich lasse mich mit einem frisch erworbenen Bier und einer Brotzeit auf einer Bank nieder und beobachte das Treiben.

 

Was gibt es nicht alles zu sehen: Eine Schar Kinder tobt sich links neben mir auf einem Mini-Pumptrack aus, immer wieder rollen neue Gruppen von Radfahrern vorbei und am Nebentisch wird so viel Mountainbike-Garn gesponnen, dass Käpt’n Blaubär seine Freude haben würde. Über allem strahlt die Sonne und es herrscht eine aufgekratzt-fröhliche Stimmung!

 

Während das Getränk im Glas immer weniger wird, kristallisiert sich langsam ein Plan für meinen Nachmittag heraus. Mein sportlicher Rest-Ehrgeiz wird sich wohl am ehesten mit einer erneuten Auffahrt auf den legendären Jeschken (Ještěd) befriedigen lassen. Das ist der Hausberg von Liberec (Reichenberg). Er bietet neben der fordernden Auffahrt eine wirklich spektakuläre Aussicht! 

 

Aber welche Route soll ich nehmen. Am phantasielosesten wäre die kurvenreiche und sicher recht belebte Autostraße direkt aus Liberec. Darauf habe ich keine Lust und entscheide mich deshalb dagegen. Dabei kann ich jetzt noch gar nicht wissen, dass ich auf dieser Passage ein Fall für die Regionalnachrichten oder gar einen Polizeieinsatz werden würde. Es gibt nämlich eine Sperrung aus recht plausiblem Grund! 

Eine andere - sogar die einfachste - Möglichkeit wäre es, gleich oben auf dem Auerhahnsattel zu parken und nur die letzten 3 Kilometer mit dem Fahrrad hinaufzustrampeln. Das wäre in meinen Augen aber Selbstbetrug! Dann könnte ich auch gleich den letzten Parkplatz vor dem Gipfel nehmen und nur pro Forma auf das Rad steigen. Nein, nein, nein, ich brauche eine gesichtswahrende Lösung! Dazu sollte der Jeschkenanstieg unbedingt aus dem Tal heraus gestartet werden und es wäre ganz nett, wenn sich dann noch ein paar Kilometer drumherum drapieren ließen. Könnte ich dabei sogar noch eine neue Gegend erkunden, wäre der Plan perfekt!


Das Glas Bier gehört hier einfach dazu.
Das Glas Bier gehört hier einfach dazu.

In der Zwischenzeit wartet Monsta bei seinen Freunden.
In der Zwischenzeit wartet Monsta bei seinen Freunden.

Meine Wahl für den Ausgangspunkt fällt auf den kleinen Ort Křižany auf der Südseite des Jeschkengebirges (Ještědský hřbet, auch Jeschkenkamm). Genauer gesagt parke ich unter Beobachtung einer ganzen Rinderherde an einer einsamen Landstraße. Diese Straße hat sich hier aus dem Ort heraus schon einmal bergwärts ausgerichtet, und mir damit die ersten Höhenmeter geschenkt.

 

Nach meinem Plan müsste es quer über die Wiese einen Wanderweg mit grüner Markierung geben, der mich zu Křižanys Bahnhof bringt. Der Bahnhof liegt nicht nur 1½ Kilometer außerhalb des Dorfs, sondern auch ganze 100 Meter höher! Die Wegmarkierung an den Stromleitungsmasten habe ich schnell gefunden, doch die Bezeichnung „Wanderweg“ ist ein großes Wort für den kaum erkennbaren Pfad durch das hohe Gras. Trotzdem lenke ich mein Monsta-Bike beherzt in die grüne Flora und folge damit der kaum sichtbaren Spur. Obwohl die Auffahrt durch die Wiese anstrengend ist, gibt die Landschaft alles, um mich zu verwöhnen. Wald, Gräser und Büsche spielen mit den verschiedensten Grüntönen und die Luft ist heute klar. Sie erlaubt einen weiten Blick auf die Hügel, die kleinen Häuschen und auf die fernen Berge. Dabei spannt sich über allem ein Himmel mit zerfetzten weißen Wolken und viel blauer Farbe. Auch die Sonne lässt sich nicht lumpen. Sie spendiert gerade einen Vorgeschmack auf den Sommer, der sich einfach nur wohlig warm und keineswegs nach Hitze-Inferno anfühlt. Die Sonne lockt auch - das habe ich vorhin schon gesehen - sämtliche Fahrrad- und Motorradfahrer des Landes auf die Straßen. Nur hier, auf dem steilen Graspfad bin ich ganz allein. Wer außer mir würde auch sonst auf die Idee kommen, sich ausgerechnet in diesem unwegsamen Gelände durchzuschlagen.

