Bike-Entzug

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Was zum Teufel hat eine Wander-Geschichte auf einem Fahrrad-Blog zu suchen? (nichts) Zu meiner Ehrenrettung sei aber gesagt, dass es nicht um irgendein mittelprächtiges Wandergebiet geht, sondern um mein geliebtes Elbsandsteingebirge. Und diesem Felsenparadies bin ich derart hoffnungslos verfallen, dass ich ja sogar schon ein ganzes Buch darüber geschrieben habe. Aufmerksame Leser dieses Blogs haben vielleicht auch noch im Hinterkopf, dass ich mir beim „Abflug in Brandenburg“ ordentlich die Hand verstaucht hatte. Und eben diese Hand protestiert immer noch, wenn sie für mehr als eine halbe Stunde einen Fahrradlenker festhalten soll.

 

So stelle ich notgedrungen fest: Zur Not funktionieren die Beine auch ohne Fahrrad.


Diesmal reise ich schon am Abend eines verregneten Montags an, um am nächsten Tag keine Wanderzeit zu verlieren. Zielstrebig steuert meine rollende Pension den Parkplatz an der Schandauer Elbpromenade an und trifft damit mitten ins Herz der heimlichen Sandsteinmetropole. Spätestens in den frühen Morgenstunden erweist sich der zentrale Stellplatz mit traumhaftem Liliensteinblick als suboptimal. Mein knallrotes Minireisemobil der 3,50 Meter-Klasse bietet zwar im Innenraum allen erdenklichen Luxus vom kuscheligen Bett, über elektrisches Licht bis hin zum Radio. Aber das Klo ist in jedem Fall eine halbe Treppe tiefer, sprich draußen am Gebüsch. Und das geht nun wirklich nicht bei strahlender Morgensonne in diesem gutbürgerlichen Städtchen.



So komme ich zu einem überaus frühen Aufbruch. Leicht schlaftrunken verlege ich mein Gefährt auf den nahen Wanderparkplatz im Zahnsgrund. Zu dieser Stunde kann ja von Parkplatzsuche noch keine Rede sein. 

Zu Fuß schlage ich mich zurück in Richtung Elbtal durch. Kurz bevor ich das Wasser sehen kann, verziehe ich mich in den Wald und komme auf dem Haldenweg an den Postelwitzer Steinbrüchen heraus. Das ist ein selten begangener Fußpfad auf einer breiten bewaldeten Terrasse auf etwa halber Höhe der Felswand.

 

Das Gestein oberhalb dieser Ebene hat man bis 1907 als begehrtes Baumaterial abgebaut. Mit der Eröffnung der Straßenverbindung nach Hřensko (Herrnskretschen) war es damit vorbei, weil gelegentlich große Steinblöcke bis hinunter zum Elbufer geschleudert wurden. Mein Weg hält sicherheitshalber einen gebührenden Abstand zur Felswand. Aber immer wieder kommt man auf schmalen Pfaden direkt an den Sandstein heran. Große und kleine Sandsteinblöcke liegen wild durcheinander und werden inzwischen von Bäumen und Büschen in Beschlag genommen. Wahrscheinlich lohnte es sich damals nicht, diese Brocken zu verkaufen. Der Felsen selbst strahlt hell und unverwittert, als hätte man gerade erst gestern einen frischen Block abgebrochen. Ehrlich gesagt sieht die ganze Steilwand so aus, als könnten sich jederzeit größere Stücke lösen und krachend zu Boden fallen. Das ganze Gebiet der Steinbrüche ist fast zwei Kilometer lang. Neben den eingemeißelten „Hausnummern“ der einzelnen Brüche kann man immer wieder massive Schutzmauern bewundern, die den Steinschlag abwehren sollten.

 

Am Ende des Steinbruchgebiets befindet sich noch eine Gedenktafel. Sie erinnert an ein großes Unglück mit glücklichem Ausgang. In den 1860er Jahren hatte man wieder ein großes Stück Felsen zur Fällung vorbereitet. Dazu wurde das Gestein auf einer Länge von 120 Metern ausgehöhlt und notdürftig mit Baumstämmen abgestützt. Normalerweise würde man die Holzteile später verbrennen und die Felswand käme als Ganzes herunter. Das passierte auch am 25. Januar 1862. Allerdings waren die Stützen einfach weggeknickt und 24 Steinbrecher waren hinter einer 40 Meter hohen Sandsteinwand eingeschlossen. Ganze zwei Tage brauchte man, um einen Zugang zu den Bergleuten zu bekommen, die wie durch ein Wunder fast unverletzt aus ihrem Gefängnis befreit wurden. In der Nähe der Gedenktafel finde ich auch ein paar kleine gepflegte Häuser, die früher bestimmt etwas mit den Steinbrüchen zu tun hatten und heute Ferienhäuser sind. Eine ältere Dame grüßt aus einem kleinen Gärtchen und die Überraschung, hier draußen noch einer anderen Menschenseele zu begegnen ist wohl gegenseitig. Ein altes Messtischblatt von 1938 verrät mir, dass es hier auch eine Kneipe gegeben haben muss. Das Lokal befand sich ausgerechnet unter den „Gute Bier Wänden“. Was für ein wunderbarer Bezug!  

