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Morgenluft

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Sonnenstrahlen kitzeln mich wach. Sie scheinen durch das große Dachfenster ins Schlafzimmer.

 

Meine Augen sind noch nicht ganz offen, aber doch können sie schon die große Wanduhr erkennen:

 

Ja, es ist Zeit aufzustehen!


Die Fahrradkleidung liegt schon bereit. Viel gibt es im Sommer ja nicht anzuziehen. Schnell schlüpfe ich in die kurze Radhose, ziehe mir das Shirt über den Kopf und stecke die Füße in ein paar Turnschuhe. Fertig! Zwei Minuten später rollt mein Monsta-Bike aus der Garage.

 

Der erste Kilometer durch die Siedlung dient zum Aufwärmen. Die Einfamilienhäuser dämmern noch im Halbschlaf, genau wie ich. Doch langsam kommt Leben in meinen Körper! Auf dem Radweg bis zur Dorfmitte des Nachbardorfs mache ich richtig Tempo. Jetzt schnurren Monstas grobe Reifen auf dem Asphalt vor Vergnügen.

 

Gleich hinter der Kirche biege ich in den Wald ab. Der Forstweg ist breit, doch Pfützen, Steine und abgefallene Äste wollen elegant umkurvt werden, denn sie sind natürlich kein Grund dafür, das Tempo zu drosseln.

 

Vor mir auf dem Weg läuft ein Hund. Er und sein Herrchen machen einen Morgenspaziergang. Um sie nicht zu erschrecken bremse ich jetzt doch ab. Dann grüßen wir Menschen uns freundlich und gleich geht die wilde Hatz weiter. Meine anfängliche Müdigkeit ist wie weggeblasen!

Gerade dort, wo der Waldweg in eine asphaltierte Fahrbahn übergeht, behalte ich den rechten Straßenrand im Auge. Irgendwo zwischen Büschen und Bäumen versteckt muss es einen Durchschlupf geben. Da ist er ja schon! Ein schmaler Pfad verliert sich im Wald und genau in diesen Pfad lenke ich jetzt mein Mountainbike.

 

Ja, ich habe hier einen waschechten Singletrail vor der Nase! Links-rechts, dann bremsen und wieder Gas geben! Die Hindernisse prasseln im Stakkato auf mich ein und es ist für mich ein Riesenspaß, sie zu parieren. Dabei stehen die Bäume manchmal so eng, dass ich gerade so zwischen ihnen hindurchpasse. Vorwitzige Zweige gehen dann schon einmal auf Tuchfühlung. 

Jetzt folgt der Weg entlang des Mühlenfließes. Der Pfad überrascht hier mit engen Kehren und matschigen Rutschbahnen, die es nur darauf abgesehen haben, den Radfahrer in den Graben zu schicken. Mit einer besonders kniffligen Kurve endet der feine Trail an der Rückseite der offiziellen Badeanstalt. Diese Kurve ist so knapp, dass sie nur in Schrittgeschwindigkeit funktioniert!

 

Jetzt bin ich schon am See. Der Seeuferweg ist eine malerische Strecke. Die Uferbäume rekeln sich schon in der Morgensonne. Wahrscheinlich werden sie von ihren Kollegen im Wald um ihren 1A-Standort mit Wasserblick beneidet. Ich dagegen erhasche immer wieder einen Blick auf das Glitzerwasser mit seinen tausenden Lichtreflexen.

 

An einer wilden Badestelle verleitet eine dicke Wurzel, die sich mit einer engen Kehre und einer steilen Rampe zusammengetan hat, zu einem Tänzchen auf dem Bike. Kein Problem! Monsta und ich sind ein eingespieltes Paar und die Melodie dieses Wegs ist uns gut vertraut. 

Nur 500 Meter weiter bin ich an „meinem“ Badeplatz.

 

Monsta parkt an einem Baum und darf sich ab sofort als Kleiderständer verdient machen. Ich stehe schon mit den Füßen im See und sehe zum gegenüberliegenden Ufer. Ein letzter Hauch von Morgendunst steht über der Wasserfläche. Es braucht ein bisschen Überwindung. Doch dann tauche ich ein. Ich finde schnell meinen Rhythmus und schwimme mit ruhigen Zügen dem anderen Ufer entgegen. 

Das Wasser gluckert an mir vorbei. Um mich herum ist jetzt nur die silbrige Wasserfläche des  Sees. Heute morgen muss ich sie mir nur mit ein paar Haubentauchern teilen. Erleichtert stelle ich fest, dass die Schwäne heute woanders sind! Der See ist ringsherum von einem dicken grünen Saum aus Bäumen und Büchen umgeben. Dieser Saum erscheint mir jetzt in allen Richtungen weit entfernt. Wie weit mag es noch bis zum anderen Ufer sein? Erst sind es vielleicht 100 Meter. Dann sind es noch 50, und dann 10. Bekomme ich schon Grund unter meine Füße? Ja!

 

Symbolisch berühre ich einen Zweig der Uferbüsche – das muss einfach sein – und mache mich auf den Rückweg. Als ich aus dem Wasser steige, guckt mich eine Baby-Ringelnatter an, die sich auf einem Baumstamm sonnt. Wahrscheinlich hat sie mein morgendliches Schwimmen genau beobachtet.

Nun streife ich mir schnell wieder meine überschaubare Kleidung über. Das Abtrocknen wird der Fahrtwind besorgen! Tschüß Badesee!

 

Ich wähle für die Rückfahrt die kürzere Strecke. Dazu folge ich nicht noch einmal der Kontur des Seeufers und auch den Singletrail lasse ich weg. Dafür bekomme ich lange gerade Forstwege für mehr Tempo und dazu ein paar kleine sandige Herausforderungen.

 

Etwas später habe ich schon wieder die Häuser unseres Dorfs um mich herum. Wie liege ich in der Zeit? Etwas mehr als eine Stunde müsste seit meinem Aufbruch vergangen sein. Auf jeden Fall werde ich es rechtzeitig zu meinem Arbeitsplatz im Home-Office schaffen! Ich werde seriös aus meinem Oberhemd herausschauen und niemand ahnt, dass ich mir heute schon eine kleine Auszeit genommen habe.

 

Zu Hause empfängt mich der Duft warmer Brötchen, die meine liebe Frau Tina gerade aus dem Ofen holt. Es wird ein herrliches gemeinsames Frühstück ... 

 

Denn heute muss ich ja gar nicht arbeiten. Heute ist ja Sonntag!


Guten Morgen, kleine Ringelnatter!
Guten Morgen, kleine Ringelnatter!

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