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Warum in die Ferne schweifen?

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Strahlend blauer Himmel, aber frostige Temperaturen. Etwas Zeit habe ich auch, aber keine Lust auf große Reisen. Was liegt da näher, als einmal im eigenen Hinterhof nach dem Rechten zu sehen? Wie wär’s mit Buckow?


Buckow liegt kaum 20 Kilometer (Luftlinie) von meinem Zuhause entfernt. Ich könnte spielend dorthin radeln, nur leider scheint mir die Route heute zu langweilig. Der faule Teil in mir rät klar zum Auto. Nachdem das geklärt ist, fragt sich, was mich vor Ort erwartet?

 

Buckow sieht sich selbst als Perle im weiten Märkischen Oderland und hat damit nicht unrecht. Einst muss das kleine Städtchen für Berlin so etwas gewesen sein, wie Starnberg für München: Ein Refugium der Wichtigen und Wohlhabenden, dabei aber ganz bürgerlich und frei von aristokratischen Allüren und politischen Mätzchen. Es beherbergt eine Anzahl stattlicher Villen, die durchweg 100 Jahre und älter sein dürften, dazu einen gemütlichen Marktplatz mit rustikaler Kirche und einen Schlosspark ohne Schloss. Ein Schloss gab es natürlich einmal. Es wurde 1948 abgerissen und war wohl eher ein zweistöckiges Gutshaus. Immerhin hatte der zeitgenössische Star-Architekt Karl Friedrich Schinkel seine talentierte Hand im Spiel. Er gestaltete die Fassade.

 

Das Beste an Buckow ist aber seine Lage. Nicht weniger als 8 Seen, der größere Schermützelsee und 7 kleinere Geschwister, gruppieren sich um das Städtchen herum. Sie sind eingebettet in ganz viel Landschaft aus Wald und parkartigen Freiflächen. Vor allem ist Buckows reizvolle Umgebung für Brandenburger Verhältnisse geradezu bergig und die funkelnden Seen setzen besondere Glanzpunkte!

 

Buckow ist eine schlafende Schönheit, von der ich mir nicht sicher bin, ob sie überhaupt wachgeküsst werden möchte. Berliner Tagestouristen erscheint es zu abgelegen. Für den „richtigen“ Urlaub ist es zu nahe dran. Die Neubauinvestitionen in dem Städtchen halten sich seit 100 Jahren in Grenzen. Auch der kleine Dampfer, der auf dem Schermützelsee verkehrt, scheint sogar aus dem vorletzten Jahrhundert zu sein. Das stimmt sogar, denn das Schiff wurde schon im Jahr 1879 gebaut! Das es erst seit 1992 hier auf dem See verkehrt, ist eine andere Geschichte. Eine Eisdiele erstrahlt im DDR-Chic von 1970 und die Badeanstalt sah 1911, dem Jahr ihrer Gründung, vermutlich exakt so aus wie heute. Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.

 

Mir scheint, dass auch die Stadtverwaltung in einer Art Dornröschenschlaf verweilt. Das meine ich absolut positiv! Weder erkennt man marktschreierische Tourismusbemühungen, noch eine gouvernantenhafte Reglementierung (mit Fahrradverbotsschildern zum Beispiel). Buckow ist auf eine altertümliche Art lässig!

 

Fakt ist auch, dass die Kleinstadt trotz bester Voraussetzungen keineswegs ein bekannter Fahrrad-Hotspot ist. Ich will es einmal so formulieren: Die Erfindung des Fahrrads ist durchaus nicht an Buckow vorbeigegangen. Doch größere Ballungen von Mountainbikern oder Rennradlern gibt es nicht. Wenn Buckow für Radsportfreunde ein Geheimtipp sein sollte, dann ist der wirklich geheim! Vielleicht gehen die Einheimischen auch lieber zu Fuß während das hippe Neu-Berliner Volk sich eher vor den Weiten des Ostens gruselt.

 

Zurück ins hier und jetzt: Ich schnalle mir mein Monsta-Bike auf das Autodach und mache mich auf den Weg. Die kurze Fahrt bietet mir Gelegenheit, darüber nachzudenken, was ich eigentlich suche.

