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Küssende Vögel und ein Esel

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... Da brüllt jemand: „Aufstehen“! Wie bitte? Und nochmal: „Aufstehen“!

 

Das kann doch wohl nicht wahr sein!  Ein älterer Herr grinst mich durch das Fenster an. Ehe ich überhaupt einen Gedanken fassen kann, ruft er mir zu: „Um 7 Uhr Kaffee. Bei mir. Gleich erstes Haus im Dorf !“ 

 

Verdattert sitze ich da. Doch dann komme ich zu dem Schluss, dass ich unbedingt zum Kaffeetrinken erscheinen muss, wenn ich die Geheimnisse dieses Morgens ergründen will ...


Fliegen durch die Nacht. Nein, ein richtiges Flugzeug ist nicht im Spiel, denn zu einem Privatjet habe ich es auch im Jahr 2023 noch nicht gebracht. Und anders als man in einem Fahrradblog erwarten könnte, sitze ich auch nicht auf dem Sattel. Mein Privatflugzeug heißt „Kugelblitz“. Es ist 3,45 m lang und 68 PS stark, womit klar sein sollte, dass es sich um ein kleines Automobil handelt. Wieder einmal bin ich viel zu spät losgefahren und nun gleiten wir durch die Nacht. Wir, das sind der Kugelblitz, mein Reise-Mountainbike „Monsta“ auf dem Dach und ich.

 

Was für Snobs mit eigener Cessna Zürich, Nizza oder Rom sein mögen, sind für mich heute Abend Lübbenau, Zgorzelec, Frýdlant und Turnov. Verlassene Grenzstationen fliegen vorbei und Ortsschilder mit unaussprechlichen Namen blitzen im Scheinwerferlicht auf. Seit ich die Autobahn verlassen habe und die Strecke bergiger und kurviger wurde, ist die Fahrt ausgesprochen kurzweilig. Ich schalte eifrig durch die Gänge, während mein gut gelaunter Dreizylinder sein ganzes Repertoire zum Besten gibt. Er kann lässig wie ein Halbstarker grummeln oder beflissen summen. Manchmal, wenn er sein ganzes Drehmomentchen in die Waagschale werfen muss, trompetet er in einem Ton, der sich wie die Spielzeugversion von Formel 1 anhört. Kurz gesagt, der Kugelblitz und ich sind in dieser Nacht wieder einmal ein perfektes Team! 

 

Wie man leicht erraten kann, liebe ich mein Automobil und ich liebe die kleine Freiheit, die es mir verschafft. Eine Welt komplizierter Absprachen, der Fahrpläne und Hotelreservierungen -so wie sie von anderen Zeitgenossen bevorzugt wird- erscheint mir gerade jetzt unendlich fremd und surreal.

 

Zu meinem nächtlichen Fahrvergnügen gesellt sich aber auch das Kribbeln der Vorfreude auf meine morgige Fahrradtour durch das Böhmische Paradies …


Spät, eigentlich viel zu spät, komme ich an der geplanten Stelle in der Nähe von Troskovice gleich unterhalb der berühmten Burg Trosky an. Der Parkplatz ist brauchbar. Es ist eine leicht abseits liegende Schotterfläche an einer früheren Weggabelung. Schnell bringe ich die Vorhänge an den Fenstern an und klappe das Bett aus. Diese Abläufe sind längst Routine und nur 10 min später liege ich in der Falle! Das ist gut so, denn der Schlaf wird leider kurz sein. Wie kurz, ahne ich noch nicht.

 

Im Prinzip habe ich eine ruhige Nacht. Auf der kleinen Landstraße neben meinem Parkplatz scheint kein einziges Auto zu verkehren. Nur am Morgen knattert so etwas wie ein schweres Motorrad vorbei. 

Moment mal, es fährt gar nicht vorbei …  Anscheinend dreht es eine Runde auf meinem Kiesplatz. Das nervt aber!

Und dann brüllt jemand: „Aufstehen“! Wie bitte? Und nochmal: „Aufstehen“! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Verschlafen ziehe ich den Vorhang beiseite. Ein älterer Herr auf einem Quad grinst mich an. Trotz seiner Militäruniform sieht er nicht sehr offiziell aus. Ehe ich überhaupt einen Gedanken fassen kann, ruft er mir zu: „Um 7 Uhr Kaffee. Bei mir. Gleich erstes Haus im Dorf !“ Das klingt wie ein Befehl, doch dann fügt er noch dazu: „Wenn du willst.“ Er sagt es, und braust im gleichen Moment davon.

