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Abflug in Brandenburg

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Mittwoch Morgen. Jetzt beginnt der zweite Tag meiner Brandenburg-Tour. Gestern war ich mit dem Mountainbike „Monsta“ von Stolpe im unteren Odertal nach Berlin gefahren.

 

Aber will ich heute wirklich wieder auf den Sattel? 

 

Wenn ich mein Auto wiederhaben will, dann muss ich wohl! Schließlich parkt es (hoffentlich) immer noch in Brandenburgs Hinterland. 

 


Heute fahre ich den „Silberpfeil“, mein geliebtes Singlespeed mit Rennrad-Genen. Bis Hirschfelde nehme ich die gleiche Strecke wie gestern. Es gibt eben nicht allzu viele gute Möglichkeiten, in Richtung Nordost aus Berlin heraus zu kommen. Und was macht der Sitzkomfort? Erstaunlicherweise protestiert meine Hinterseite nur sehr verhalten. Allerdings habe ich vorerst auch zu einem Doping gegriffen. Mein Doping ist heute morgen eine laute, antreibende Musik, die mich gut in Gang bringt! Nach der Routine-Durststrecke bis Werneuchen stellt sich auch gleich heraus, dass die Schotterstaße am Flugplatz eben doch nicht nur für Geländeräder gut ist. Ich sage dem Hirschen von Hirschfelde „Hallo“ und mache mich dann in Richtung Strausberg auf. Ab jetzt sind Hin- und Rückweg getrennt.



Erwartungsgemäß ist der Asphalt auf den nächsten 5 Kilometern in einem grauenhaften Zustand. Aber mit dem Wissen, dass dies heute der einzige miese Straßenabschnitt ist, lässt sich das Gerüttel überstehen. Hinter Gielsdorf entscheide ich mich für eine Partie Golf, auf dem Golfplatz von Wilkendorf. Nein, nicht wirklich. Den kleinen Umweg über Wilkendorf nehme ich nur, um die Strausberger Ausfallstraße mit Krankenhaus, Baumärkten, Autohändlern und einer Menge Verkehr zu vermeiden. So komme ich ganz korrekt am allerletzten Kreisverkehr von Strausberg heraus und habe zwischendurch noch eine ganz eigenwillige einseitige Teststrecke für Autostoßdämpfer gesehen. 

 

Jetzt kommt Strausbergs Flugplatz. Der ist genau wie sein Kollege  in Werneuchen eine militärische Hinterlassenschaft. Aber dieser Flugplatz hier wird normalerweise rege als Sportflugplatz genutzt. Sonst sieht man häufig startende oder landende Kleinflugzeuge. Heute ist das nicht so. Nur einige wenige Maschinen dämmern auf dem Vorfeld vor sich hin. Die ausgewiesene Fahrradroute über Klosterdorf, Prädikow, Reichenow und Möglin nach Wriezen wird von Nutzern des Kartendienstes Komoot als „Traumradweg“ beschrieben. In den Kommentaren heißt es: „Dieser Abschnitt auf dem Radweg Berlin-Barnim-Oderbruch erfüllt alle Superlative. Wunderbarer Belag, links und rechts von Bäumen eingesäumt und vor Wind, Sonne und Regen geschützt.“ oder auch „Schöne Strecke durch herrliche Landschaft.“ Diesen Bewertungen kann ich mich nur anschließen. 

 

Über abwechslungsreiches hügeliges Gelände führen gut asphaltierte autofreie Wirtschaftswege von einem Dorf zum anderen. Weil auch die Sonne noch herausschaut, ergibt sich unterwegs eine gute Gelegenheit für eine Rast. Stolz posiert irgendwo im Nirgendwo unter dem weiten Brandenburger Himmel der Silberpfeil für ein paar Fotoaufnahmen. Ich nehme derweil meine Verpflegung in Angriff. Mein ausgiebiges häusliches Frühstück sorgte dafür, dass ich nur schnell zwei kleine Schokoriegel als Wegverpflegung in meinen Rucksack geworfen habe. Jetzt, knapp drei Stunden später, wirkt dieser Proviant etwas kläglich. Die Riegel sind jedenfalls im Nullkommanichts weg. Was soll's? Die Energie wird schon für die verbleibenden 50 Kilometer reichen …



Die Crux der schönen Fahrradstraße von Strausberg ins Oderbruch liegt auf den letzten Kilometern. Eine logische Fortsetzung der Strecke würde sich in Wriezen anschließen, doch der Radweg kommt im 3 Kilometer entfernten Kunersdorf heraus. Die Radwegplaner machen zwar den Vorschlag, die Bundesstraße mit einer Extrarunde über Bließdorf zu umgehen …  Aber Fakt ist: Die B 167 ist nun einmal die logische und geradliniege Verbindung. Meist ist auf der Fernstraße ohnehin kaum etwas los und so ist es auch heute. So kurbele ich rasch auf der Schnellstraße nach Wriezen.