Am liebsten möchte ich auf anspruchsvollen und dabei flowigen Trails fahren. Langweilen will ich mich natürlich nicht, aber ich will auch nicht ständig vor Hindernissen absteigen müssen. Ich suche fahrtechnische Herausforderungen, aber nicht solche, die sich nur waghalsig und mit Glück bewältigen lassen. Vor Sprüngen und allzu rasanten Abfahrten kapituliere ich meistens. Ich will Anstiege, die Biss verlangen und an denen ich mich beweisen muss. Ich möchte auch einmal die Seele baumeln lassen. Ich möchte aber auch das Bike fliegen lassen, so dass es sich leicht anfühlt und nicht wie eine Rüttelmaschine. Ich suche schöne Landschaft, Aussichten über das Wasser und den Duft von Wald. Ich will mich von der Sonne kitzeln lassen. Und ich möchte schmale Wege in rasantem Tempo im Tunnelblick in mich aufsaugen. Geht das alles im guten alten Buckow?

 

In dieser Perfektion klingt das nach einem Trailpark. Menschenhand, so lernte ich im vergangenen Jahr im Ausland, macht solche Erlebnisse möglich. Mit authentischer Natur hat das freilich nichts zu tun. Aber kommt es darauf überhaupt an? Zumal sich wenigstens in Mitteleuropa die Frage stellt, was authentische Natur eigentlich sein soll. Bevor es zu philosophisch wird, bin ich endlich auf dem Parkplatz angekommen. Ich lade mein Bike vom Dach und bin bereit für meine Buckower Runde!

 

Los geht’s am „Tiroler Haus“. Dessen Erbauer muss von der „Schweiz“ in der „Märkischen Schweiz“ sehr angetan gewesen sein. Und dann ist er doch mit der Geografie durcheinandergekommen und kam ausgerechnet auf Tirol. Auf jeden Fall ist der alpenländische Baustil der ehemaligen Ausflugsgaststätte in Brandenburg sehr ungewöhnlich. Seit Jahren ist das Gelände verwildert und das Haus eine Ruine. Schade! 


Hier könnte auch Dornröschen wohnen: Die Ruine der Ausflugsgaststätte "Haus Tirol".
Hier könnte auch Dornröschen wohnen: Die Ruine der Ausflugsgaststätte "Haus Tirol".

Unmittelbar an das Tiroler Haus schließen sich ein paar Grundstücke an. Die Hunde dort sind stets wachsam, aber dank Zaun ungefährlich. Mein Weg folgt nun ungefähr dem Seeufer des Schermützelsees, jedoch ohne das Ufer direkt zu berühren.

 

Zur eigenen Erwärmung gibt es schon nach wenigen Metern eine kleine Steigung, die sogleich mit einer schnellen Abfahrt belohnt wird. Tückisch ist nur, dass sich der Boden am Punkt des höchsten Tempos als Schlammloch herausstellen könnte. Gleich danach geht es zur Sache. Um aus der „Schwarzen Kehle“ - so heißt diese Senke - hinauszukommen, führt der Weg steil bergauf. Das Problem ist nicht, dass Kraft benötigt wird. Die Kraft will auch auf den schlammigen Boden übertragen werden! Beim ersten Versuch bleibe ich hängen, weil ich im kritischen Moment das Treten vergesse. Alzheimer ist es nicht. Ich bin nur völlig überrascht, plötzlich in das Gesicht eines großen Hundes zu sehen! Auch er wirkt verblüfft und scheint nicht mit einem Fahrradmenschen gerechnet zu haben. Das Tier zeigt keinerlei Aggressionen, doch mir fehlt nun der nötige Schwung.

 

Nachdem die Anhöhe überwunden ist, gibt es nur kurz Entspannung. Die nächste Kehle (Alle Kerbtäler zum See tragen hier den seltsamen Namen „Kehle“.) ist so tief, dass eine steile Treppe den Gegenhang hinaufführt. Muss ich mein Bike jetzt tragen? Nein, das Hindernis lässt sich umrunden! Dazu muss ich aber auf Asphalt bis zum Barnimer Hochplateau hinaufstrampeln, nur um nach einer Spitzkehre gleich wieder hinunterzudüsen. Die Märkische Schweiz verlangt definitiv ihren Einsatz!

