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Spindlerpass Challenge

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Nach dem obligatorischen Erholungstag wartet die nächste Herausforderung. Heute ist der Spindlerpass an der Reihe! Dieses Vergnügen ist sogar absolut familienkompatibel, denn der Bus zur Špindlerova bouda (Spindlerbaude) transportiert auf seinem Anhänger auch Fahrräder. So lässt sich Tina von der gut gefüllten Sardinenbüchse - also dem Bus - nach oben schaukeln, während ich auf die eigenen Kräfte setze. Wieder gebe ich mich ganz in die Hand der Gratis-Landkarte aus dem Hotel. Die Empfehlung des Tages lautet heute, die eigentliche Passstraße zu meiden und das Bergmassiv auf Nebenwegen zu bezwingen. 


Ein Riesengebirgs-Abenteuer in 6 Teilen:

Teil 1: Gipfelsturm auf den Medvědín 
Teil 2: Spindlerpass Challenge 
Teil 3: Transit Krkonoše 
Teil 4: Der kleine Bruder des Ještěd 
Teil 5: Die Wand Teil II
Teil 6: Velké Finále

Der erste Abschnitt wird auf der Zufahrtsstraße zur Medvědí bouda (Bärenbaude) absolviert. Ich weiß jetzt nicht, was diese Baude eigentlich verbrochen hat. Doch im Gegensatz zu den landesüblichen Standards (Asphaltstraße zu jeder Baude) spendierte man ihr nur einen Weg aus groben Betonplatten. In Verbindung mit den beachtlichen Steigungsprozenten ist das nicht nur ein Kraft- und Ausdauer- sondern gleichzeitig ein Rütteltest. Zum Glück sind an der Baude immer noch alle Teile an mir, sowie an meinem Fahrrad vorhanden. Auch die Laune wurde nicht nachhaltig zerrütte(l)t, denn gleich hinter der Baude verläuft die Route auf einem lieblichen Pfad ohne Steigung. Überhaupt kann man die Umgebung nur idyllisch nennen. Auf einer großen Bergwiese ducken sich ein paar urige Häuser. Am nahen Horizont gibt es nichts als hohe Bergkuppen und direkt vor mir grasen friedlich ein paar Ziegen. Über allem wölbt sich ein unwirklich blauer Himmel. 

 

Der Pfad unter meinen Reifen beginnt meine Konzentration zu fordern. Immer mehr und immer größere Steine liegen in der sandigen Spur. Irgendwie holpere und poltere ich auf eine süße kleine Hängebrücke zu, die über ein Bächlein führt. Die Brücke schafft für ganze 15 Meter Erleichterung. Danach holpert es weiter. Reifen springen, rutschen weg, dann greifen sie wieder. Es geht manchmal nur zentimeterweise vorwärts. Ich knalle in ein Loch. Autsch! Jetzt habe ich mir auch noch ein sehr sensibles Körperteil gestoßen! Mein Fluch schallt so laut durch den Wald, das Rübezahl aufgewacht sein muss, falls er hier in der Nähe Mittagsschlaf gehalten hat. Den Rest der Holperstrecke, die dann nur noch 500 Meter lang ist, schiebe ich mein Rad. 



Im Grunde mache ich diese Erfahrung nicht zum ersten Mal. Als Mountainbike-Fahrer wünscht man sich oft einen spannenderen Untergrund als Asphalt und glattgewalzte Schotterwege. Etwas Sand, ein paar Wurzeln, Steinchen und Spurrinnen geben einer Tour erst die richtige Würze. Doch der Grat ist schmal. Das gilt ganz besonders im Gebirge. Ein paar Felsbrocken zu viel, ein Baumstamm hier oder eine zu steile Rampe dort machen die Fahrt zuerst stressig und gleich darauf unmöglich.

 

Ich auf meinem unwegsamen Pfad scheine Rübezahls Prüfung bestanden zu haben. An der nächsten Gabelung übernimmt mich zur Belohnung ein bequemer Schotterweg. Er kreuzt eine enorm steile befestigte Straße an der Davidova bouda (Davidsbaude), auf der ich nachher herunterrasen könnte. (Das daraus nichts wird, weiß ich ja noch nicht!) Wir, das Bike Monsta und ich, verdrücken uns lieber wieder in den Wald und bleiben die ganze Zeit recht genau auf 1050 Metern Höhe. Einen Kilometer später ist die Spindlerpass-Straße erreicht. Jetzt heißt es, die letzten Kilometerchen auf Asphalt zu absolvieren. Im Grunde radelt sich diese Passstraße sehr angenehm, denn der Autoverkehr hält sich auf dieser gebührenpflichtigen Sackgasse in engen Grenzen. Als die Häuser der Erlebachova bouda (Erlebachbaude) in Sicht kommen, ist das Gröbste geschafft. Gleichzeitig wird die Umgebung interessanter. Es gibt weidende Pferdchen zu sehen und einige kleine und größere Häuser, die zumeist touristische Unterkünfte sind. Keine zehn Minuten später biege ich auf dem Parkplatz der Špindlerova bouda ein, wo gerade ein Linienbus die nächste Ladung Menschen aus dem Tal herangefahren hat. An der Baude treffe ich auch Tina. Wir beschließen, zur Petrova bouda „Petrovka“ (Peterbaude) hinüber zu radeln.

