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Thors Prøve

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Mein nächster Fahrradtag beginnt also an der Ostküste, der Ostseeküste von Jütland. Die Stadt heißt Aarhus und hat mir heute Nacht einen Ruheplatz geboten. Aarhus ist eine lebhafte Studentenstadt und dazu eine richtige Großstadt, die zweitgrößte nach Kopenhagen sogar. Ich bin selbst überrascht, dass ich - etwas außerhalb des Zentrums und in der Nähe eines malerischen Yachthafens - trotzdem eine derart ungestörte Freitagnacht hatte. 

Das Thema des heutigen Tages ist für mich eindeutig wieder das Fahrradfahren. Und wie bereits beschrieben wurde ich vom Saulus zum Paulus! Ich bin nämlich auf den Bike-Park-Geschmack gekommen. Bevor falsche Schlüsse gezogen werden: Dem Herunterhoppeln steiler Berge mit krachenden Sprüngen und diversen Nahtod-Erfahrungen kann ich immer noch nichts abgewinnen.

 


Jütlandreise
 
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Thors Prøve - Aarhus
Die verschwundene Brücke - Silkeborg

Aber die hyggeligen dänischen Mountainbikestrecken ziehen mich in ihren Bann. Die Betonung liegt auf „Strecke“ und die Hindernisse sind nicht weniger und nicht mehr als eine fein dosierte Würze, die aus faden Kilometern einen Hochgenuss macht. Es gibt hier sozusagen eine Fahrspaß-Garantie und trotzdem keine Probleme mit wandernden Träumern.

 

Genug der Vorrede. Südlich der Stadt Aarhus zieht sich ein langer Waldstreifen an der Ostseeküste entlang. Es ist der Marselisborgskovene. (Der Wald von Marselisborg.) Das ist ein ausgesprochen hügeliges Gelände - die Dänen würden sicher „bergig“ sagen - das mit einem schönen lichten Mischwald bewachsen ist. Die Ostseeküste, deren Strand sich nicht so recht zwischen Steilküste und Sandstrand entscheiden mag, ist immer nur einen Steinwurf entfernt. Gelegentliche Ausblicke aufs Meer bieten eine reizvolle Ablenkung, gerade dann, wenn man irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen mag.  

 

Als Ausgangspunkt für meine heutige Runde wähle ich den Großparkplatz am Moesgård Strand. Er liegt etwa auf halber Höhe des bewaldeten Küstenstreifens. Gleich hier gibt es einen netten kleinen Strandabschnitt umrahmt von ein paar hügeligen Wiesen die für einen lichten und freundlichen Eindruck sorgen. Ich strample einen halben Kilometer in den Wald hinauf und finde auch gleich den Einstieg in die markierte Mountainbike-Route. Zunächst verläuft der Trail nach Norden, der Stadt Aarhus entgegen. Dort besuche ich kurz das Meer und wende auf anderen Wegen nach Süden. Anschließend gelange ich, ohne es überhaupt zu merken, am Parkplatz vorbei auf die Südrunde. Nachdem ich mich in endlosen Mäandern wieder nordwärts gedreht habe, klinke ich mich aus, um am Auto ein paar Kalorien zu tanken. Das Ganze ist also eine vortrefflich markierte, riesengroße 8 von insgesamt 26 Kilometern Länge. In ihr wäre man endlos gefangen, würde man nicht bewusst einen Ausgang suchen.

 

Um es kurz zu machen: Ich drehe heute ganze zwei Runden und bin danach zwar nicht voll verausgabt, aber angenehm knülle. Auf meiner Fahrt erlaube ich Millionen Baumwurzeln, mich ordentlich durchzuschütteln. Ich bleibe zweimal an einer harten Steigung hängen, die so unvermittelt kommt, dass ich im falschen Gang feststecke. Beim zweiten Mal hätte ich es einfach besser wissen müssen, denn es ist ja dieselbe Steigung! Sinnigerweise passiert das auf einem Abschnitt, der den Namen Talentsporet (Talentspur) trägt.

 



Diverse schöne Abfahrten mit perfekten Steilkurven vermitteln eine Ahnung von Geschwindigkeitsrausch und die entsprechenden Anstiege fordern ihren Tribut in Form von Schweiß. Einer von ihnen heißt „Thors prøve“. (Thors Prüfung!) (Ich glaube, ich habe bestanden.) Auf all diesen Wegen sind durchaus auch einige Spaziergänger mit und ohne Hund unterwegs. Aber anders als zu Hause, wo böse Blicke noch das mindeste wären, verlaufen die Begegnungen durchweg entspannt und rücksichtsvoll. Das muss einfach an dieser besonderen dänischen Gemütlichkeit liegen!