 

Auf dem höchsten Punkt thront ein stattliches Haus, das einen traumhaften Seeblick haben dürfte. Auch dieses Gebäude ist klar alpenländisch inspiriert. Es ist das Hotel „Weiße Taube“, ein vornehmes Haus und schon von der Anlage alles andere als eine unscheinbare Landpension. Eine alte Ansichtskarte aus den späten 1920er Jahren weist auf eine „Großgarage“ hin und auch das Telefon (Rufnummer 8) wird erwähnt. Dem sozialistischen Zeitgeist entsprechend wurde nach dem Weltkrieg aus der herrlichen Nobelherberge ein Kinderheim und mit ihm kamen die scheinbar unvermeidlichen Geschichten von Misshandlung und Indoktrinierung.  Es ist schade, aber wenig verwunderlich, dass das Haus bis heute nicht zu seiner Noblesse zurückgefunden hat. Es ist immer noch eine Art Kinderheim.

 

Während nun einige kleinere Häuser die Straße säumen, bleibt mir der Asphalt für ein kurzes Stück erhalten. Dann wird der Weg wieder erdig und schon wartet die nächste Herausforderung. Es ist eine brutale Steigung, die aber gerade noch fahrbar ist. Der lehmig aussehende Boden ist glücklicherweise fest und griffig, wenn auch mit tiefen Erosionsrinnen durchzogen. Wäre dieser Anstieg auch nur zehn Meter länger, würde ich wohl kapitulieren! Immer noch keuchend kann ich mich für ein paar Meter erholen, während ich an der Rückseite von Laubengrundstücken entlangfahre, die von ihrer erhöhten Lage einen fantastischen Blick auf den See haben müssen. Schon kurz danach lässt eine Weggabelung einen Blick in das Hinterland zu. Erkennbar ist, dass der Feldweg von Alleebäumen gesäumt einen Hügel hinaufführt. Sollte ich mal nachsehen, wie es dort oben so ist? Warum nicht! Und schon sind wieder ein Dutzend Höhenmeter eingesammelt.

 

Nach dem kurzen Abstecher bin ich zurück und gelange auf schmalem Pfad zu einer kniffligen Abfahrt, die zunächst schmierigen Lehm und dann ein paar überraschende Absätze und Wurzeln bereithält. Der folgende Abschnitt ist zur Abwechslung einmal schnell und spaßig, geht aber bald in einen Anstieg über, der am Ende unerwartet giftig wird. Zu allem Überfluss springen unvermutet auch noch hölzerne Treppenstufen in den Weg, denen ich nur knapp ausweichen kann. Zur Entspannung folgt ein schöner Waldweg, der schließlich am Seeufer herauskommt. Hier bietet sich nicht nur ein herrlicher Blick über das Wasser, im Sommer stünde auch einem erfrischenden Bad nichts entgegen! Das ist erwähnenswert, denn was das Baden betrifft, ist der Schermützelsee nicht sehr einladend. Auch wenn dieser reizvolle See aus hunderten Blickwinkeln stets präsent ist, lässt er den interessierten Wasserfreund nur an wenigen Plätzen an sein Ufer. 



Erstaunlich: Es geht immer noch ein paar Meter höher!
Erstaunlich: Es geht immer noch ein paar Meter höher!

Als vorläufig letzte Herausforderung will ein Bächlein mit angeschlossenem Schlammloch überwunden werden. Dazu dient eine grob gezimmerte Bohlenbrücke. Fahrtechnisch sollte man diese Brücke nicht zu zaghaft angehen, sonst könnte man im Modder steckenbleiben!

 

Liegen tatsächlich gerade einmal 3 Kilometer Fahrstrecke hinter mir? Dafür wurde wirklich schon eine Menge geboten! In wildem Stakkato reihten sich sowohl kräftezehrende als auch fahrtechnische Herausforderungen aneinander, dass ich jetzt gegen einen ruhigeren Abschnitt nichts einzuwenden hätte. Und tatsächlich: Mein Weg bleibt schön, ist aber nun deutlich weniger anspruchsvoll.

 

Im Kerbtal einer namenlosen Kehle kurble ich mich auf schwarzer Erdpiste ein weiteres Mal nach oben auf die Barnimer Platte. Die Böschungen des Hohlwegs sind steil und bilden ein so enges Tal, dass ich bequem unter einem umgekippten Baum hindurchradeln kann, der den Weg wie eine Brücke überspannt. Am Waldrand unweit der Eberswalder Chaussee komme ich heraus und stürze mich spitzwinklig auf einem Forstweg zurück in den Wald. Doch diesmal verliere ich nicht an Höhe. Der Weg durch die Baumreihen ist die pure Entspannung. Zunächst strebe ich zielstrebig dem See entgegen, doch bevor das Wasser zu sehen ist, geht es rechts herum. Die Versuchung ist groß, sich auf einem schmalen Pfad - eher Unterholz als Weg - bis zum „Panoramaweg“ durchzuschlagen. Der macht seinem Namen alle Ehre und verläuft unmittelbar an der Böschungskante. Tatsächlich sieht der Panoramaweg auf einem ganz kurzen Abschnitt sogar wie ein traumhafter Singletrail aus. Leider ist das eine Illusion. Mit zweitem Namen könnte der Wanderweg auch „Tausend Treppenstufen“ heißen. Das ist nichts für mich. Das Bike will schließlich rollen und deshalb bleibe ich auf meiner „Waldautobahn“.

