Der Fürst war im Herzen ein Mountainbiker!
Sind wir nicht alle Naturfreunde? Träumen wir nicht davon, dass Pflanzen und Tiere in einem wahren Garten Eden gedeihen mögen! Wäre es nicht schön, wenn sie dies ungestört vom bösen Treiben der Menschen tun könnten?
Ehrlich gesagt, was die zweite Aussage betrifft, bin ich raus!
Zum einen geht es in der Natur keineswegs so friedlich zu, wie es uns wohlmeinende Nannys und liebliche Kinderbücher gern weismachen wollen. Zum anderen würden wir in dieser Art ungezähmter Natur kaum 24 Stunden überleben. Wir wären gefangen in wortwörtlich undurchdringlichen Wäldern. Mangelernährt von den kärglichen Früchten des Waldes würden wir durch das Unterholz stolpern, stets bedroht von Wölfen, Bären und anderen „freundlichen“ Kreaturen. Ganz zu schweigen davon, dass man nirgends Fahrrad fahren könnte!
Es scheint also gute Gründe zu geben, warum unsere Vorfahren der wilden Natur ihren Lebensraum und ihre Ackerfläche mühsam abgerungen haben. Im Übrigen galten die wilden Wälder lange Zeit als Orte, die man nach Möglichkeit meiden sollte.
Heute radeln viele - so auch ich - gern durch den Wald. Das, was wir hier sehen, ist keine wilde Natur, sondern forstwirtschaftliche Nutzfläche. Die Bäume werden gepflanzt, um sie irgendwann einmal zu ernten. Übrigens heißen daher die Wälder bei unseren dänischen Nachbarn korrekterweise „Plantage“. Auch die große Tierbestände hegt und füttert man in Erwartung des Fleischertrags. Dass sich dabei die Natur nur widerstrebend der ordnenden Hand des Försters beugt, kann man ringsherum nicht übersehen. Buchstäblich aus jeder Ritze quillt in unendlicher Vielfalt lebendiges Grün hervor. Im Idealfall bildet dieses wilde Chaos in Verbindung mit vorhandenen Wirtschaftswegen und einem reizvollen Geländerelief die Basis für ein gewaltiges Naturerlebnis bei einer Fahrradtour.
Aber nicht immer kommen alle günstigen Faktoren zusammen. Nicht selten sind längere Passagen eher langweilig und auf den Forstwegen sind Mountainbikes und ihre Fahrer unterfordert. Die schmalen und interessanten Pfade sind oft verboten. Manchmal verlieren sie sich auch und dann rollt es einfach nicht mehr weiter.
Neben der „echten“ und der „wirtschaftlichen“ Natur gibt es jedoch noch eine dritte Kategorie. Es ist eine zum menschlichen Vergnügen gebaute Natur, die als „englischer Garten“ im 18. Jahrhundert erfunden wurde. Und damit sind wir endlich bei jenem Fürsten, der genauso heißt wie das dreifarbige Speiseeis: Pückler, genauer gesagt Fürst Hermann von Pückler-Muskau. Er galt schon in seiner Zeit als schillernde Persönlichkeit. So war er unter anderem Oberstleutnant, Landschaftsarchitekt, Schriftsteller, Weltreisender, Frauenheld, Abenteurer und überdies meist zahlungsunfähig. Seine Hinterlassenschaft sind die weitläufigen, beinahe märchenhaften Landschaftsparks in Bad Muskau und Branitz. Dort bevorzugte er elegante, ganz natürlich wirkende Erdmodellierungen, schuf weit geschwungene Wasserläufe, romantische Seen und sorgsam arrangierte Gehölzkompositionen. Kurz gesagt, der Fürst baute ein besonders harmonisches Idealbild der Natur, bei dem in Wirklichkeit nichts dem Zufall überlassen blieb. Mit der echten, der zufälligen, groben, schleimigen und manchmal brutalen Natur hatte das natürlich nicht viel zu tun. Dafür kann man auch heute noch stundenlang in seinen Parks umherwandeln, dabei die Seele baumeln lassen oder im Rahmen der Parkordnung sogar Fahrrad fahren. Auf jeden Fall wird man von der herrlichen „Natur“ begeistert sein, die am Ende gar keine ist.