 

Zur Verbesserung meiner Motivation erhalte ich bald einen Fernblick auf mein heutiges Ziel. Am Horizont kann ich ganz klar die Fernsehturm-Rakete des Jeschken auf ihrem Gipfel erkennen!


Die Rinder passen auf mein Auto auf ...
Die Rinder passen auf mein Auto auf ...

... während ich im hohen Gras den Weg suche. Immerhin ist das Ziel schon zu sehen!
... während ich im hohen Gras den Weg suche. Immerhin ist das Ziel schon zu sehen!

Endlich komme ich bei dem kleinen Dorfbahnhof an und habe damit Asphalt unter den Reifen. Als ich die Gleise überquere, schließen sich gleich hinter mir die Schranken. So halten sie mir den Rücken frei. Damit werde ich für den Rest der Steigung bis zum Krizanske Sedlo davor verschont, dass Sonntags-Autofahrer nur knapp an mir vorbeiziehen. Etwas später darf ich sogar noch das Museumsstück eines uralten Praga-Lastwagens am Straßenrand bewundern. Der parkende LKW ist gezeichnet von einem halben Jahrhundert schwerer Arbeit und ich wünschte mir, dass er weder verschrottet noch restauriert würde. Es wäre schön, wenn er als Zeitzeuge genau in diesem geschundenen Zustand überdauern würde!

 

An der Kreuzung auf dem Pass hat sich eine ganze Schar bunter Fahrradfahrer versammelt. Anscheinend debattieren sie ihre weitere Route, was kein seltenes Phänomen bei größeren Gruppen ist. Ich dagegen biege ohne Halt in die Route 3007 „Hrebenovka“ (deutsch Kammweg) ein.

 

Der Kammweg ist ein sehr alter und inzwischen wiederbelebter Fernwanderweg. Er zieht sich über mehrere hundert Kilometer vom Lausitzer Gebirge bis hin zum Altvatergebirge. Auf einem Bruchteil seiner Länge - wir reden von gerade einmal 5 Kilometern – begleite ich ihn. Dann werde ich am Tetrevi sedlo sein, dem Ausgangspunkt für den finalen Jeschkenaufstieg. Die Strecke weckt frische Erinnerungen, denn gerade erst im Januar habe ich dieses Stück Weg schon einmal unter die Räder genommen. Wo heute fester Schotter ist, lag damals Schnee. Im letzten Drittel des Wegabschnitts sind einige Höhenmeter zu überwinden, was ich in der kurzen Zeit seit der letzten Tour natürlich auch nicht vergessen habe. Doch zur Belohnung lässt sich der größer werdende Jeschken-Gipfel immer wieder einmal sehen.


Museumsstück ohne Museum: Ein alter Praga.
Museumsstück ohne Museum: Ein alter Praga.

Schöne Aussichten auf dem Kammweg.
Schöne Aussichten auf dem Kammweg.

Je näher ich der Straßenkreuzung unter der Jeschken-Auffahrt komme, umso lauter werden die aufdringlich-hochtourigen Motorengeräusche von der Straße. Im Grunde ärgere ich mich über diese „halbstarken“ Motorradfahrer. Sicher, sie wollen - genau wie ich - nur ihren Spaß und ich weiß, ein bisschen Radau gehört für die Biker einfach dazu. Aber irgendwie erscheint mir das kreischende Gejaule der Motoren in der Gebirgsnatur doch ziemlich rücksichtslos. Hol sie der Teufel, diese Rowdies!

 

Als ich an der Straße ankomme, sehe ich erst einmal Absperrungen. Das wundert mich nicht, denn hier war bei meinen letzten Besuchen schon immer eine Baustelle. Doch dann traue ich meinen Augen nicht: Ein Fahrgerät in Form einer flachen und ziemlich lauten Flunder lenkt zackig in die abzweigende Straße ein und verschwindet von einem Streckenposten geleitet in Richtung Parkplatz. Stoßweise erzeugt das Gefährt dabei infernalische Geräusche. Ich bin in ein Autorennen, oder besser gesagt in eine Parade von echten Rennfahrzeugen geraten! Auf dem Parkplatz hat sich schon ein buntes Konvolut interessanter Renn- und Rally-Fahrzeuge der unterschiedlichsten Klassen und Epochen eingefunden und ich gönne mir eine kleine Pause zum Bestaunen der Sportgeräte.

 

Liebe Motorradfreunde, vergebt mir! Ich habe euch zu Unrecht beschuldigt. Ihr wart es heute nicht, die meine Radlerruhe gestört habt. Und ehrlich gesagt: Wer will bei diesen herrlichen Rennautos denn überhaupt von Ruhestörung reden?


Ein eher seltenes Kraftfahrzeug auf normalen Straßen.
Ein eher seltenes Kraftfahrzeug auf normalen Straßen.