 

Auf dem Stück Kopfsteinpflaster hinunter in den Buckower Ortsteil Hasenholz wird getestet, ob noch alle Schraubverbindungen am Fahrrad fest sind. Auch die Zahnfüllungen beim Fahrer könnten sich lösen. Treten ist immerhin nicht nötig, denn es geht rasant abwärts.

 

Kurz darauf, nach Durchquerung des Dörfchens, finde ich mich am Ufer des Weißen Sees wieder. Der Spazierweg mit sandigem Untergrund wirkt fast wie eine Uferpromenade. Die Strecke ist sonnig, hell und bietet dem Auge jede Menge Glitzerwasser. Zahlreiche Bänke laden zum Picknick ein. Auf einer Art Lichtung zweigt der Weg zur „Liebesinsel“ oder auch „Liebeswiese“ ab. (Auf jeden Fall etwas mit „Liebe“) Diesen Trail lasse ich mir nicht entgehen. Die wurzelige Strecke ist gerade einmal 300 Meter lang und endet auf einer kleinen Halbinsel. Doch der Name dieses Orts muss ein Missverständnis sein. Zunächst ist „Wiese“ ein großes Wort für die unebene Brachfläche. Und die Liebe? Ich sage mal so: Der nahe Wanderweg ist gut frequentiert und die meisten Hunde Buckows dürften diesen Ort vom ihrem Gassigang kennen. Es gibt in der Region sicher intimere Plätze als die Liebeswiese auf der Liebesinsel.



Die kleine Halbinsel lässt sich nur auf demselben Weg verlassen, auf dem ich schon gekommen bin und gleich darauf wartet eine neue Herausforderung. Nach Kreuzung der namenlosen Uferpromenade kämpfe ich mich neben einigen hölzernen Treppenstufe einen kurzen, aber knackigen Anstieg hinauf. Die Gemeinheit besteht in einer dicken oberflächlichen Wurzel, die sich im letzten Drittel quer über den Pfad rekelt. Gerade hier ist der Schwung längst aufgebraucht und das Bike will irgendwie über das Hindernis gedrückt werden. Die folgenden Meter verlangen noch ein wenig Puste, doch dann ist auch dieser Hügel bezwungen.

 

Der lichte Nadelwald hier oben ist nur dem Namen nach ein „Kurpark“. Es gibt viele Wege und Pfade, aber die meisten Wege sind in Wirklichkeit hoffnungslos mit Bäumen und Ästen versperrt. Immerhin ist die Fahrt hinunter zum „Eiszeitgarten“ frei, auch wenn am Ende durch eine schmale Pforte ein Haken geschlagen werden muss. Jetzt bin ich wirklich im touristischen Teil Buckows angekommen! Trotzdem erweisen sich die Befürchtungen als unbegründet, größeren Massen von Kurgästen zu begegnen und womöglich deren Unmut zu erregen. Ganz objektiv hält sich die Anzahl der Spaziergänger in Grenzen. Buckow ist glücklicherweise auch nicht der Ort des piekfeinen Auftritts.  Hier pflegt man eher eine ländlich-lässige Gemütlichkeit!

 

Nur wenige Meter folge ich der Buckower Promenade, die hier wirklich diesen Namen trägt. Dann biege ich in eine leicht verwilderte Grünanlage ab, die kaum 50 Meter lang und nur halb so breit ist. Sie trägt den Namen Luna-Park. „Luna-Park“ ist eine wunderbar nostalgische Bezeichnung für einen Vergnügungspark. Ob auf diesem kleinen Areal wirklich einmal ein winziges Kettenkarussell gestanden hat, konnte ich nicht herausfinden. Doch nach allem, was ich mittlerweile über Buckow weiß, haben die Bewohner ein gutes Händchen dafür, Dinge altehrwürdiger aussehen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Gut möglich, dass „Luna-Park“ nur eine Assoziation ist, die der Fantasie Spielräume geben soll. Dabei ist der winzige Park ein wirklich romantischer Ort! Es eröffnet sich eine herrliche Perspektive über den kleinen Buckowsee, an dessen gegenüberliegendem Ufer sich die Kleinstadt in die Hügellandschaft kuschelt.

