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Nebelgrau

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„Ich war in Dänemark schon einige Male und die Landschaft so wie die Kultur sind wirklich langweilig. Mir fehlen die Worte, ich mag nichts an Dänemark. Nicht einmal die Möbel.  ...  Hab (die Landkarte) im Kamin als Brennmaterial verwendet“

 

(Leserrezension bei Amazon für eine Dänemark-Landkarte)

 

Was für eine großartige Motivation für diese Reise …

 


Jütlandreise
 
Nebelgrau  -  Mandø und Ribe  
An der Noooordseeküste ...   -  Blåvand
Thors Prøve - Aarhus
Die verschwundene Brücke - Silkeborg

Wir schreiben das Jahr 2022 und die Corona-Festspiele laufen immer noch auf Hochtouren. Meine Wahl fällt auf Dänemark, weil ich bei meiner Zielsuche konsequent den Weg der geringsten Restriktionen gehe. Und die Dänen haben doch tatsächlich am 1. Februar einen (hoffentlich endgültigen) Schlussstrich unter die Panik-Pandemie gezogen: Freedom Day! Das macht mich neugierig. Wie wird sich die ungewohnte Freiheit anfühlen? Und kann ich vielleicht bei dieser Gelegenheit auch gleich meine Vorurteile entsorgen, die ich schon immer mit Dänemark verband? Die fehlenden Berge, der ständige Gegenwind und die hohen Preise sind schließlich harte Fakten, oder doch nicht?

 

Der interessantere Teil der Reise beginnt an einem Dienstagnachmittag, als ich die dänische Grenze erreiche. Schengen hin, Europa her, Dänemark legt Wert auf seine Grenze. Es gibt nur eine Handvoll Übergangsstellen und die sind alle gut bewacht. Für mich fühlen sich Grenzübergänge immer so an, als wenn man vom Lehrer aufgerufen wird und gar nichts weiß. Mit mulmigem Gefühl steuere ich auf das Kontrollhäuschen zu. In Schrittgeschwindigkeit rückt das Gesicht eines jungen Grenzbeamten näher. Ein prüfender Blick, ein kurzes Zucken der Dienstmütze und eine kaum sichtbare Handbewegung später habe ich freie Fahrt. Prüfung bestanden, Dänemark, ich komme!

Für heute Abend habe ich die kleine Insel Mandø ins Visier genommen, oder genau genommen deren Zufahrt. Die Insel ist gleich die zweite dänische Nordseeinsel hinter Sylt. Dieses Eiland hat eine reizvolle Besonderheit. Seine Verbindung zum Festland besteht aus einem Damm, der regelmäßig durch die Flut überspült wird. Nur bei Ebbe gilt die Schotterstraße als passierbar. 

 

Heute Abend parke ich mein Autogespann Nordseeseitig auf der ungeschützten Seite des Deichs. Ob das eine gute Idee ist? Aber genau hier ist eine Parkbucht, auf der alle Fahrzeuge auf einen günstigen Wasserstand zur Überfahrt zur Insel warten sollen. In der letzten Dämmerung und ohne eine Idee vom aktuellen Pegel mache ich einen Spaziergang auf dem flachen Damm ins nebelgraue Nichts der See. Mandø müsste in etwa fünf Kilometern Entfernung vor mir liegen. Doch von hier aus ist weder etwas zu sehen noch zu erahnen. Um mich herum lärmen ein paar Wasservögel, es riecht nach Meer und dort, wo sich Gräser und Schilf vom Weg zurückziehen, breiten sich schlammige Flächen aus. Ich habe keine Ahnung, ob wir gerade Hoch- oder Niedrigwasser haben und wie schnell mir das Meer den Rückweg abschneiden würde. Die wenigen Wasserpfützen auf der Fahrspur wirken jedenfalls ausgesprochen harmlos. Trotzdem kehre ich nach einigen hundert Metern um. Mich lockt der warme Schlafsack und die Vorfreude auf die morgigen Fahrraderlebnisse mehr, als ein vermeintliches Gezeitenabenteuer. Als ich in meine kuscheligen Decken eingemummelt bin, verrät mir das schlaue Internet, dass wir gerade Niedrigwasser haben und der höchste Wasserstand morgens um 2:29 Uhr zu erwarten ist. Morgen früh um 8:17 Uhr wäre der Pegel dann wieder ganz unten. Das sollte doch eine gute Gelegenheit sein, gleich morgen früh den Fahrradtag mit einem Trip auf die Insel zu beginnen!