 

Verdattert sitze ich in meinem Bett. Meine Gedanken kreisen wie aufgescheuchte Vögelchen in meinem Kopf. Sie finden keine rechte Ordnung: „Der Mann spricht gutes Deutsch mit tschechischem Akzent.“ „Es ist jetzt 6:30 Uhr“. „Er trägt eine Uniform der Britischen Armee“. „Sein Quad hat ein deutsches Kennzeichen“. Und „Tschechische Offizielle laden einen Herumtreiber eher nicht zum Kaffee ein.“ 

 

Ich komme zu dem Schluss, dass ich unbedingt zum Kaffeetrinken erscheinen muss, wenn ich die Geheimnisse dieses Morgens ergründen will. Wach bin ich jetzt sowieso! 


Ein feines Schlafplätzchen. Eigentlich ...
Ein feines Schlafplätzchen. Eigentlich ...

Beim Krümelkaffee auf der Bank vor Jiřís Haus erfahre ich seine Lebensgeschichte: 1983 ist er in die BRD ausgewandert. In Wetzlar kam er unter und arbeitete dort 40 Jahre lang als LKW-Fahrer. Vor 20 Jahren kaufte er dieses Haus im alten Heimatdorf. Seit kurzem ist er Rentner und nun dabei, die Hütte wohnlich zu machen. Seine tschechische Frau muss noch in Wetzlar bleiben, denn sie muss noch arbeiten. Gerade diese Woche wird hier auf dem Grundstück noch eine große Geburtstagsparty für einen alten Freund aus Troskovice vorbereitet und natürlich gefeiert! Doch ich höre auch heraus, dass er sich allein in seinem Haus langweilt. „Oft radeln deutsche Touristen vorbei.“ erklärt Jiří. „Sie rätseln über das Auto mit der Wetzlarer Nummer. Warum klingeln sie nicht einfach und fragen mich?“

 

Dann sagt er, dass er gern in die Heimat zurückgekommen ist. In Deutschland wäre es schlimm geworden, seit so viele asoziale arabische Männer auf den Straßen herumlungern.

 

„Morgen ist ein besonderer Tag!“, trumpft Jiří auf: „Weißt du welcher?“ Etwas verdattert zucke ich die Schultern. „Das weißt du nicht?“, fragt er scherzhaft böse. Dann platzt es aus ihm heraus: „Es ist Sommersonnenwende!“ Er berichtet: Gleich neben dem Platz auf dem ich geschlafen habe, befindet sich auf dem Feld ein magischer Kraftort. Jeden Juni zur Sonnenwende geht hier die Sonne genau zwischen den beiden markanten Felsentürmen der Burg Trosky auf. Die beiden Felsen sind mächtige Basaltsäulen aus erstarrter Magma. Sie stehen nicht weit voneinander und bilden eine Kimme, in der zur richtigen Zeit der rote Sonnenball auftaucht. Dieses Wissen hatten wohl schon die alten Kelten, die an diesem Ort Rituale aufführten. Ja, und morgen am Tag der Sonnenwende werden sicher viele Esoteriker kommen, die das Spektakel nicht verpassen wollen. 

 

Langsam ist meine Tasse leer. Ich bedanke mich und schwinge mich voller Tatkraft auf den Sattel. Auch wenn ich nun hundemüde sein müsste, hat mein morgendliches Frühstück auch etwas Gutes. Ich kann jetzt gleich, also um ½ Acht, losradeln. Es ist bestimmt keine schlechte Idee, bei der erwarteten Gluthitze heute die kühleren Morgenstunden zu nutzen.


Noch schnell ein Blick zurück. Im Hintergrund steht die markante Burg Trosky.
Noch schnell ein Blick zurück. Im Hintergrund steht die markante Burg Trosky.

Die Fahrt beginnt auf kurvigen Straßen zwischen Teichen, an deren Ufern hier und dort schon einmal erste Sandsteinfelsen hervorlugen. Dann gesellen sich Hügel dazu, deren Anstiege allesamt so kurz sind, dass sie gar nicht anstrengend sein können. Die kleinen Dörfchen auf dem Weg scheinen noch zu schlafen. Nur ganz selten begegnet mir ein Auto auf meiner Straße.