 

Fahrtechnisch folgt ein weiteres Highlight. Der so genannte „Gummiweg“ überwindet als Knüppeldamm von kaum einem Meter Breite einen sumpfigen Abschnitt. Vielleicht war es ja einmal ein „Gummistiefelweg“ bevor in den 1990er Jahren die Holzstege gebaut (und inzwischen mehrmals erneuert) wurden. Auf jeden Fall rüttelt und schüttelt sich das Mountainbike auf diesem ungewohnten Terrain aus genagelten Rundhölzern Meter für Meter voran. Ausgerechnet hier kommt mir eine Kindergruppe mit Betreuerin entgegen. Ein paar ihrer Jungs sind voll damit beschäftigt, mit langen Stöcken im Schlamm neben den Holzbohlen zu stochern. Sie werden zurückgerufen und auf einem etwas breiteren Abschnitt finden wir eine Möglichkeit aneinander vorbeizukommen. Die Begegnung verläuft ausgesprochen freundlich, obwohl mein vorauseilendes schlechtes Gewissen etwas anderes vorausgesagt hat. Ich bin mir sicher, an jedem anderen Ort wäre das Radfahren auf einem solchen Weg unter Androhung diverser Strafen verboten und geächtet. Aber so läuft das (noch?) nicht in Buckow und ich bin froh darüber! Wohltuend fällt mir auch auf, dass ich hier keine dieser penetranten Informationstafeln gesehen habe, die üblicherweise an solchen Orten über das Biotop schulmeistern.


Blick vom Lunapark: Hinter dem Buckowsee wartet die Kleinstadt.
Blick vom Lunapark: Hinter dem Buckowsee wartet die Kleinstadt.
Eine feine MTB-Herausforderung!
Eine feine MTB-Herausforderung!

Am Ende wird aus dem Gummiweg ein Pfad, der zwischen zwei Grundstücken auf die Werderstraße trifft. Werder-, Ring-, und Brechtstraße bilden ein Areal, das von Villen und ihren Gärten bestimmt wird. Meist sind es stattliche alte Häuser, aber auch Neubauten sind dabei. Aus Radlersicht bedeutet das, dass ich in Buckows urbanen Raum angekommen bin. Mit etwas Autoverkehr ist nun zu rechnen, aber dafür bekomme ich auch Asphalt unter die Reifen. Weil es wieder einmal bergauf geht, haben die Beine ihre Beschäftigung, während Geist und Seele den Ausblick zwischen den Villen auf den Buckowsee genießen können. Auf der Anhöhe liegt die Kurklinik „Waldfrieden“ (spezialisiert auf Mutter- und Kind-Kuren) und hier beginnt eine rasante Talfahrt in Buckows Ortskern. Die kleinstädtischen Häuser sind nun zu geschlossenen Zeilen zusammengewachsen. Es gibt einzelne Ladengeschäfte, zwei oder drei Restaurants und sogar ein altertümliches Kino! Gleich hinter dem gemütlichen Kopfsteinpflaster-Marktplatz dominiert die Stadtpfarrkirche. Ich radle an ihr vorbei die Königsstraße entlang, deren Name im ländlichen Buckow so herrlich deplatziert wirkt. Anschließend biege ich in die Wallstraße ab, die in Wahrheit eine schmale Gasse mit buckligem Pflaster ist. Sie bringt mich mittels einer hölzernen Brücke an den Hintereingang des Schlossparks.

 

Mit dem Radfahren in öffentlichen Parkanlagen ist das natürlich so eine Sache. Das Täfelchen mit der Parkordnung verkündet streng, dass die einzigen erlaubten Fahrzeuge Rollstühle und Kinderwagen wären. Andererseits würde es in Buckow wohl niemandem einfallen, sein Fahrrad bis zu seiner Lieblingsparkbank zu schieben statt zu radeln. Clevere einheimische Seniorenrad-Besitzer wissen außerdem den Schlosspark als Vermeidungsstrategie für etliche Höhenmeter zu schätzen, wenn sie in Buckow von A nach B kommen wollen.