 

Tipp: Den Umweg über die Betonplattenstraße und die groben Steine kann man sich sparen. Am besten gleich die reguläre Straße zum Spindlerpass hinauffahren!

 

Die Petrovka ist eine markante Erscheinung. Dadurch, dass sie beinahe direkt auf dem Gebirgskamm errichtet wurde, hebt sich ihre kantige Silhouette deutlich vom Horizont ab. Das gilt natürlich nur bei schönem Wetter, wie heute. Bei tiefhängenden Wolken versteckt sich die Baude in undurchdringlichem Nebel. Der 1. August des Jahres 2011 war so ein nebliger Tag. Deshalb blieb es lange unbemerkt, dass die schon lange leerstehende Baude abbrannte. Diesem Ereignis war ein unappetitliches Hickhack aus dubiosen Immobiliengeschäften, unerfüllbaren Behördenvorschriften, Vernachlässigung und Verfall vorausgegangen. Niemand war über das Feuer besonders erstaunt, denn in dieser Konstellation brennen die Hütten eigentlich immer ab. Zufällig natürlich.

 

Jetzt gibt es eine neue Petrova bouda. Äußerlich kopiert sie genau den Stil des alten Hauses. Unsere Fahrt zu dieser Baude ist dem Streckenprofil entsprechend zuerst rasant und dann ganz schön anstrengend.  Höhenmeter gibt es in den Bergen nun einmal nicht geschenkt! Wenigstens schwitzen wir nur kurz, denn die Gesamtstrecke ist überschaubar. Als wir auf dem Hof eintreffen, finden wir eine nagelneue, fast keimfreie Peterbaude vor. Das Haus, die Nebenanlagen, selbst die Pflastersteine sehen so neu aus, dass ich instinktiv die Preisaufkleber suche. Im Carport steht ein Geländewagen, der noch die volle Werksgarantie haben dürfte und auch das Schneemobil vor dem Haus ist vollkommen frei von Gebrauchsspuren. Bis auf ein paar Wanderer beim Picknick ist keine Menschenseele zu sehen. Keine Sitzbänke, keine Gastronomie, nur verschlossene Türen. Irgendwie wirkt diese unbelebte Szenerie aus teuren Objekten gespenstisch. Was wird aus der Peterbaude werden? Für einen rustikalen Ausschank mit angeschlossenem Rucksacktouristen-Schlafsaal erscheint der All-Inclusiv-Luxusneubau irgendwie unpassend …

 

Eine Weile später endet unser Fahrradausflug vorläufig auf der Terrasse einer anderen Baude. Es ist wieder die Špindlerova bouda, wo wir uns köstlich bewirten lassen. Das wir hier einkehren heißt auch, dass wir uns dagegen entschieden haben, in gerader Schussfahrt von der Petrovka an der Moravská Bouda (Mährische Baude) und der Davidova bouda vorbei zu unserem Hotel zu düsen. 

 

Zwischen Süppchen und Hauptgericht rücke ich mit meinem Plan heraus: Ich möchte auf der polnischen Seite herunterfahren, vielleicht sogar bis Karpacz (Krummhübel). Und dann - darum geht es schließlich - natürlich zurück hierher. Es geht also darum, zweimal das Riesengebirge komplett zu überqueren. Die Geografie des Krkonoše ist an dieser Stelle brutal simpel. Während es auf böhmischer Seite allerlei Vorgebirge gibt, fällt das Riesengebirge nach Polen einfach steil ab und fertig. Nun ist der Spindlerpass einem Gerücht nach gar kein richtiger Pass sondern nur eine aufwändige Sackgasse, weil der polnische Teil der Straße nie gebaut wurde. Diese Aussage ist für Auto- oder Motorradfahrer richtig. Der Bau einer kurvenreichen Serpentinenstraße mit dem Namen „Sudetenstraße“ wurde auf schlesischer Seite zwar begonnen, jedoch nie zu Ende gebracht. Im Zuge der Bauarbeiten entstand aber ein schmales Erschließungssträßchen, das ohne Rücksicht auf die Steigung in gerader Linie zum Pass führt und natürlich für den öffentlichen Motorverkehr gesperrt ist. Genau diese Baustraße, die wohl vor einem halben Jahrhundert sogar einen Hauch Asphalt abbekommen hat, gilt heute als ultimative Herausforderung für Radsportler. Eigentlich ist es eine doppelte Herausforderung. Einerseits beißt der unwirklich steile Rampenwinkel (angeblich bis 24% !) ohne Gnade und vor allem ohne Pause in die Beine. Andererseits kann der Straßenzustand nur als grausam beschrieben werden. Immer wieder ist der Asphalt aufgebrochen und wahre Krater von Schlaglöchern zwingen zur Zickzack-Fahrt. Dazu kommen verschiedene Bodenwellen, Absenkungen und Risse im Straßenbelag.