Der Vollständigkeit halber sei noch der zweite deutsche Fürst mit Hang zu englischen Gärten erwähnt. Das war Fürst Leopold von Anhalt-Dessau. Er erschuf mit dem Wörlitzer Park bei Dessau schon gut 50 Jahre früher als Pückler einen ausgedehnten und ebenfalls sehr sehenswerten Englischen Garten. Auch hier gibt es Blickachsen, Bäche und Seen, so dass die die Landschaftskomposition wunderschön ist. Doch es sei angemerkt, dass im Gegensatz zu Muskau das Radfahren im Wörlitzer Park streng verboten ist!
Aber was haben die erwähnten Senioren-Reiseziele mit dem Mountainbiken zu tun? Direkt nichts. Und doch, mir drängen sich Parallelen auf, wenn ich an die weitläufigen Trailparks, wie den „Singltrek pod Smrkem“ in Tschechien oder den polnischen „Singletrack Glacensis“ denke. Hier wie da wurde die Natur zur Freude ihrer Besucher raffiniert aufbereitet. Sie wurde sozusagen bekömmlich gemacht, kultiviert und gelegentlich regelrecht inszeniert. Es mag zwar Biker geben, die im Tunnelblick nur auf die Herausforderungen der überhöhten Kurven, der Sprungrampen und der Steinpackungen konzentriert sind. Aber ich kann kann mich gerade an der Landschaft drumherum gar nicht genug sattsehen. Das Treten, Bremsen, und um-Bäume-Zirkeln, das Auspowern und Schwitzen mache ich am Ende ganz nebenbei. Mir gefällt es einfach, auf diesen Wegen mehr zu sein, als nur ein passiver Betrachter. Die ganz direkte und körperliche Auseinandersetzung mit der schmalen Fahrspur, dem Wald, dem Geländerelief und manchmal auch der Witterung machen mir einfach Spaß! Dass dieser Spaß von den Architekten der Trailparks regelrecht vorhergesehen und akribisch vorausgeplant wurde, tut der Freude keinen Abbruch.
Einem Außenstehenden mögen meine überschwänglichen Lobeshymnen auf die künstlich angelegten Mountainbike-Pfade suspekt vorkommen. Auch besteht das Risiko, dass der Laie vielleicht gar nicht verstehen, was ich mit „Trails“ überhaupt meine. Die Verwirrung über die verschiedenen „Fahrradwege“ ist schließlich riesengroß und für einen Außenstehenden kaum zu durchschauen.
Deshalb möchte hier einmal aufzeigen, was für mich KEINE „Trailparks“ sind:
1.
Da sind zum Beispiel die ausgewiesene Radrouten über Landstraßen, Rad- und Forstwege. Oft sind diese Strecken mit kleinen Wegweiser-Schildchen versehen, die an Bäume oder Pfosten genagelt wurden. Manche dieser Routen scheinen auch nur virtuell auf Webseiten von Behörden und deren angeschlossener PR-Agenturen zu existieren. Gelegentlich wird sogar ausdrücklich mit dem Hinweis „Mountainbike“ geworben. Deutsche Tourismusämter lieben diese Lösung, denn sie ist vor allem sehr billig! Alle Straßen und Wege sind ja bereits vorhanden und werden mit Wanderern und allen anderen Fahrzeugen geteilt. Irgendwelche Bauarbeiten und Genehmigungen sind nicht erforderlich. Kurz gesagt, es handelt sich also um eine Mogelpackung, die mir bisher kaum einen Mehrwert geboten hat. Ein typisches Beispiel für diese Nicht-Trails ist die „Blockline“ im Erzgebirge.
2.
Es gibt aber noch eine perfide Unterart der gerade erwähnten Wege. Es sind die Mountainbike-Radweg-„Netze“ in einigen Naturschutzgebieten und Nationalparks. Diese Nicht-Trails wurden nämlich von ausgesprochenen Fahrrad-Hassern entworfen! Auf der Basis eines generellen Fahrverbots geruhen die Majestäten des institutionalisierten Naturschutzes, hier gewisse Ausnahmen zu genehmigen. Praktisch immer handelt es sich dabei um die etablierten Versorgungsstraßen zu Berghütten, manchmal auch großzügigerweise um forstliche Wirtschaftswege, die für den Radsport freigegeben wurden. Aus Boshaftigkeit wird jedoch streng darauf geachtet, dass kaum Rundkurse oder durchgängige Strecken entstehen. Schmale, eventuell fahrtechnisch interessante Pfade sind ohnehin ausgeschlossen. Ganz wichtig: Am Ende werden alle Kilometer - also auch die sinnlosen Sackgassen - addiert und als beeindruckende Zahl in den Hochglanzbroschüren der Tourismus-Büros abgedruckt: „Seht her, wie Fahrrad-freundlich wir doch sind!“ Diese Art der Nicht-Trails habe ich Riesengebirge, dem Elbsandsteingebirge und in verschiedenen slowakischen Nationalparks gefunden.