 

Hier in einiger Entfernung vom Haupteingang und schon hinter der Position, auf der einst das Schloss stand, sollten sich die Ströme der Parkbesucher längst verdünnt haben. Heute, an einem Wochentag weit außerhalb jeglicher Saison kann von „Ansturm“ ohnehin keine Rede sein. Geschwungene Parkwege führen mich entlang des Griepensees in den rückwärtigen Bereich der Anlage. Hier wechselt die Parkanlage übergangslos in die Umgebung, die immer noch wie ein großer Landschaftspark aussieht. Jetzt erwartet mich ein strammer Anstieg. Ein schmaler Pfad hilft mir dabei, den Schlossberg zu erklimmen. Er ist ganze 63 Meter hoch, ist das nicht süß?

 

Dort, wo ich an einer hügeligen Wiese herauskomme, fehlen mir immer noch ein paar Höhenmeter. Die stark gewölbte Grasfläche lässt hier keinen konkreten Weg erkennen. Sie will querfeldein bezwungen werden. Weil heute aber noch ein Hauch Reif auf dem Rasen liegt, habe ich Sorge, mit meinem fast profillosen Hinterrad durchzudrehen. Erstaunlicherweise gelingt die Auffahrt ohne Probleme, wobei sich die steilste Linie als korrekt erweist. Auf dem Gipfel steht eine Aussichtshütte, die einen schönen Überblick über den gesamten Park ermöglicht. Von hier sieht man auch, dass das Schloss fehlt. Das Auge irrt einfach ohne Haltepunkt durch die weitläufige Anlage.



Da fehlt doch was? Seit 1945 gibt es kein Schloss mehr im Schlosspark.
Da fehlt doch was? Seit 1945 gibt es kein Schloss mehr im Schlosspark.

Mit äußerster Vorsicht geht es auf gleichem Weg wieder hinunter. Der brisanten Melange aus feuchtem Gras und winzigen Eiskristallen mag ich einfach nicht vertrauen. Gleich gegenüber, kaum 200 Meter entfernt lockt ein weiterer Hügel. Die Anhöhe heißt „Storchennest“ und ist mit Sitzbänken und einer am Baum befestigten Kinderschaukel vergleichsweise üppig möbliert. Am meisten bin ich über das riesige Gipfelkreuz erstaunt, das diesen mittelgroßen Hügel ziert. Der Blick von hier oben schweift über ein Miniaturhügelland mit einzelnen Baumgruppen, einer Schafweide, einer wildwüchsigen Obstplantage und dem Städtchen im Hintergrund. Ich radle gleich wieder los und komme auf einem Feldweg zwischen den Obstbäumen auf den asphaltierten Weinbergsweg. Der bringt mich gleich weiter zu dem sandigen Hopfenweg. Wenn hier Wein und Hopfen einst gut gediehen, werden die Buckower ein glückliches Volk gewesen sein!

 

Trotz Sand, einiger Steinchen, Pfützen und Löcher kann ich auf dem Hopfenweg endlich einmal richtig Gas geben! Stellenweise gibt es zur Unterstützung sogar leichtes Gefälle. Über eine Brücke kommend mündet von rechts die Lindenstraße. Hier befindet sich auch ein großes Naturpark-Informationszentrum und an sonnigen Tagen tummeln sich an diesem Platz die Touristen in Scharen. Jeder, der nicht gerade den Schermützelsee umrunden will, startet genau hier seine Wandertour. Entweder folgt er dann dem Pfad am Ufer des Stöbber-Bachs oder er begibt sich steil bergauf in den Wald. Dort würde er nach etwa einem Kilometer auf den Poetensteig stoßen, der einige schöne Aussichten verspricht. Die Steilrampe in den Wald ist mit dem Mountainbike aber kaum zu schaffen. Außerdem würden mir durch diese Abkürzung einige Attraktionen entgehen. Klar, dann wähle ich den Uferweg am Bach. Der Poetensteig kommt später. Touristen treffe ich übrigens keine: Es ist Wochentag und es ist einfach zu kalt!



Der Stöbber schlängelt sich für etwa zwei Kilometer durch den Wald, bevor er auf den Großen Tornowsee trifft. Dort werde ich den Stöbber verlassen. Naturschützer schwärmen bei diesem Bach von dem einzigartigen Auwald, von irgendeiner fast ausgestorbenen Muschelart und davon, dass hier sogar eine bestimmte Jungfer ideale Bedingungen zum Eierlegen finden würde. Gemeint ist die Gemeine Keiljungfer, eine Libellenart und ich kann versichern: Sie ist noch nicht einmal geschlüpft!