 

Auf einmal habe ich diese Sandsteinfelsen um mich herum! Es sind viele. Schlanke Felsnadeln sind genauso vertreten, wie kompakte, dicke Brocken. Einer von ihnen hat ein großes Loch in seinem Steinbauch. Er steht als imposanter Straßenwächter direkt am Fahrbahnrand.

Beinahe tauche ich bei Hrubá Skála noch tiefer in die Felsenwelt ein, doch meine Route schlägt einen Haken und treibt mich auf weiterhin hügeligen Straßen durch die kleinen Dörfer am Fuß dieses Minigebirges. Erst in Pelešany, einem dörflichen Ortsteil des Städtchens Turnov, zieht es mich hoch in die Berge und damit wieder zu den Felsen, für die das Böhmische Paradies (Český ráj) berühmt ist.

 

Die Asphaltstraße ist gleichzeitig die Zufahrt zur Burg Valdštejn, wobei die Motortouristen ihre Fahrzeuge auf einem recht weit entfernt stehenden Parkplatz abstellen müssen. Zu dieser Zeit ist jedoch noch kein einziges Auto da und der Parkplatzwächter langweilt sich in seiner Hütte. Ich als Radfahrer habe freie Fahrt und kann der Straße bis hinauf zur Burg folgen. Doch bis dahin ist es noch ein Stück. Stetig bergauf strample ich durch den Wald und noch lange ist kein Haus und keine Burg zu sehen. Dann leuchtet weit über mir die schneeweiße Fassade der Burgkapelle durch die Blätter der Bäume. Gleich darauf wird auch die Straße interessanter, denn sie ringelt sich um diese Burg herum und durch einen Brückenbogen hindurch, der die eigentliche Auffahrt zur Burg darstellt. Und jetzt bin ich oben angekommen! Ich sehe eine lange gemauerte Steinbrücke, an der eine Menge Heiligenfiguren Spalier stehen und an deren Ende sich ein Torbogen befindet. Dahinter sind die Burggebäude zu erahnen. Eine laut schnatternde Kindergruppe plätschert gerade ohne Eile durch das Tor auf das Burggelände. Das erinnert mich daran, dass jetzt um den Sommeranfang herum traditionell alle tschechischen Schulklassen auf Reisen sind und in Vorfreude auf ihre Ferien verschiedene einheimische Sehenswürdigkeiten besuchen. Selbst mit der bunten Schulklasse ist die Brücke mit ihren Heiligen unter dem grünen Blätterdach des Waldes ein wirklich romantischer Ort!   



Die Burg Valdštejn hat eine lange wechselvolle Geschichte. Nach ihrer Gründung um das Jahr 1270 herum verzeichnen die Archive eine endlose Kette von Eigentümerwechseln, Erbschaften und Gerichtsverfahren, weil es damals genau wie heute in Immobilienangelegenheiten immer wieder zu Streit kam. Eine Zeit lang war die Burg sogar ein richtiges Raubritternest, aber von echten kriegerischen Kämpfen war nie die Rede. Irgendwann im 16. Jahrhundert brannte die Burg komplett ab. Erst 1620 kaufte der Söldnerhäuptling Wallenstein die Ruine, betrachtete das Grundstück aber wohl als reine Kapitalanlage, denn er ließ keine Aufbauarbeiten vornehmen. 1694 zog ein Prager Künstler als Hausbesetzer und Einsiedler in die baufälligen Reste. Es war der Komponist Václav Karel Holan Rovenský, der offenbar so viele Fans und Freunde hatte, dass ihm hier oben auf den Felsen gar nicht langweilig werden konnte. Weil im Laufe der Zeit regelrechte Wallfahrten nach Burg Valdštejn unternommen wurden, entschlossen sich die Eigentümer auf dem Felsen die erstaunlich große Kapelle des Heiligen Nepomuk zu bauen. Das ist das hell angestrichene Gebäude, das ich vorhin zuerst gesehen hatte. Die restlichen „Burggebäude“ entstanden erst viel später im 19. Jahrhundert. Sie sind die Imitation einer Burg und wurden von vornherein als Touristenattraktion konstruiert.