 



Vorerst bleibe ich aber etwas unruhig. Wie hoch wird das Wasser bei so einer Flut steigen? Könnte ich nasse Füße bekommen? Nach einem Kurzschlaf mache ich noch einmal eine Wasserstandsinspektion. Es ist nun fast Mitternacht. Die Welt jenseits meiner Zeltplane ist unwirklich still. Die Luft ist kalt, feucht und dunstig. Trotzdem leuchten mir von oben die Sterne. Ich mache mich noch einmal zu Fuß ein Stück auf den Weg, der „Laningsvejen“ heißt, wie ich jetzt weiß. Als meine Gummipantoffeln auch nach  zweihundert Metern noch trocken bleiben, verhole ich mich beruhigt zurück ins Bett.

 

Pünktlich wache ich kurz nach 7 auf, sattle schnell mein Monsta-Bike und bin schon auf dem Weg zur Insel. Auch jetzt, also bei Niedrigwasser, hat der Weg einige Pfützen. Er ist schotterig mit gröberen Steinen, doch insgesamt ist es ein gutes Fahren. Die Sicht beträgt vielleicht 300 Meter, danach wird der Blick noch immer vom grauen Nebel geschluckt. So finde ich mich bald mitten auf dieser nassen, unbefestigten Straße wieder, die ins Ungewisse führt und aus dem Nichts kommt. Auch zu beiden Seiten sind nur ein paar Gräser und gelegentlich eine Reihe Buhnen die letzten Fixpunkte vor der vagen Unendlichkeit. Längst habe ich das Gefühl für Entfernungen verloren. Die Beine stampfen, Bike rollt und das Muster der Pfützen unter mir variiert.

 

Endlich gibt es etwas zu sehen. Auf der linken Seite entfernt sich eine Reihe von Pricken zunächst im Schlamm und weiter hinten im Wasser. Pricken sind kahle junge Birkenbäumchen, die in den Boden gesteckt werden, um einen sicheren Weg durchs Watt zu markieren. Sie sehen ein bisschen wie verkehrt herum in die Erde gespießte Reisigbesen aus. Bei Luft- und Wassertemperaturen im niedrigen einstelligen Bereich reicht meine Neugier allerdings nicht aus, diesen überfluteten Weg mit dem Mountainbike zu testen. Klar ist nur, dass diese nasse Straße der „Ebbevej“ sein muss. Er ist als dünne Linie in meinen Landkarten verzeichnete und verläuft fast parallel zu meinem Damm. Als reiner Sommer-Touristenbespaßungs-Weg ist er noch weniger befestigt und etwas tiefer. Dadurch ist er eigentlich immer von Wasser bedeckt und zur richtigen Jahreszeit bestimmt ein Riesenspaß! Übrigens ist dieser Ebbevej mit einem Sperrschild versehen, um todesmutigen Autofahrern ein schlechtes Gewissen einzujagen, bevor sie womöglich ihr Fahrzeug versenken. Interessant ist, dass es sich um das Verkehrsschild Nummer 260 StVO handelt (oder seinem dänischen Gegenstück), „Verbot für Kraftfahrzeuge“. Das ließe sich doch direkt als Einladung fürs Bike verstehen! Doch angesichts der kalten Wetterküche, die mir heute Morgen geboten wird, hat meine Abenteuerlust schlechte Karten!