Fast wie in der Hot-Wheel-Spielzeugkiste: So viele schöne Autos!
Fast wie in der Hot-Wheel-Spielzeugkiste: So viele schöne Autos!

1200 Meter, 800 Meter, 500 Meter und nochmal 500 Meter. Das sind die Längen (nein, nicht die Höhen) der Etappen auf der Stichstraße hinauf auf den Gipfel des Jeschken. Auf diesen 3 Kilometern wollen insgesamt rund 240 Höhenmeter bewältigt werden. Damit ist auch das Sportprogramm für die nächsten 20 Minuten abgesteckt. Die Strecke ist wegen der verschiedenen Aussichten dabei auch sogar sehr reizvoll!

 

Besonders aufregend sind die letzten Meter. Hier kommt alles zusammen: Es eröffnen sich gewaltige Ausblicke auf die Ralsko-Ebene mit ihren Spitzbergen. Der spektakuläre Fernsehturm knapp über mir lässt sich auch schon kurz blicken. Mein Blutkreislauf ist durch die Bergfahrt gut angekurbelt und das alles vermischt sich mit der inneren Befriedigung, es wieder einmal aus eigener Kraft ganz nach oben geschafft zu haben. Auf dem Jeschken-Tableau fühle ich mich immer ein bisschen wie auf dem Dach der Welt!

 

(Details zu der Strecke lassen sich in meinem Blogbeitrag aus dem Januar lesen. Dort habe ich auch über das tragische Ende der einzigartigen Seilbahn geschrieben und darüber, warum die Felsen am Wegesrand wohl einen Migrationshintergrund haben.)

 

Die Sonne hat heute viel Publikum auf den Gipfel gelockt. Stolze Wanderer sind dabei, die den ganzen Aufstieg aus Liberec heraufgekraxelt sind, aber auch Autofahrer, mit kurzem Weg vom Parkplatz bei der Chata Ještědka (Jeschken-Berghütte). Auch einige wenige Fahrradfahrer kann ich entdecken. Alle zusammen genießen das Gefühl, sich hier oben auf einer Art Raumstation zu befinden, die von weit oben einen Blick auf die Erdoberfläche und die entfernte Alltagswelt zulässt. Unsere große silberne Rakete im Hintergrund (der Fernsehturm) gibt uns das Gefühl, das wir jederzeit in eine andere Galaxie aufbrechen könnten. Klingt verrückt? Dann empfehle ich unbedingt die Lektüre des Romans „Grandhotel“ von Jaroslav Rudiš. Die exzentrische Geschichte spielt genau hier oben und sie spielt gleichzeitig mit der Geschichte von Liberec. Die alte Bergbaude kommt darin vor und natürlich dieses einzigartig-futuristische Fernsehturm-Hotel. Ich will hier nicht den Inhalt des Buchs verraten, aber unter dem Eindruck von Rudiš Phantasie erscheinen mir meine kosmischen Träume eher harmlos.

 

Ganz bodenständig betrachtet, sitzt man hier oben auf der Sonnenterrasse, guckt tief hinunter in die Landschaft und lässt sich an der Imbissbude ein Frischgezapftes anfertigen. Manch einer versucht auch erfolglos, ausgerechnet heute und an diesem Ort seinem Hund ein wenig Erziehung zukommen zu lassen. 

Direkt an der Brüstung, hinter der es steil nach unten geht, sind vollbärtige junge Männer dabei, riesige Lautsprecher aufzustellen. Ich vermute, heute Abend wird es hier noch Live-Musik geben. Tatsächlich könnte ich mir keinen passenderen Ort für eine chillige Party vorstellen, als die Jeschken-Raumstation an einem milden, frühsommerlichen Abend.

 

Sollte ich noch bleiben und herausfinden, was hier am Abend noch passieren wird? Die Frage ist rhetorisch, obwohl faktisch natürlich nichts dagegenspräche.



Nach dem Erreichen des Tagesziels besteht immer das Risiko eines großen mentalen Lochs, in das ich fallen könnte. Dieser emotionale Absturz lässt sich in diesem Fall jedoch ganz sanft in eine Abfahrt abmildern, bei der nichts weiter zu tun ist, als dosiert am Bremshebel zu ziehen. So gelange ich umstandslos an der Liftstation auf dem Černý kopec (Schwarzer Berg, 887 m) vorbei zu einer Wegkreuzung unweit der Baude „Pláně pod Ještědem“. Hier ändert sich meine Richtung und ich nutze nun die Verbindungsstraße Dělaná cesta in Richtung Křižany. Die Straße überrascht mich kurz mit einem Anstieg. Sie sieht ihren Fehler jedoch schnell ein und verwöhnt mich sogleich mit einem herrlichen Talblick. Von nun an verläuft sie kontinuierlich abwärts. Nach einer Weile wird die Passstraße zum Auerhahnsattel gekreuzt. Dort ist wieder einmal eine vollgesperrte Baustelle, was dem Mountainbiker glücklicherweise egal sein kann. Im Gegenteil, die Sperre verschafft mir den Vorteil, auch weiterhin ohne die Gesellschaft motorisierter Verkehrsteilnehmer ins Tal zu rollen.