 

Auf Schotter verlasse ich Valdštejn. Die Radroute 4078 verläuft von Nordwesten nach Südosten quer durch das Böhmische Paradies. Würde ich nicht vorher abbiegen, wäre ich schon in einer Viertelstunde in Hrubá Skála und gleich darauf an dem Ort, wo ich den Sandsteinfelsen heute das erste Mal begegnet bin. Das Český ráj hat für den Radfahrer wirklich eine überschaubare Größe!

 

Ich finde es auch erstaunlich, dass ich hier auf dem Schotterweg recht wenig von den zauberhaften und manchmal mystisch wirkenden Sandsteinfelsen mitbekomme. Anscheinend radle ich hier auf einer Art Bergrücken und die Felsen verstecken sich links oder rechts irgendwo ganz weit unten hinter den Bäumen. Der Aussichtspunkt „U Lvíček“ (beim Löwenkind) soll mir die Gelegenheit geben, meine These zu untersuchen. Er befindet sich nur 100 wurzelreiche Meter von der Hauptroute entfernt.

 

Die Besucherplattform ist mit Eisengeländern gesichert und wagt sich oben auf einen dieser Sandsteinfelsen hinauf. Klettern muss ich zur Besichtigung aber nicht, denn ich komme -wie schon vermutet- direkt von oben. Hier bietet sich mir ein Überblick über eine kleine Armee von Sandsteintürmen, von denen jeder seine eigene interessante Gestalt hat. Zwischen den Felsen sehe ich Pfade und Wege und ich ertappe mich dabei, mir vorzustellen, mit dem Mountainbike durch diesen Felsengarten zu flitzen. Ob dieses Unterfangen hier erlaubt wäre, möchte ich bezweifeln. Ganz praktisch fehlt mir dafür aber vor allem die detaillierte Ortskenntnis. Denn erfahrungsgemäß kann das, was wie ein passabler Weg aussieht, sich wenige Meter später als Falle aus Geröll, Baumstämmen und Felsabsätzen erweisen. So etwas ist nicht unbedingt gefährlich, aber der Spaß ist dann vorbei!


Die Felsenwelt liegt mir zu Füßen!
Die Felsenwelt liegt mir zu Füßen!

Wäre es nicht toll, mit dem Bike zwischen den Felsen herumzuflitzen?
Wäre es nicht toll, mit dem Bike zwischen den Felsen herumzuflitzen?

Ich trolle mich lieber wieder zurück auf meine Radroute. Damit bleiben die Felsen auf Distanz. Beim Arboretum Bukovina schlage ich einen scharfen Haken und entferne mich auf einem Forstweg aus dem „Paradies“. Genau genommen verlasse ich nur diesen Teil des Böhmischen Paradieses und wende mich einem neuen Himmelreich zu. Das berühmte Český ráj, also die Felsenwelt zwischen Hrubá Skála und dem Schloss Valdštejn hat an ihrer Seite nämlich noch eine schüchterne Schwester. Es ist die Felsenstadt Příhrazy (Pschichraser Felsen). Hier hoffe ich später zwei sehr erstaunliche und „streng geheime“ Felsenfiguren zu finden. Im Grunde sind diese Felsen sogar das eigentliche Ziel meiner heutigen Expedition. Erst vor wenigen Tagen hat mir ein bekannter Videoblogger mit seinem Film diese natürlichen Kunstwerke vor Augen geführt. Damit wurde mein Reiseziel bestimmt und ich kann sagen, meine Spannung steigt langsam!

 

Doch zuerst befahre ich ein paar kleine Landstraßen. Wieder sind die Hügel nicht sehr anstrengend. Sie lockern die Landschaft auf und sorgen durch stetigen Perspektivwechsel für Abwechslung. Gepflegte Dörfer ziehen vorbei, in denen es zwischen neuzeitlichen Häusern auch immer wieder historische Gebäude zu bewundern gibt. Hinter Žehrov freue ich mich, meine groben Reifen wieder mit leichtem Gelände füttern zu können. Dazu muss ich auf einem schmalem Wiesenpfad zwischen zwei Weiden hindurch, von denen mich ein paar gutmütige Rinder ansehen. Mehr Respekt als vor den entspannten Tieren habe ich vor den nahen Elektrozäunen, die sich bei einem möglichen Fahrfehler sicher unangenehm bemerkbar machen würden. Dann komme ich in einen Wald, der schon zum Felsengebiet von Příhrazy gehört. Von Sandsteinen gibt es hier zwar noch keine Spur, aber mit feinem Sand, Wurzeln, kurzen steilen Rampen und moderaten Steinplatten wird mir einiges geboten. Ich fühle mich auf dem Mountainbike in meinem Element. Für die schönere Optik wurde der Sandweg sogar über und über mit Kiefernzapfen dekoriert.