 

Am Horizont verändert sich der Grauton ins dunklere. Das muss nun endlich die Insel sein. Minuten später überquere ich einen erstaunlich hohen Deich, der die Begrenzung der Insel bildet. Hinter dem Deich sind Wiesen. Das Dorf kommt erst nach weiteren 2 Kilometern. Es beginnt mit einem einzelnen Hof, dem sich dann nach und nach immer mehr Häuser anschließen. Alles scheint hier noch zu schlafen. Nur ein Hund jagt mir ausdauernd hinterher, wahrscheinlich als Ausgleich dafür, dass er mich zunächst nicht bemerkt hatte. Hier im Dorf gibt es immerhin eine Mühle, einen Dorfkrug (geschlossen und zu verkaufen) und sogar eine kleine Kirche.

Viel Zeit benötigt man zur Erkundung der Insel nicht und viel mehr Zeit will ich mir auch gar nicht nehmen. Schließlich kann ich als alte Landratte die Tide nicht richtig einschätzen und möchte weder nasse Schlappen kriegen, noch auf der Insel für Stunden gefangen sein. Wo doch sogar die Kneipe geschlossen ist! Ich drehe also um, radle hinter dem Deich um die halbe Insel, begegne immer noch keiner Menschenseele, hüpfe mit meinem Bike über den Deich und tauche erneut in die Einsamkeit des Wattweges ein.

 

Um 9:00 Uhr bin ich bereits zurück an meinem mobilen Domizil. Zeit für ein Frühstück! 

 

So ganz einsam ist es nun hier auch nicht mehr. Immer wieder macht sich ein Fahrzeug auf den Weg zur Insel. Das letzte Auto ist ein Kleinwagen mit zwei fröhlichen Däninnen, die mich nach dem Weg fragen. Sie zerstreuen meine Bedenken zum Wasserstand und machen sich unbesorgt auf die Reise. Irgendeine kompetente Person am Telefon muss ihnen erklärt haben, dass eine Fahrt bei steigendem Wasserstand auch zwei Stunden nach dem Niedrigwasser ungefährlich sei. Da in der nächsten halben Stunde keine Rettungsfahrzeuge auftauchten, kann es so schlimm mit der Unpassierbarkeit des Wegs bei Flut wohl nicht sein …

 

Meine erste Bilanz: Ich war gerade 1½ Stunden auf dem Fahrrad, bin aber schon von oben bis unten mit Schlammspritzern eingedeckt. Außerdem hatte ich zu Hause versehentlich zwei linke Handschuhe eingepackt. Notdürftig passt auch die rechte Hand in den linken Fingerwärmer. Aber für die nächsten Tage, die ja kalendarisch immer noch zum Winter zählen, muss trotzdem dringend Ersatz her. 

 

Ja, und richtig Spaß gemacht hat er auch schon, der kleine Trip ins Graue.  So kann es weitergehen! 

Für die Fahrt ins nahe Ribe nehme ich aber dann doch lieber mein Auto-Gespann. Für einen gepflegten Stadtbummel kommt meine bespritzte Vermummung nicht in Frage und heute Nachmittag habe ich noch einen Fahrradausflug in die entgegengesetzte Richtung vor.

 



Ribe gilt als die älteste Stadt Dänemarks. Vor mehr als tausend Jahren lag hier schon ein bedeutender Handelsplatz mit schiffbarer Verbindung zum Meer. Mit einer Einwohnerzahl von 5000 gehörte Ribe im Mittelalter zu den bedeutendsten Städten Nordeuropas. Doch ab dem 16. Jahrhundert ging es beständig abwärts. Dafür sorgten nicht nur Großbrände, Sturmfluten und Pestseuchen. Es gab mittlerweile einfach bessere Häfen im Lande und die Handelsströme verlagerten sich. Heute ist Ribe eine schöne historische Stadt. Sie ist aber auch sehr klein und wohl auch sehr unbedeutend. Ob es hier für mich ein paar Winterhandschuhe gibt?