 

Endlich kommt auch ein freistehender Einzelfelsen ins Spiel. Ein kleiner Pfad erschließt mir den Elbtalwächter, von dessen Balkon es einen dieser fantastischen Blicke hinunter auf die Elbe gibt.



Es wird Zeit, den großen Fluss zu verlassen. Quer durch den Wald tragen mich meine Füße zum Rauschenstein. Der Rauschenstein ist so ein Projekt-Berg von mir. Ich habe gehört, dass es möglich ist, mit relativ wenig Bergsteigerkenntnissen den Gipfel zu erreichen, jedenfalls wenn man erst einmal die ersten steilen Meter geschafft hat. Irgendwann probiere ich das bestimmt einmal …

 

Heute leitet mich aber ein schmaler Pfad zur Starken Stiege. Für diese Stiegen, die im Prinzip ja so etwas wie ungesicherte Klettersteige sind, braucht man ein bisschen Konzentration, ein Minimum an Kraft und Körperkontrolle und gut zupackende Hände. Gut zupackende Hände? Mein linkes Handgelenk, dem noch der Fahrradsturz auf der Stolper Brücke in den Knochen steckt, wagt einen vorsichtigen Protest. Nützen tut es ihm natürlich nichts. Schließlich durfte vor 2 Jahren auch schon der rechte Arm in Schonhaltung mit auf diese Stiege. (Damals hatte es auch beim Radeln das Speichenköpfchen erwischt. Radfahren scheint also wirklich gefährlich zu sein!) Auf die Stiege, fertig, los! Ruhig und konzentriert gehe ich den Felsenweg an. Weil die linke Hand noch keine Dreh- oder Stützbewegungen mag, dauert die Suche nach einem passenden Halt im Gestein eben etwas länger. Doch schon wenige Meter höher kommen die soliden Eisengriffe ins Spiel, die nur an dieser Stiege eine altmodisch geschwungene Form haben. Jetzt muss ich mich nur noch kräftig nach oben ziehen und da kann auch meine Linke schon wieder zeigen, was sie kann. Kaum 5 Minuten später sitze ich verschwitzt und zufrieden am Ausstieg der Starken Stiege auf dem Oberen Terrassenweg. „Gut, dass ich heute allein unterwegs bin!“ denke ich. So gibt es auch an kniffligen Stellen keine Ablenkung, niemand drängt und es gibt auch keine Person, vor der ich herumgockeln müsste.

 

Das beste hier oben an meiner kleinen Raststelle ist aber der Ausblick! Vor einem Hintergrund aus allerlei Hügeln und Bergen, die zum Horizont im Dunst verschwinden, setzt sich zentral der Rauschenstein in Szene. Zu diesem mächtigen freistehenden Sandsteinfelsen gesellen sich auf der rechten Seite noch einige weitere Mitglieder der „Rauschen“-Brüder. (Rauschentor, Rauschentorwächter, Rauschengrundkegel usw.) Die grauen Steine und der Untergrund sind reichlich mit grünem (und dank Borkenkäfer auch ein wenig braunem) Pflanzenwerk dekoriert. Als Krönung schweben über allem ein paar Wolken, die nicht wie sanfte Schäfchen aussehen, sondern erwachsen und ein bisschen bedrohlich sein wollen. Doch der blaue Himmel trickst sie aus. Er schleicht sich einfach mit aufs Bild.