Diese Straße nehme ich mir jetzt vor. Wo es möglich ist, lasse ich mein Halbfett-Bike von der Leine. Wir stürzen uns geradezu in den Abgrund. Doch auch Monstas Monster-Reifen haben irgendwo ihre Grenzen. Deshalb sind am Ende die Bremsen doch im Dauereinsatz. Ein paar Rennradler kommen mir entgegen. Es sind verschwitzte, gequälte Kreaturen, die sich in Schrittgeschwindigkeit Meter um Meter vorwärts kämpfen. So werde ich auch gleich aussehen. Habe ich das wirklich gewollt?

 

Als in Polen die ersten Häuser auftauchen - es ist das Dorf Borowice (Baberhäuser) - beschließe ich umzukehren. Klar könnte ich noch nach Karpacz düsen. Die Landstraße hätte nur eine milde Steigung und spätestens in einer Stunde stünde ich wieder hier. Aber in Wirklichkeit fiebere ich der „Todes“-Rampe zum Spindlerpass entgegen. Werde ich es schaffen oder werde ich in ein paar Minuten als dehydrierter Kadaver im Straßengraben liegen? Die ersten Meter entsprechen offenbar der bis 1944 bereits fertiggestellten Sudetenstraße. Langsam und gemütlich geht es immer höher. Ein Rudel Rennradfahrer verschiedenen Alters und Geschlechts überholt mich. Wollen die etwa auch da hoch? Nein, sie wollen nicht. Sie fahren an dem entscheidenden Abzweig vorbei. Für mich wird es jetzt ernst. Um Zeit zu gewinnen, fülle ich noch einmal großzügig Wasser in meinen Körper. In Kürze wird es in Form von Schweißperlen wieder aus ihm austreten. Dann los! Die ersten Meter sind nur mit Schwung und Anlauf zu schaffen. Dann wird es etwas leichter. Ich hangle mich von Baumschatten zu Baumschatten. Verwirrende Entfernungsangaben sind in verschiedenen Farben auf die Straße gesprüht. Ich entscheide mich für eine der Farben und glaube so, die Kilometer mitzählen zu können. Es vergeht erschreckend viel Zeit, bis zur nächsten Kilometermarkierung. Zwischendurch kann ich versuchen, die aufgesprühten Durchhalteparolen, zu enträtseln. Sie sind aber ausschließlich in polnischer Sprache und so habe ich keine Chance. In meine Richtung sind Wanderer unterwegs. Erleichtert stelle ich fest, dass ich sie einhole, also schneller bin als sie. Dann sitzt mir ein älterer Herr im Nacken. Dank Elektrobike zieht er an mir vorbei. Endlich tauchen die Nationalparkschilder auf. Das ist ein untrügliches Zeichen, dass der Gipfel nicht mehr weit ist. Leider beißt die Steigung auf den letzten Metern erneut zu. Ich begehe den Frevel, mir noch eine kleine Auszeit zu nehmen. Dabei lasse ich meine verbleibenden Kräfte noch einmal zum Appell antreten. Oh je, was für eine traurige Kompanie! Egal, wir müssen da jetzt hoch! Und, werde ich das schaffen?  

 

So kurz vor dem Ziel zu schieben, wäre natürlich Quatsch. Ich nutze die gesamte Breite der Straße, um den Winkel etwas flacher zu machen und drücke mich die letzten Meter hoch. Verschwitzt und etwas ramponiert, doch stolz und glücklich begrüße ich meine Frau, die es sich an der Špindlerova bouda auf einem Liegestuhl gemütlich gemacht hat. Nach einer kurzen Verschnaufpause satteln wir noch einmal die Räder. Frei und unbeschwert segeln wir mit hohem Tempo und ohne Anstrengung die Serpentinenstaße nach Špindlerův Mlýn (Spindlermühle) hinunter. Ich glaube, das leckere Softeis habe ich mir heute wirklich verdient!    



Weiter lesen: Teil 3  Transit Krkonoše.

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