Rechts 'ne Kuh, links 'ne Kuh (nicht im Bild) - In der Mitte verläuft mein Weg!
Rechts 'ne Kuh, links 'ne Kuh (nicht im Bild) - In der Mitte verläuft mein Weg!

Zur Verschönerung wurden extra viele Kiefernzapfen ausgelegt!
Zur Verschönerung wurden extra viele Kiefernzapfen ausgelegt!

Dass es hier keine Felsen gibt, ist eigentlich kein Wunder. Im Augenblick umrunde ich nämlich gerade die Felsenstadt, denn als Radfahrer werde ich nicht so ohne Weiteres in ihre zerklüftete Welt hineingelassen. Erst beim Dörfchen Zásadka beginnt eine Asphaltstraße, die mich geradewegs ins Innere dieses Felsengebiets bringt. Genau genommen werde ich aufwärts zur Kante des äußeren Felsenriffs geleitet, wo sich die Ausflugsgaststätte „Na krásné vyhlídce“ (Zur schönen Aussicht) befindet. 120 Höhenmeter auf 3 Kilometern sind im Grunde nicht der Rede wert, aber inzwischen grillt mich die Sonne unbarmherzig. Dass die Straße weitgehend schattenlos ist, erweist sich dabei auch nicht gerade als Vorteil.

 

Traditionell ist das ganze Böhmische Paradies eher ein Wander- und nicht unbedingt ein Fahrradgelände. Das ist auch klar, denn auf den vielen kleinen und interessanten Wegen kommt man mit dem Bike einfach nicht durch. Daher beginnt an der „Schönen Aussicht“ meine kleine Wandertour. Hier gibt es Wald und damit Schatten und viele kleine Pfade. Die kleinsten unter ihnen sind die reizvollsten und immer wieder zieht es mich ganz nach vorn an die Felsenkante. Manchmal ist es möglich, auf einen der Sandsteinköpfe vorzudringen und die Aussicht zu genießen. Offen gesagt blickt man vor allem auf eine Autobahn und einen Flugplatz für Kleinflugzeuge. Erst weit entfernt -beinahe am Horizont- lassen sich Berge erahnen. Ich glaube das Jeschkengebirge zu erkennen und weiter links den Spitzkegel von Ralsko.

 

 

Im bewaldeten Hinterland des Felsenriffs, dort wo mein Weg verläuft, tun sich wie aus dem Nichts überraschend tiefe Schluchten und Felsspalten auf. In der Dunkelheit sollte man hier besser nicht wandern! Ein Fehltritt würde zu einer Reise ins Erdinnere führen, zumal sich sogar auf dem Wanderweg zwischen den Baumwurzeln manchmal metertiefe Erdlöcher auftun. Wahrscheinlich wohnen dort unten sogar böse Zwerge!



Mein erstes richtiges Highlight ist ein Felsen, dem ich den Namen „Miss-Tschechien-Aussicht“ verpasst habe. Vermutlich stand hier einmal eine alte Burg. Man sieht die Reste vieler in den Stein gehauener Stufen und auch der Zugang zum Ausguck erfolgt über eine dieser Treppen. Er ist besonders abenteuerlich, weil ein riesiger Felsblock auf die Stiege gestürzt ist und nun den Weg versperrt. Nach einer kleinen Klettereinlage komme ich oben an. In den Stein ist hier ein etwa knietiefer Gang gehauen, der in einer hüfthohen Schale endet. Was soll das sein? Ein Wachposten? Eine Feuerstelle als Leuchtturm? Ein mittelalterlicher Whirlpool? Kann ich das Googeln? Ich weiß ja nicht einmal, wie diese Stelle heißt! Selbst der Wanderweg hier ist nicht offiziell. Abgekratzte Markierungen weisen allerdings darauf hin, dass er es einmal war. Möglicherweise greift auch hier die Unsitte der „Besucherlenkung“, die ich schon aus der Sächsischen Schweiz kenne. Sie will mit subtilen Mitteln dafür sorgen, dass die Wanderer auf den großen langweiligen Hauptwegen bleiben.