 

Jetzt wandere ich bis zur Rotkehlchenstiege auf dem Oberen Terrassenweg. Das ist wie ein Traumpfad für mich. Der Terrassenweg ist aus gutem Grund kein regulärer Wanderweg. Er gilt - wie auch die meisten Stiegen - offiziell als „Pfad für Bergsteiger zu den Kletterfelsen“. Aber wenn ich ehrlich bin: Echte Kletterer mit Seil und Helm und Karabinerhaken habe ich auf diesem Weg noch nie gesehen. Trotzdem ist er sicher nicht jedermanns Sache, denn der sandige Pfad schlängelt sich oft nur ein paar Zentimeter von der Felsenkante entfernt durch die Natur. Ich bin beeindruckt von den wechselnden Perspektiven und den weiten Aussichten, der wilden Mischung abenteuerlicher Felsen und der Überlebenskunst mancher Bäume im Gebirge. Natürlich liebe ich auch das sanfte Prickeln, dass sich aus der Höhe und der Nähe zum Abgrund ergibt. 

 

Die Rotkehlchenstiege, die ich abwärts gehe, gilt als fröhliches Kletterabenteuer für die ganze Familie. Früher war sie wohl einmal eine nette Treppenanlage auf die obere Ebene des Felsplateaus. Doch die hölzernen Stufen sind verschwunden und geblieben ist eine Felsenrinne mit eisernen Handläufen. Familien sind heute keine vor Ort und ich kann mich in aller Ruhe hinunterhangeln. Nun kommt der Untere Terrassenweg. Genau wie sein oberer Kollege verläuft er auf einem Felsensims, nur eben ein paar Meter tiefer. Nicht selten schmiegt er sich direkt an eine 40 Meter hohe Felswand. Weil der Pfad sehr urwüchsig ist und sich nur sehr wenige Touristen hierher verirren, ist dieser Weg für mich ein Geheimtipp! Obwohl, das mit den Touristen stimmt heute nicht ganz. Zuerst begegnet mir ein Nationalpark-Ranger mit wissbegieriger Begleitung und ein wenig später kommt mir ein Paar entgegen. Sie fragen mich nach der Rübezahlstiege und ich biete ihnen an, mir zu folgen. Schließlich liegt die Stiege auf meinem Weg. So werde ich also sozusagen noch zum Bergführer. Wir kommen an der Fluchtwand vorbei. Gleich dahinter liegt die Fluchtwandstiege, ein weiteres Zukunftsprojekt von mir. Vor 100 Jahren gab es hier wohl mal einige Aufstiegshilfen, von denen aber nur zwei einzelne Eisenklammern geblieben sind. Heute vermeldet der Kletterführer eine Schwierigkeit I. Das ist die leichteste Kategorie, allerdings für Bergsteiger und nicht für verhinderte Mountainbiker! Ein paar Felsenecken weiter stehen wir vor der Rübezahlstiege.

 

„Sie wollen auch da hoch?“ werde ich gefragt. „Ja, schon“ entfährt es mir. 

Am Wollen soll es nicht liegen. Aber geht das auch mit meinem kleinen Handicap? Immerhin ist die Rübezahlstiege schon ein anderes Kaliber als die Starke Stiege. Sie gilt als die schwerste und gefährlichste Stiege der Sächsischen Schweiz. Am kompliziertesten ist immer der Einstieg ohne eiserne Kletterhilfen. Versuchen kann ich es ja …  Viel leichter als gedacht bin ich am ersten Eisenbügel. Jetzt gibt es vernünftigerweise kein Zurück mehr. Bügel für Bügel ziehe ich mich nach oben. Der Blick zurück offenbart: Die Höhe ist beträchtlich, um nicht zu sagen ein wenig gruselig. Dann kommt schon die kleine Höhle, die aus verkeilten Felsblöcken gebildet wird. Das Problem ist, das der Rucksack vom Rücken muss. Ich schiebe das giftgrüne Biest vor mir her und versuche es in Felsspalten zu klemmen, um die Hände frei zu haben. Doch der Rucksack denkt gar nicht daran, am vorgesehenen Platz zu bleiben und kommt mir wieder und wieder entgegen. Immerhin ist die Höhle so eng, dass keine Gefahr besteht, dass jemand herausfällt. Weder ich noch mein Rucksack haben ein Risiko. Irgendwann winden wir uns endlich aus dem steinernen Geburtskanal und haben das Gröbste geschafft.

 

Spontan nehme ich mir heute die Zeit, einige Nebenpfade zu erkunden. Ich genieße das Alleinsein und die Tatsache, dass ich mich mit niemandem abstimmen muss. Ich erkunde einsame Felsen und tolle Aussichten. Wie von einem unsichtbaren Magneten gezogen lande ich wieder an der Fluchtwandstiege. Diesmal am oberen Ende. Wenn ich hier herunterkäme, könnte ich den spannenden linken Teil des unteren Terrassenwegs in Angriff nehmen und käme wieder - wie heute morgen - an der starken Stiege heraus. Ob ich es versuchen soll?