 

Für mich sieht der Stöbber wie ein ganz normaler Bach im Wald aus. Die unmittelbare Umgebung ist nun einmal etwas sumpfig. Dass es durchweg gut befahrbare Wege an seiner Seite gibt, ist ein Pluspunkt. Eine schmale Holzbrücke will überquert werden und zu meiner Freude kann ich auch das eine oder andere Schlammloch durchwühlen. Merke: Wo Fußgänger auf spitzen Zehen staksend eine halbwegs trockene Passage suchen, matsche ich einfach mitten durch!

 

Der große Tornowsee liegt ausgesprochen idyllisch, eingebettet in ein Hügelland und dichten Wald. An seinem Nordufer steht sehr dekorativ ein altes, dreistöckiges Haus. Das 1912 errichtete Gutshaus wirkt fast wie ein verwunschenes Schloss. Wilhelm von Oppen, dem Gutsbesitzer, blieb nicht viel Zeit, sein Refugium am See zu genießen. Nach finanziellen Turbulenzen musste er verkaufen. Die Immobilie ging durch mehrere Hände, wurde während des 2. Weltkriegs Lazarett und später Kinderheim. Die heutige Betreibergesellschaft gilt als gemeinnützig und verdient ihre Brötchen im Gesundheits- und Sozialwesen. Doch das unsanierte Haus wird ganz kommerziell als Hotel und Eventlocation geführt. Es wirkt in seinem Shabby-Chic ausgesprochen charmant. Zur Zielgruppe gehören alternativ-romantisch angehauchte Großstädter, die vorsorglich darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie nicht mit Car-Sharing-Autos anreisen können. Mangels Handyempfang lassen sich die Wagen nicht wieder starten!


Gutshaus am Tornowsee
Gutshaus am Tornowsee

Der Uferweg am Großen Tornowsee ist ein Traum! Beim Gutshaus ist der Übergang zur Straße dank tiefer Rinnen etwas knifflig, doch gleich danach komme ich auf gutem Asphalt bequem an dem großen Wassergrundstück vorbei. Ich nehme eine Betonplattenstraße, die ehemalige Lieferanteneinfahrt des Kinderheims, und bin schon wieder am See. Jetzt heißt es Kräfte sammeln. Denn nun will ich auf den Poetensteig und der verläuft oben auf dem Kamm der Buckower Berge. Gebirgsbewohner werden spöttisch grinsen, wenn ich jetzt sage, dass ich ganze 60 Höhenmeter überwinden muss. Aber Brandenburger Höhenmeter sind besonders schwer. Sie zählen mindestens doppelt!

 

Aber ernsthaft: Es gibt nicht viele Möglichkeiten, hinaufzukommen. Silberkehle und Wolfsschlucht sind zwar sehr malerisch, aber für das Bike viel zu steil. Und sie sind mit derart vielen Totholzhindernissen gespickt, dass selbst Wanderer ihre liebe Mühe haben. Die vermeintlich einfache Auffahrt über das Dorf Pritzenhagen bringt nicht nur ein ödes Stück Straße mit sich. Der so genannte Wanderweg quer über das Feld existiert einfach nicht, so dass ich mehr oder weniger einer Ackerfurche folgen müsste.

 

Die letzte Variante ist die Beste. Ein schmaler Naturpfad führt zielstrebig hinauf. Er zielt zunächst zwischen Silberberg (88 m) und dem Gipfel beim Großen Stein (ca. 80 m) hindurch, wendet sich, gewinnt weiter an Höhe und endet schließlich auf der Aussicht am Großen Stein. Der Weg ist sehr steil und stellenweise so knifflig, dass es schon einiger Konzentration und Anstrengung bedarf, um im Sattel zu bleiben.

 

Um ehrlich zu sein, an einer Stelle gelingt das nicht. Ein dicker Baum hat sich unglücklich quer über den Weg gelegt, dass nur Fuchs, Hase und des Jägers Waldi darunter hindurchpassen. Fahrräder und Menschen müssen irgendwie darüber bugsiert werden, was schon ein bisschen anstrengend ist. Weil wir gerade bei den unangenehmen Wahrheiten sind: Diese Buche ist nicht das einzige Baumhindernis auf der Tour. Im Ganzen bin ich wohl auf acht oder neun Bäume gestoßen, die an Plätzen lagen, wo sie nicht hingehörten. Da half nur absteigen und tragen. Aber es lohnt sich nicht, sich darüber zu ärgern.