 

Bei meiner Parkplatzwahl habe ich das Talent, den ödesten Zipfel der Innenstadt zu erwischen. Ich wandere durch ausgestorbene Gassen mit alten Häusern. Die wenigen Läden und Gaststätten wirken so, als wäre der Prozess des Abstiegs der Stadt auch jetzt noch in vollem Gange. Auf dem Hauptplatz überrascht mich die gewaltige Domkirche. Ein Bierlaster entlädt davor. Vielleicht die persönliche Versorgung des Bischoffs? Ein Stück weiter finde ich den Hafen, der so klein ist, dass er höchstens für ein paar Fischkutter taugt. Bestimmt waren die Handelsschiffe vor ein paar hundert Jahren gar nicht größer. Im Anschluss entschließe ich mich, durch diesen Minihafen hinunter zur Burg zu trödeln. Alles in dieser Stadt ist nur ein paar Schritte entfernt. Die Burg ist heute nur noch ein Wassergraben, der ein Viereck aus mächtigen Burgwällen umschließt. Ich erkunde die grasbewachsenen Hügel, drehe eine Runde um Burg und Graben und bin wieder in der City. 

 

In ihrem weiteren Verlauf Richtung Osten wird die Einkaufsstraße endlich geschäftiger. Die Häuser sind hier viel mehr herausgeputzt und die Läden sehen teuer aus. Handschuhe könnte es hier wohl geben, nur nicht für mein Budget. Am Ende komme ich in den Bereich der Supermärkte und fühle mich schon viel wohler. Wie wohl in jedem europäischen Städtchen tobt genau hier das Alltagsleben. Nur eine Minute später bin ich ein Teil davon! Genüsslich lasse ich mich durch diesen Markt treiben. Ich hatte schon ganz vergessen, wie schön es ist, völlig normal und ohne jedes Corona-Theater, ohne Schutzmaske und ohne irgendwelche behördlichen Bescheinigungen durch ein Ladengeschäft zu dümpeln. In der Bekleidungsabteilung finde ich die gesuchten Handschuhe - dem nahen Frühlingsbeginn sei Dank - sogar zum Schnäppchenpreis. Ich trödele nach Herzenslust herum und kaufe noch dies und das. Völlig beseelt vom Shopping werde ich überrascht, als ich aus dem Laden trete: Eine strahlende Sonne leuchtet vom fröhlich blauen Himmel herunter. Der Dunst und die grauen Wolken sind vergessen. Nun aber schnell zu meinem Fahrrad! 

 

Ribe und seine Einfamilienhaussiedlungen sind schnell durchquert. Ein Damm führt mich dann über saftig grüne Wiesen. Auf manchen Flächen steht das Wasser und funkelt nach Leibeskräften in der Sonne. Ein Dorf später und nach ein paar Kilometern Landstraße kommt ein Abzweig, der mich in einen kleinen Wald bringen soll. An dieser Wegkreuzung bietet es sich an, gleich mit drei Vorurteilen über Dänemark aufzuräumen: 

 

Nein, nicht alle Landstraßen haben ausgebaute Fahrradwege, obwohl diese Konstellation häufiger als bei uns anzutreffen ist. Diese Landstraße hier zum Beispiel ist eine Straße mit regem Fahrzeugverkehr, ohne Radwegausstattung und auch ohne sinnvolle Routenalternative für das Radeln. 

Nein, die Dänen im Allgemeinen sind kein Fahrradvolk, auch wenn das gern von zeitgeistigen Journalisten herbeigeschrieben wird. In Kopenhagen mag das anders sein, aber in Ribe und seinem Umland habe ich bis jetzt gerade eine Handvoll Velos gezählt. Keines davon war ein liebevoll gepflegtes Vorzeigestück. 

Ja, anders als allgemein erwartet, gibt es in Dänemark sehr wohl Wälder. Es mögen keine endlos tiefen Märchenwälder sein, doch dafür hat der Forst nicht selten eine interessante Sonderausstattung, von der gleich die Rede sein wird. 