 

Bleibt die Frage zu klären, was es nun mit der „Miss-Tschechien-Aussicht“ auf sich hat: Während der sonst so zuverlässige einheimische Kartendienst mapy.cz so tut, als gäbe es diesen wunderbaren Ort gar nicht (Was mich wiederum an Zensur oder „Besucherlenkung“ glauben lässt!), ist das deutsche komoot.de auskunftsfreudiger. Komoot kennt auf seiner Karte nicht nur die schon erwähnten Stufen, es hat an dieser Attraktion auch zahlreiche Fotos von Anwendern des Kartendiensts hinterlegt. Auf mehreren dieser Bilder rekelt sich eine kurvenreiche Schönheit in dem erwähnten Steinkessel. (Ich habe übrigens einigen Grund zur Annahme, dass es sich bei der Dame nicht um eine schöne Tschechin handelt, sondern um eine Sächsin. Warum ich das denke, verrate ich jetzt nicht …)

 


Internetfund: Diese Loreley zieht mich magisch an ...
Internetfund: Diese Loreley zieht mich magisch an ...

... heute ist sie aber nicht hier!
... heute ist sie aber nicht hier!

Kurz darauf bin ich zurück auf dem Weg. Diesmal ist es sogar der offizielle Wanderweg, der zielstrebig durch eine Felsenklamm führt. Der Ort nennt sich Studený průchod und es heißt, in seinem Inneren steigt die Temperatur auch im Hochsommer nicht über 10 Grad. Und wirklich, die erfrischende Kühle in dem schmalen Spalt zwischen meterhohen Felsen ist einfach herrlich! Leider ist dieser Wanderweg mit eingebauter Klimaanlage bereits nach hundert Metern zu Ende.

 

Wieder gänzlich ungekühlt wandere ich an allerlei wunderlichen Felsen und tiefen, unvermittelt auftauchenden Schluchten vorbei zur Burg Drábské světničky, aus der Übersetzer im Handy wahlweise „Kleine Mädchen“ oder „Drab Kerzenhalter“ macht.

 

Die magische Felsenburg wurde auf 7 eng beieinanderstehenden Felsen errichtet und soll insgesamt nicht weniger als 18 Räume haben. Leider verkündet ein Schild, dass die Burg wegen der „Vorbereitung der Rettungsarbeiten“ zurzeit geschlossen wäre. Diese Vorbereitung dauert offensichtlich schon eine geraume Zeit und findet ausschließlich im Büro statt. Jedenfalls sind vor Ort keine Anzeichen von Bauarbeiten zu sehen. Dafür ist aber sogar der Bohlensteg zum Kassenhäuschen schon gefährlich löchrig. Bevor ich den Verantwortlichen Unrecht tue: Das massive Stahlgitter, das die Ruine absperrt, scheint nagelneu zu sein!

 

Gegen dieses Problem haben unsere tschechischen Entdeckerfreunde aber schon eine Abhilfe gefunden. Gleich neben der Eingangshütte lehnt ein passender Holzstamm an der Felswand, mit dem man dem Häuschen aufs Dach und anschließend in die Burg hineinsteigen kann. Kurz juckt es mich … Doch heute mache ich von der Steighilfe keinen Gebrauch. Vielleicht ist es einfach zu heiß und auch die Fahrradpacktasche, die ich bei mir trage, wäre lästig. Aber schon auf dem Rückweg zum Monsta-Bike bedauere ich, dass ich mir die Gelegenheit zur Burgbesichtigung entgehen ließ …

 


Kassenhäuschen von Drábské světničky. (Und eine Einladung zu einer kleinen Ordnungswidrigkeit.)
Kassenhäuschen von Drábské světničky. (Und eine Einladung zu einer kleinen Ordnungswidrigkeit.)

... sowie der amtliche Begleittext.
... sowie der amtliche Begleittext.

Geduldig hat mein Fahrrad auf mich gewartet. Und nun ist es endlich Zeit für meine Expedition zu den ganz besonderen und ganz besonders „geheimen“ Felsen. Wie auch im Elbsandsteingebirge, gibt es im Český ráj einige Sehenswürdigkeiten, die Einheimische gern vor Touristen verbergen wollen. Nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit werden die Positionen an gute Freunde weitergegeben. So war es auch bei mir. Ein tschechischer Kamerad half mir ein wenig auf die Sprünge und zusätzlich brauchte es noch viel akribische Detektivarbeit im Internet um die Koordinaten festzustellen. Doch jetzt glaube ich zu wissen, wo ich suchen muss. Ob ich die Felsen finde?