 

Dort gilt es die ehemalige Bahntrasse zur Oder zu finden. Schnurgerade führt der 11 Kilometer lange Damm direkt zum Fluss. Dieser Teil des Oderbruchs ist das Land, von dem der Preußenkönig Friedrich-Zwo sagte: „Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert!“. Es ist ein endloses flaches Land, das durch Trockenlegung entstand. Alles was es hier gibt, sind vereinzelte Siedlungen und weite Felder. Immer wenn ich hier unterwegs bin, komme ich mir vor als wäre ich auf dem Meeresgrund. Die nicht unbeträchtlichen Entfernungen, die gleichförmige Landschaft und der hindernisfreie Blick zu einem verschwommenen Ziel in weiter Ferne lassen das Gefühl für Raum und Zeit verschwimmen. Ich glaube, es würde mich nicht wundern, wenn plötzlich Spongebob und Mister Krabs über die Straße liefen. Die 11 Kilometer sind aber auch verflixt. Zu kurz, um sich mental darauf einzulassen und doch zu eintönig und lang, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen.

 

Wenigstens das nächste Zwischenziel ist lohnenswert. Es ist eine sehr romantische ehemalige Eisenbahnbrücke über die Oder, die vielleicht sogar bald für den Radtourismus geöffnet wird. Hier passt auf einmal alles. Die Oderlandschaft ist überwältigend schön. Die alten Backsteinpfeiler und Stahlträger der Brücke setzen dazu reizvolle Akzente. Für mich ist noch einmal Zeit für eine kleine Rast. Ach ja, zu futtern gibt es natürlich nichts, denn die Riegel sind ja schon alle.



Als ich mich endlich entschließe wieder aufzusatteln,- liegen noch 25 Kilometer vor mir. Es ist das Asphaltband des Oderradwegs. Obwohl die Topografie und der Streckenverlauf nicht gerade herausfordernd sind, wird es auf diesem Abschnitt nie langweilig. Anfangs sehe ich den Höhenzug um den Granitberg von Minute zu Minute näher rücken. Dann sorgen die Ortsdurchfahrt von Hohenwutzen und die Schleusenanlagen in Hohensaaten für Abwechslung. Gleich danach folgt die malerisch verfallene Ruine eines einst stattlichen Hauses. Es ist das ehemalige Gasthaus Adametz, das wie eine Einsiedelei auf der schmalen Landzunge zwischen der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße und der Oder steht. Vor dem 2. Weltkrieg war die Anbindung der Herberge allerdings besser, denn es gab hier eine Brücke zum Festland und eine Fähre an das gegenüberliegende Oderufer. Der kleine Kiefernwald auf der linken Seite weicht bald zurück und die Landschaft verwandelt sich in eine weite Wiesenfläche. Ein Storch, der sich an der Böschung des Deichs zu schaffen macht, bequemt sich träge dazu wegzufliegen. Zügig, aber ohne jede Rennsportambitionen gleite ich durch eine großartige Landschaftskulisse. Fast wäre ich mit mir und der Welt im reinen, wenn es nicht dieses kleine Defizit in der Magengegend gäbe. Ich erwische mich dabei, wie ich mir vorstelle, bei McDrive vorzufahren. Ein Wegweiser am Wegesrand holt mich in die Realität zurück. Er schickt mich weg von der Oder auf die Seite mit der Wasserstraße und den Dörfern Lunow, Stolzenhagen und Stolpe. Genau, da ist schon Stolpe. Gleich bin ich am Ziel!



Schon kann ich den Backsteinzylinder des Grützpotts sehen. Gleich danach kommen die geschwungenen Brückenbögen immer näher. Direkt auf der anderen Seite der Brücke parkt mein Auto. Mit Schwung nehme ich die Brückenauffahrt und sortiere mich vor einer Seniorin ein. Deren Elektrofahrrad gibt hörbar alles, um ebenfalls die Rampe zu erklimmen.

 

Mitten auf der Stolper Brücke passiert das Unglaubliche: Während ich hart auf die Holzplanken aufschlage, realisiere ich, dass das Fahrrad unter mir verschwunden ist. Ist das ein mieser Zaubertrick und das Fahrrad hat sich in Luft aufgelöst? Kann es sein, dass gerade die Brücke unter mir zusammengebrochen ist? Mühsam sortiere ich meine Knochen und rappele mich auf. Ich stelle fest, dass mein Vorderrad in einer der Längsfugen der Brücke stecken geblieben ist und mein Silberpfeil mich klassisch über den Lenker geschickt hat …

 

So endet eine tolle Tour unversehens mit diesem schmerzhaften Knalleffekt, dem sich ein späterer Besuch der Notaufnahme anschließt. Einigen Blessuren erinnern mich noch lange an diese Fahrt. Doch die Knochen haben zum Glück gehalten und Brandenburg kann ganz bestimmt nichts dafür …



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Kommentare: 1
  • #1

    Sanni (Montag, 18 Mai 2020 16:33)

    Dein Schreibstil ist sehr erfrischend und macht Lust auf mehr �Ich glaube,ich schaue mal in deine Bücher ��‍♀️