 

Ich biege also in den sandigen Seitenweg ab. Noch gibt es vom Wald keine Spur. Vielmehr ist die Landschaft ein plattes Ödland, durchzogen von flachen Hügeln und Furchen. Es ist bewachsen mit einer dürren Vegetation, die offensichtlich ein ausgesprochen karges Leben fristet. Die Szenerie sieht verdächtig nach einem militärischen Übungsgelände aus, doch für diese Vermutung finden sich keine weiteren Indizien. Nun rückt auch der Wald näher. Als breiter Forstweg setzt sich meine Straße fort. Und dann komme ich an den Punkt, den ich mir als Tagesziel ausgesucht hatte. Auf meiner Landkarte war mir genau hier ein seltsames Gebilde aus Fahrradwegen aufgefallen. Es handelte sich um ein unentwirrbares Knäul von Strecken mitten im Wald, eine Art Verkehrsknotenpunkt ohne Verbindung zu anderen Routen. Was mag das sein? Ach, da habe ich es schon: „In der Stensbæk Plantage führt eine ungefähr 7 km lange Mountainbike-Strecke durch herrliche Natur.“ sagt die Website visithaderslev.de Das muss ich mir ansehen!

 

Der Startpunkt ist schnell gefunden. Hier beginnt eine einzelne schmale Spur - ein Singletrail also - der sogleich zwischen den Bäumen verschwindet. Und dann geht es auch sofort zur Sache: hart links, dann gleich wieder rechts, ein paar Wurzeln zum darüberrattern, kurze Gefälle, knackige Anstiege -gerade mal eine Tretumdrehung lang -, und sofort wieder eine links-rechts-Kombination. Der Lenker steht keine Sekunde still, den Bäumen muss ausgewichen und der Schwung der letzten Mini-Abfahrt will auch mitgenommen werden. Es gibt immer etwas zu tun. Dabei dürfte das Durchschnittstempo kaum höher als Jogginggeschwindigkeit sein, doch die Action hört nie auf. Die Fahrt fühlt sich viel, viel schneller an! Dieser Trail ist liebevoll angelegt, in gepflegtem Zustand und ausgesprochen verspielt. 

 

Da muss ich gleich an meine 11-jährige Nichte Lena denken. Dieser Wirbelwind ist fahrradbegeistert und ein wahres Energiebündel, aber altersbedingt nicht mit dem allerlängsten Geduldsfaden ausgestattet. Für sie wäre diese kurzweilige Strecke genau das Richtige und ganz bestimmt ein Mordsspaß! Nur Schade, dass ich mit ihr nicht mal schnell die 530 Kilometer nach Ribe fahren kann, damit wir gemeinsam ein paar Runden auf diesem herrlichen Trail drehen könnten. Lena war es übrigens auch, die mich in das Computerspiel „Need for Speed“ eingeführt hat. Dort steuert man irgendwelche Porsches durch virtuelle Welten. Mit riesigen Pfeilen wird einem dabei angezeigt, wohin man abbiegen muss, um auf der Strecke zu bleiben. Hier im Gelände ist es ganz ähnlich. Holzpfähle mit aufgemalten Pfeilen weisen den Weg, ein Verfahren ist unmöglich und die Aufmerksamkeit ist nicht durch die Navigation abgelenkt. So kann die Konzentration ganz bei der Bewältigung der vielen kleinen Hindernisse bleiben. (Noch ein Wort zu „Need-for-Speed“: Ich durfte seinerzeit den Controller gerade einmal für drei Minuten bedienen, dann übernahm meine Pilotin lieber wieder selbst das Steuer. Als Computerfahranfänger war ich viel zu langsam…) 

 

Nach einer halben Stunde auf dem Trail bin ich durchgeschwitzt, voller Adrenalin und glücklich wieder am Startpunkt. Ich wählte dabei übrigens die kürzere Strecke von 4 Kilometern. Wahnsinn, das waren jetzt 4 Kilometer und davon kein einziger Meter Langeweile! Ihr Dänen müsst auf eine sympathische Weise verrückt sein! Mountainbiking ohne Mountains und dann so eine geniale Strecke, nicht nur ein paar hundert Meter, nein kilometerlang, irgendwo in der Pampa weit weg von jeder Großstadt! Offenbar gibt es nicht einmal Stress mit Naturschutzbehörden, Jägern oder Weltverbesserern. Ich bin wirklich begeistert. Ob ich mir noch eine zweite Runde gönnen sollte? Aber sicher!