 

In Křižany fällt mir die Verwandlung auf. Eben war ich noch in einer Bergwelt, mit weiten Aussichten, Wintersportanlagen, Berghütten und einem gewissen touristischen Rummel. Jetzt bin ich am Ende der Welt. Es ist ein ausgesprochen idyllisches Ende! Dank des Bergrückens des Jeschkengebirges liegt Křižany nicht nur hinter dem Wald sondern wird sogar von der nahen Großstadt abgschirmt. Hier verlaufen keine überregionalen Straßen und auch sonst gibt es nichts, weshalb sich der Weg aus Liberec lohnen würde. Dafür finden sich im Ort eine stattliche Anzahl schöner alter Häuser. Natürlich gibt es auch neuere Gebäude und auch ein paar landwirtschaftliche Zweckbauten ohne ästhetischen Anspruch. Doch alles wirkt auf eine lässige Art gepflegt. Einige historische Schätzchen sind sogar regelrecht restauriert. 




Die Tschechische Republik ist nicht wirklich ein Agrarland und die Zahl der ständigen Dorfbewohner dürfte - wie bei uns - eher abnehmend sein. Jedoch gibt es in diesem Land den Brauch, dass jede Familie unbedingt ein Wochenendhaus auf dem Land haben muss. Dabei beschränkt man sich keineswegs auf die touristischen Hotspots! Und so gibt es auf den Dörfern kaum Leerstand und die große Zahl schön wiederhergestellter alter Häuser findet ihre Erklärung.

 

Inzwischen hat meine Landstraße Křižany verlassen, obwohl es sich wirklich um ein endlos langes Dorf handelt. Gleich schließt sich der Nachbarort Žibřidice an und an seinem Ende biege ich rechts ab. In weitem Bogen bringt mich eine hügelige Chaussee nach Norden. Dort habe ich auf der Landkarte einen weitläufigen Wald entdeckt, der mit Teichen und einer offiziellen Radroute (Nr. 3046) versehen ist. Ich folge dieser Fahrradstraße in den Wald. Der wird von einer Reihe halbwüchsiger Berge bewohnt, die sich alle schon mächtig erwachsen fühlen, weil sie mehr als 400 Meter groß sind. (Über 500 Meter misst aber keiner von ihnen!) Diese Bande von Bergen treibt nun ihren Spaß mit mir und bringt mich mit kurzen, aber gemeinen Anstiegen ins Schwitzen. Ansonsten ist der Wald eben ein Wald und der Teich ein verkrautetes Wasserbecken mit einem kleinen Rastplatz an seinem Ufer.

 

Hinter dem Wald wird das Land wieder weit und offen. Vor mir spannt sich im warmen Sonnenlicht der Höhenzug des Jeschkengebirges auf. Er wirkt wie ein großer bewaldeter Hügel und für einen Moment spüre ich den Reiz, den Rückweg genau auf seinem Kamm zurückzulegen. Aber die dafür erforderliche Motivation bringt das Faultier in mir heute nicht mehr auf. Immerhin war ich doch schon ganz oben auf dem Jeschken, genügt das nicht?



Wie magnetisch zieht es mich auf kürzestem Weg zu meinem Auto. Auf der Strecke durchquere ich ein weiteres freundliches Dorf (Zdislava), rolle zwei weitere Landstraßenkilometer mit Jeschkenkamm-Blick und gerate schließlich in ein Waldstück. Gleich müsste ich bei der Rinderweide herauskommen und damit zurück bei meinem Fahrzeug sein. Noch bevor ich die schwarz-weiß gefleckten Tiere entdecken kann, leuchtet mir vom Straßenrand etwas Rotes entgegen. Es ist mein Kugelblitz-Auto, das treu auf mich gewartet hat und nun für mich gleich in die Rolle eines gut gefüllten Picknickkorbs springen wird. Damit hat eine kurze, aber schöne Tour ein Ende gefunden.

 

Nebenbei wurde der Beweis erbracht, dass auch ein Faultier auf den Jeschken radeln kann!


Wer guckt denn da hinter dem Baum hervor?
Wer guckt denn da hinter dem Baum hervor?



Hinweis: Einige Weblinks im Text verweisen auf Websites in tschechischer Sprache.

Ich empfehle, die Übersetzen-Funktion des Webbrowsers zu nutzen!

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