 

Der kleine Rastplatz beim Großen Stein ist ein lauschiges Fleckchen. Es gibt sogar eine recht weite Aussicht. Nur außerhalb der kleinräumigen Märkischen Schweiz ist das Umland flach wie ein Teller und da gibt es nun einmal nichts Spektakuläres zu sehen.

 

Ab jetzt bin ich auf dem Poetensteig. Über diesen Pfad schreiben andere Mountainbiker im Internet so Dinge wie: „Der Poetensteig ist ein schöner Singletrail mit ebenso schönen Aussichten.“ oder „Der Poetensteig ist einer der schönsten Wege der Märkischen Schweiz.“ Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Es geht munter auf und ab und wird nie langweilig. 



Geradezu mystisch wirkt die Stimmung, als ich mich über einen schmalen Landrücken der Dachsbergaussicht nähere und das Licht der tiefen Sonne in Streifen durch den lichten Wald wabert. Am Dachsberg-Rastplatz gibt es sogar eine kleine Hütte, doch die Aussicht ist die gleiche wie vor fünf Minuten.

 

Damit der Schweiß an mir keine Chance zu trocknen hat, kämpfe ich mich noch auf den eigentlichen Dachsberg (106 m) mit seinem Teufelsstein hoch. Wie üblich spielten hier die Bauern einst mit dem Teufel Karten. Wie gewöhnlich verlor der Teufel das Spiel, wurde wütend (der Teufel ist nämlich ein schlechter Verlierer) und zertrümmerte den Stein. Deshalb liegen heute mehrere Felsbrocken auf dem Gipfel. Ich finde hier jedoch weder Bauern, Teufel, noch Aussicht und radle gleich zurück auf den Poetensteig.

 

Auf ihm gelange ich zur Jonashöhe (110 m). Der Anstieg erfolgt eher langsam und gemächlich, ist damit aber kaum weniger anstrengend. Dafür kann ich mich damit trösten, dass es nun nur noch abwärts geht. Der Poetensteig wird hier, wo es keine „Sehenswürdigkeiten“ mehr gibt, eher noch schöner und urwüchsiger. Einige Abwärts-Stufen verlangen noch einmal Konzentration, doch dann komme ich schon zu einer Wegkreuzung.

 

Links, rechts oder geradeaus? Geradeaus natürlich, denn so rolle ich hinunter in das Tal des Sophienfließes. Das Bächlein mäandriert in einer tiefen Talkerbe und sieht nach meinem Geschmack viel wilder und romantischer aus, als der Stöbber vorhin. Mir werden mehrere hölzerne Stege und Brücken geboten, ehe ich entlang des Bachs zurück nach Buckow rollen kann. Letzte Herausforderungen sind ein paar bedrohliche Wurzeln und Baumstümpfe, die sich mitten auf der schnellen Piste fläzen. Dann kommt ein kurzer Knüppeldamm und schon bin ich auf der Wriezener Straße. Gleich gegenüber steht die Ruine des Tiroler Hauses und dort parkt auch schon meine rollende Basisstation.

 

Wie es war? Ich bin geschafft, verschwitzt und glücklich!


Wilde Romantik am Sophienfließ
Wilde Romantik am Sophienfließ

Ich habe Buckow auf die Probe gestellt und Buckow hat geliefert: Anspruchsvolle und flowige Trails ohne Langeweile. Bissige Anstiege, Waldduft, Sonnenkitzel und traumhafte Landschaften. Und Gelegenheit, die Seele baumeln zu lassen, wurde mir auch geboten. Mehr habe ich nicht gewollt!

 

Ich denke, ich bin von nun an häufiger in Buckow. Vielleicht sieht man sich ja einmal dort?



Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Tour? Ist nicht im Text ist von "Eiskristallen" die Rede und dabei zeigen die Bilder schönstes Frühlingswetter mit frischem Grün? Gut beobachtet und aufmerksam gelesen! 

 

Die Lösung des Rätsels: Die Tourgeschichte habe ich schon im Februar aufgeschrieben, die Fotos entstanden aber an einem sonnigen Mai-Nachmittag! Gefahren bin ich die Strecke in diesem Frühjahr einige Mal, da ist das Veröffentlichungsdatum 8. März einfach ein Kompromiss ...

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