 

Die zweite Runde macht nicht weniger Spaß als die erste. Einzelne Hindernisse erkenne ich natürlich wieder, doch ich könnte nie sagen, was als Nächstes bevorsteht oder wie weit ich schon gekommen bin. Sicher ist nur, dass ich nach einer weiteren halben Stunde wieder mit breitem Grinsen am Startpunkt ausrolle. 

Für eine dritte Runde müsste ich erst einmal Kräfte sammeln, denn der ständige Wechsel aus Bremsen und hartem Beschleunigen frisst reichlich Energie. Leider würde es dann auch schon recht spät sein und ich habe ja auch noch eine knappe Stunde Rückfahrt vor mir. So sage ich dieser genialen Strecke „Farvel!“ (Tschüss) und mache mich wieder auf den Weg. 

 

 

 

Auf der Rückfahrt stelle ich mir die Frage, ob ich jetzt mein Weltbild ändern muss? Eigentlich bin ich nämlich kein Fan von sogenannten Mountainbike-Parks. Bisher erschienen sie mir als eine fahrradfreundliche Version von Disneyland, deren rasende Abfahrten und extra angelegten Hindernissen nur folgenden Zwecken dienen könnten: Rasantes Zerstören von teurem Material, effektives Beeinträchtigen der Gesundheit durch forcierte Knochenbrüche, sowie die Förderung von Aggressionen. Und wozu müssen überhaupt künstliche Pfade und Stolperfallen aufgebaut werden, wenn die Welt auf natürliche Weise schon absolut genug davon hat? Doch heute könnte sich meine Meinung geändert haben: Der blau markierte Rundkurs in diesem Wald ist ja so lang, dass er fast als touristisch gelten könnte. Gleichzeitig ist das Natur- und Landschaftserlebnis maximal und das alles bei optimalem Fahrvergnügen. Gerade letzteres ist auf „normalen“ Waldwegen keineswegs garantiert. Die üblichen Forstautobahnen langweilen bald, während kleine Pfade sehr schnell unpassierbar oder unberechenbar gefährlich werden können. Auch Experten kommen dann auf dem Bike nur wenige Meter weiter als Otto-Freizeitfahrer. Hier in der Stensbæk Plantage aber ist alles so dänisch-hygge: Durch die fehlenden Abfahrten bleiben die Geschwindigkeiten moderat und stressfrei, die exzellente Wegweisung erspart das Nachdenken und fein dosierte Wurzeln/Steine/Hügelchen sorgen für das Kribbeln im Bauch. Für Könner und Poser bietet der Rundweg einige rot gekennzeichnete Extratouren. An einer habe ich mich auch versucht: Ich glaube am steilen Anstieg war ich gar nicht schlecht, doch bei den Sprungstufen der Abfahrt musste ich kneifen.

 

 

Auf der Strecke nach Ribe kommt mir der alte Freund, der Seenebel, wieder entgegen. Heute Mittag hatte er sich ja so hektisch verabschiedet. Bei einer kleinen Pause mit weitem Blick über Felder und Wiesen bietet sich mir ein merkwürdiges Bild: Links glänzt die Landschaft in bunten, sommerlichen Farben. Die leuchtend grünen Wiesen strahlen mit dem blauen Himmel um die Wette und das Wasser der überschwemmten Felder funkelt dazu. Rechts dagegen ist schwarz-weiß-fernsehen angesagt. Ein Grauschleier frisst alle Farben der Natur und wirkt als Weichzeichner für alle Details. Man kann dabei zusehen, wie die Welt unter dem Schleier versinkt. Nur Minuten später stecke auch ich in der grauen Soße. Schön, dass es nur noch wenige Kilometer bis zu meinem mobilen Zuhause sind.



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