 

Bei aller Radelei bleibt mir genug Zeit, die Umgebung in mich aufzunehmen. An meinem nördlichen Wendepunkt steht ein großes schönes weißes Haus. Es scheint ein Gasthaus oder Hotel zu sein und ist im altertümlichen Seebäder-Chic gestaltet. Es wirkt enorm vornehm und passend dazu sieht die Umgebung aus wie ein alter herrschaftlicher Park. Sie ist versehen mit einer Brücke und einem kleinen künstlichen Wasserfall. Dieser Park senkt sich hinab zur Ostsee, die hier ein ganz sanftes Meer ist, denn Wind und Wellen fehlt einfach die Anlaufstrecke. In den Sommermonaten wird gerade hier eine ganz besondere, weil kreisförmige Seebrücke („Die endlose Brücke“) aufgebaut, doch jetzt Anfang März sieht man nur ein paar Pfähle.

 

Am anderen Ende des Trails führt der Weg wie auf einer Berg- und Talbahn auf einem schmalen Grat oben auf der Steilküste entlang. Anders als in Mecklenburg reicht hier der Baumbestand aber bis hinunter an den schmalen Strand. Deshalb blitzt mir das blaue Meer immer wieder durch ein Gewirr von Stämmen und Ästen entgegen. Das sieht sehr romantisch aus, würde aber alleine sicher schnell langweilig werden. Doch ich muss auch immer ein Auge auf meine Fahrspur haben. Wende ich dann von Zeit zu Zeit den Blick zum Wasser, hat sich die Perspektive wieder völlig verändert.

 

Im hintersten Winkel des Waldes finde ich endlich sogar einen Biwak-Zeltplatz. Für mich mit meinem Inkognito-Gespann ist das zwar keine Option, aber ich bin überrascht, wie viele kleine Zelte zu dieser Jahreszeit schon aufgebaut und offensichtlich auch bewohnt sind. 

 

Aber wie passt dieser Biwak-Platz eigentlich zu einem ganzen Bündel meiner Vorurteile über Dänemark:

Erstens: Alles ist geregelt, überall gibt es Vorschriften und es bleibt kein Platz für Individualität, Freiheit und Spontanität.

 

Zweitens: Das Land ist vollgestopft mit offiziellen Campingplätzen mit ihren Parzellen, Maschendrahtzäunen und Gebührenordnungen.

 

Drittens: Dänemark ist sauteuer. Dadurch sind alle Aktivitäten, die über das „Chillen auf dem heimischen Sofa“ hinausgehen immer mit erheblichen Ausgaben verbunden. 

 

Der Witz ist, dass alle drei Vorurteile völlig zutreffend sind. Und doch gibt es für den spontanen Ausbruch in die Wildnis eine Lösung, auf die wir in Deutschland sogar ausgesprochen neidisch sein können. Im ganzen Land sind nämlich so genannte „primitive Zeltplätze“ ausgewiesen. Sie finden sich an den schönsten Stellen in der Natur, verfügen meist über einen Feuerplatz und erlauben Wanderern das kostenlose Aufstellen kleiner Zelte für eine Nacht. Mehr noch: Es gibt hunderte „Shelter“. Das sind niedrige feste Blockhütten, die einen wettergeschützten Schlafplatz gewähren. Ein Zelt ist also gar nicht unbedingt nötig, denn Isomatte und Schlafsack genügen hier!

Nun zurück auf den Sattel: Mit schwindenden Kräften stampfe ich den Hügel zu einem Steinkreis hinauf, der in wenigstens meiner Fantasie einmal ein Wikingergrab war. (Vielleicht haben aber auch nur ein paar neuzeitliche Landschaftsgestalter die Steine an diesen Fleck geräumt.) Dann schliddere ich die feuchte Wiese zum Meer hinunter. Und final lasse ich es mir nicht nehmen, im weichen Sand an der Wasserkante entlang zu fahren, nur weil ich es dank der breiten Reifen eben kann. Schließlich kehre ich mit Riesenhunger zu meiner ganz privaten Frühstücks- und Abendbrots-Pension zurück. Wieder geht ein genialer Fahrradtag zu Ende. Hier an der Ostküste gäbe es bestimmt noch viel zu sehen, doch mein unruhiger Geist hat beschlossen, am letzten Fahrradtag dieser Reise noch eine dritte Landschaft zu erkunden. Deshalb fahre ich später noch mit Auto und Zweitwohnung am Haken durch die Nacht, meinem neuen Ziel entgegen … 



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