3.
Nur der Vollständigkeit halber möchte ich jene Nicht-Trails erwähnen, die sich bei näherer Betrachtung als asphaltierte, autofreie und oft viele Kilometer lange Radweg-Pisten entpuppen. Sie sind mit Sicherheit eine feine Sache für Tourenfahrer und Rennradler, aber ein besonders Mountainbike-Vergnügen liefern sie naturgemäß nicht. Beispiele wären der Oderradweg, die Rundkurse des Fläming-Skate, die Asphaltbahnen um einige Tagebauseen und selbstverständlich auch diverse Railtrails auf stillgelegten Bahnstrecken.
4.
Mit den „Downhill“-MTB Strecken wird es knifflig. Ich meine damit Strecken, bei denen man Abhänge mehr oder weniger ohne Pedalkraft hinuntersaust und dabei verschiedene technische Manöver - allen voran Sprünge - vornimmt. Die Abgrenzung zu meinen Lieblingstrails ist nicht immer einfach und richtige Experten werden mir ohnehin den unfachmännischen Gebrauch des Worts „Downhill“ um die Ohren hauen.
Zum Verständnis möchte ich deshalb einen kurzen Blick in die Geschichte riskieren: Als Gary Fisher und seine Freunde im Kalifornien der 1970er-Jahre das Mountainbike erfanden, fuhren sie eigentlich nur Downhill“! Die lästigen Aufstiege wurden praktischerweise mit dem Pick-up-Truck oder eben zur Not zu Fuß erledigt. Der Mountainbike-Sport entwickelte sich jedoch weiter. Die Bikes wurden besser und die Fahrtechnik immer ausgefeilter, wodurch bei der Abfahrt immer größere Hindernisse überwunden werden konnten. Meist handelte es sich um extra gebaute halsbrecherische Steinpackungen und Sprunghügel aller Art. Das Problem, dass die Räder zuvor irgendwie auf den Berg mussten, blieb. So ist das bis heute. Als Lösungen für den Aufstieg gibt es entweder Skilifte, die sonst im Sommer immer arbeitslos wären, oder die Pick-up-Trucks des jeweiligen Bikepark-Betreibers. Manchmal wird auch die Notlösung einer längeren Straße mit milder Steigung praktiziert, die die Biker hinaufkurbeln müssen. Alle diese Varianten sortiere ich als Nicht-Trails aus.
Lieblings-Trailparks:
Und damit bin ich wieder bei meinen Lieblings-Trailparks. Die angelegten Strecken sind meist schmale Pfade, die sich als endlose Folge lieblicher Kurven durch den Wald schlängeln. Sie sind wie Wanderwege für Mountainbikes. Natürlich geht es manchmal auch rasant abwärts, aber alle Höhenmeter wollen zuvor mit eigenem Schweiß errungen werden. Dabei sind selbstverständlich auch die Aufstiege nicht langweilig, sondern schön und naturnah angelegt. Im Idealfall stellt die ganze Strecke für den Fahrer eine gewisse Herausforderung dar, die ihn aber nicht überfordert. Baumwurzeln gehören dazu, Steine auch, manchmal gibt es künstliche Buckel, vereinzelt sogar kleine Sprunghügel und häufig auch ins Gelände modellierte Steilkurven. Fußgänger werden meist gebeten, die Strecken nicht als Wanderweg zu nutzen. Das es einige doch tun, ist aber normalerweise kein Problem. Das Wichtigste hätte ich jedoch fast vergessen: In jeden Fall sind das Fahrvergnügen und die Freude an der Natur fest in die Trails hinein konstruiert! Das unterscheidet sie von gewöhnlichen Forstwegen.
Auch der Fürst Pückler hat einst das Naturerlebnis und die Freude der Bewegung an der frischen Luft in seine Parks hinein geplant. Die Ära der Fahrräder oder gar der Mountainbikes erlebte er nicht mehr. Doch würde er heute leben, würde Hermann von Pückler-Muskau wohl Mountainbike-Trails in seine Landschaftsparks bauen. Da bin ich mir ganz sicher!