 

Doch zuerst muss ich überhaupt in die Nähe der Objekte kommen. Um nicht noch einmal die Straße zu nehmen, habe ich mir einen Wanderweg ausgesucht. Koomot bewertet die Qualität dieser Strecke mit S1, wonach fahrtechnische Grundkenntnisse wie dosiertes Bremsen und Körperverlagerung nötig wären. Auch der cykloserver.cz hält den Weg für befahrbar, allerdings mit „anspruchsvollem Untergrund“. Nun sind „anspruchsvoll“ und „S1“ dehnbare Begriffe. Nach einem netten Trail durch einen verwilderten Obstgarten wird der Weg eher zu einer Offroad-Strecke. Leider liegen auch Bäume im Weg, so dass es stellenweise mit einer Körpergewichtsverlagerung nicht getan ist. Aber ein bisschen tragen und schieben hat noch niemandem geschadet und eine interessante Streckenalternative hätte es ohnehin nicht gegeben. Bald normalisiert sich der Weg und ich jage über Forststraßen meinem Ziel entgegen. In der Nähe eines Hügels mit dem seltsamen Namen „Schweinfleisch“ (Vepřsko) müsste ich eigentlich die Vögelchen schon zwitschern hören.

 

Welche Vögelchen? Ach so, das Felsengebilde, das ich suche, wird „Vogelkuss“ genannt!

 

Auch wenn ich die GPS-Position der Vögel (wahrscheinlich) kenne, ist der Weg dorthin nicht unbedingt ersichtlich. Jetzt heißt es Ausschau halten. Ich meine, eine Art Trampelpfad im Wald zu erkennen. Ich folge der Spur, schließe mein Fahrrad außerhalb der Sicht von Förstern und anderen Waldmeistern an einen Baum und gehe zu Fuß weiter. Die Trampelpfade verzweigen sich. Das ist so ein typisches Phänomen: Diese „Geheimplätze“ sind am Ende ziemlich frequentierte Orte. Keiner kennt sich so richtig aus, aber viele suchen. Da werden im Versuch-und-Irrtum natürlich auch falsche Wege probiert und bleiben als Trittspuren sichtbar. Dann kommt der Nächste und deutet die Zeichen falsch. So falle auch ich auf einen Irrweg herein. Ich klettere auf ein Felsplateau und sehe um mich herum nur andere Felsen. Hier ist es nicht, aber dort auf dem Nachbarfelsen könnte es sein. Oder vielleicht dort drüben, oder doch dort?

 

Da hilft nur weitersuchen! Ich konzentriere mich auf die exakte GPS-Position und die sichtbaren Pfade. Ich kraxle einen Felsen hinauf, muss mich oben noch um einen Baum hangeln und finde einen Sandsteinblock mit einer kleinen Sandsteinbrücke. Sollten das etwa die Vögel sein? Kann man dieses kleine Gebilde wirklich so geschickt fotografieren, dass die spektakulären Aufnahmen herauskommen, die ich im Internet gefunden habe? Vorsichtshalber sehe ich mich noch einmal um. Behutsam taste ich mich einen Schritt weiter, denn aus dieser Höhe möchte ich auf keinen Fall vom Felsen herunterfallen! Und da sehe ich sie!

Wirklich, zwei Vögel recken die Hälse und küssen sich mit den Schnabelspitzen. Wer in dieser Skulptur der Natur nur irgendein Felsentor aus Sandstein sieht, hat wirklich keine Fantasie! Was für ein verrücktes Gebilde!

(Der Geocacher Alke04 liefert eine interessante Beschreibung dieses natürlichen Kunstwerks.)


Da sind sie ja!
Da sind sie ja!