 

Zuerst muss ich unter einem Klemmblock hindurch in eine Art Höhle. Kurz danach gilt es eine weitere tiefe Stufe zu überwinden. Mit freundlicher Unterstützung durch eine bereitstehende Birke gelingt das ganz gut. Den Rucksack kann ich bei diesen Aktionen längst nicht mehr auf dem Rücken behalten. Ich lege ihn halbwegs sicher ab und ziehe ihn dann immer wieder nach. Jetzt bin ich an einer eisernen Öse. Weiter würde es durch einen schmalen Felsspalt gehen. Auch das sieht im Prinzip machbar aus. Trotzdem sagt irgendetwas in mir „Stopp!“ . Was mache ich eigentlich hier? Bin ich verrückt, oder was? Das hier ist ernsthaftes Klettergelände. Was passiert, wenn ich auf eine Schwierigkeit stoße, die ich nicht mehr kontrollieren kann? Was, wenn sich dann herausstellt dass auch die Kräfte für den Rückweg auf den Gipfel fehlen? Im Grunde bin ich schon jetzt nicht sicher, wie gut ich die anfänglichen Stufen wieder heraufkomme. Was, wenn der Rucksack unhaltbar in eine Felsspalte fällt? Was wenn ich, Nils der Einarmige, aus der sicheren Felsspalte hinaus muss auf den nackten Felsen mit 20 Metern Luft unter dem Hintern? Es gibt nur eins: Ich trete den planmäßigen Rückzug an! Wird sich nun die Klemmblockhöhle als Menschenfalle für den leichtsinnigen Teilzeitalpinisten erweisen? Dank einer optimal platzierten Baumwurzel ist auch das keine große Sache und nach einigen hundert Metern auf einem dschungelartig zugewachsenen Pfad bin ich auf der Touristenautobahn des Reitsteigs. 



Auf zu den Schrammsteinen! Auch das geht jetzt ausschließlich über normale Touristenwanderwege. Doch der Zurückesteig zum Beispiel ist ein sehr schöner und fast schon abenteuerlicher Pfad. Heute, nur wenige Tage  nach dem Ende der Corona-Haft in Sachsen, gibt es auch schon wieder eine Menge Touristen. Die meisten rätseln an Wegweisern herum oder betrachten staunend ihre Landkarten.

 

Im Grunde will ich gar nicht so dringend auf die Schrammsteine. Die Schrammsteine oder genauer gesagt der Aussichtspunkt auf ihrem Gipfel sind natürlich eine der Top-Sehenswürdigkeiten der Sächsischen Schweiz. Der Ausblick ist einmalig und er wird noch dadurch aufgewertet, dass er über hunderte eiserne Treppenstufen erklettert werden will. Mein vordringliches Ziel ist aber der vorgelagerte Müllerstein. Das ist ein etwas abgelegener Felsen mit herrlichem Ausblick auf die majestätischen Schrammsteinfelsen aber auch der hautnahe furchterregende Blick in bodenlose Tiefen. Natürlich ist der Müllerstein auch ein bekannter Kletterfelsen. Ich erreiche ihn über einen herrlich schmalen Weg, muss mich durch eine Felsspalte zwängen und am Abgrund vorbeibalancieren. Dafür bekomme ich einen verwunschen schönen Platz präsentiert. Er liegt unendlich weit und gleichzeitig nur 500 Meter entfernt von den Touristenströmen. Den eigentlichen Gipfel könnte ich durch Kaminkletterei erreichen. Das ist eine recht sichere Art des Kletterns, denn man ist ja von zwei Seiten vom Berg umschlossen. Aber ehrlich gesagt bin ich dafür nach dem langen bunten Tag viel zu träge.

 

Ich nehme natürlich noch die Schrammsteinaussicht mit und begebe mich anschließend auf die Suche nach dem Waldparkplatz und meinem Auto. Bad Schandau bietet mir noch eine köstliche Verpflegung. Auf der Terrasse der Pizzeria sehe ich sehnsüchtig den vorbeifahrenden Mountainbikes hinterher. Bald bin ich auch wieder einer von ihnen …

 

Wenig später lasse ich mein Gefährt für die Nacht auf einem Geheimtipp von Wanderparkplatz ausrollen. Dank Vollausstattung mit Gaskocher und batteriebetriebener Handbrause komme ich in den Genuss einer Freiluftdusche bevor der kuschelige Schlafsack ruft.


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