Stolz auf mein „Weihnachtsgeschenk“, das ich mir selber gemacht habe, trolle ich mich zurück zu Monsta-Bike. Ich bekomme nämlich noch ein Geschenk! Kaum einen Kilometer später stoppe ich schon wieder. Hier im Wald wartet eine weitere Felsformation auf mich und wieder ist es ein Tier. Diesmal ist der Trampelpfad eindeutig und die mir bekannte GPS-Position ist super exakt. Etwa 200 Meter muss ich steil bergauf gehen, dann bin ich schon am Ziel. Hier an der Böschung steht ein riesiger Elefant. Während die Vögel zierlich und zerbrechlich erschienen, ist an diesem Steintier alles kräftig, solide und tonnenschwer. Der Kopf ist gut zu erkennen und der Rüssel spannt sich in großem Bogen über den Weg. Wenn ich tollkühn wäre, könnte ich den Rüssel hinaufklettern. Wahrscheinlich würde ich abstürzen, aber die Gefahr, dass dadurch am dicken Sandstein etwas bricht, besteht nicht. Bei den filigranen Vögelchen vorhin wäre ich mir da nicht so sicher …

(Auch vom Elefanten, eigentlich dem „Regenbogentor“, gibt es eine tolle Beschreibung vom Geocacher Alke04.)


Kein Zweifel, da steht ein Elefant im Wald!
Kein Zweifel, da steht ein Elefant im Wald!

Ich klettere zufrieden zurück zu meinem Fahrrad, schütte die letzten Getränkereserven in mich hinein und bin glücklich.

 

Pfff …   Und plötzlich ist die Luft raus. Nein, meine Fahrradreifen sind es nicht. Die sind immer noch prall gefüllt. Aus mir ist die Luft raus! Ich bin heute viele schöne Kilometer geradelt, bin eingetaucht in die Felsenlandschaft, habe Ausblicke genossen und bin durch ein wahres Sandsteinlabyrinth gewandert. Gerade eben habe ich die beiden seltsamen und dabei „streng geheimen“ Sandsteingebilde wirklich gefunden und bewundert. Damit habe ich mir selbst eine große Freude bereitet! Und jetzt? Jetzt ist es einfach nur 28 lethargische Grad schwülwarm, meine Getränke sind alle und will ich nur noch schnell zurück zu meinem Auto.

 

Die Ereignisse der folgenden zwei Stunden werden beweisen, dass die Erfahrungen aus ungezählten Fahrradtouren und ein reifes Lebensalter von 55 Jahren nicht unbedingt davor bewahren, ein alter Esel zu sein!  

Ich hätte es so entspannt haben können! Zuerst wäre ich zu dem großen, keine zwei Kilometer entfernten Komárovský Teich geradelt. Dort wäre die Badestelle nicht zu verfehlen gewesen und ich hätte mich im Wasser erst einmal gründlich abgekühlt. Anschließend hätte ich eine Ausflugsgaststätte aufgesucht und eine riesige Kofala (tschechische Cola) in mich hineingeschüttet. Vielleicht hätte ich auch eine Kleinigkeit gegessen. Auf diese Weise gut erfrischt und gestärkt wären die verbleibenden 23 hügeligen Landstraßenkilometer bis zum Ziel keine große Sache gewesen. Bei gemütlichem Tempo hätte ich selbst die Hitze gut ausgehalten. Ganz abgesehen von der Option, irgendwo im Schatten ein Mittagsschläfchen zu halten und dabei auf den kühleren Spätnachmittag zu warten.

 

Der Esel in mir verfolgt dagegen stur den zu Hause ausgetüftelten Plan. Und schon dieser Plan hat einen gravierenden Fehler. Weil die Straßenroute auf der Landkarte einen gewaltigen Bogen schlägt und damit einen Umweg macht, wollte ich die Strecke begradigen. Dazu wählte ich eine Abkürzung über Wanderwege, deren Steigungen und Streckenzustand ich im Vorfeld nicht herausfinden konnte. Ist mir nie die Idee gekommen, dass es Gründe haben müsste, dass selbst die ausgeschilderten Radrouten des KČT den direkten Weg meiden? 

Zurück in die Realität. Nachdem ich den letzten Tropfen ausgetrunken habe, schwinge ich mich wieder auf das Rad. Ich starte auf dem Weg unterhalb des Elefantenrüsselsteins. Wenig später fliegen die Häuser des Dorfs Branžež vorbei und anschließend schickt meine Route mich in den Wald. Die Wege sind hier nun sandig, aber noch gut fahrbar. Die Chance, ein Bad zu nehmen, zieht ungenutzt an mir vorbei, denn genau hier wäre der Zugang zur Badestelle.

 

Einige Landstraßenkilometer und ein paar Hügel weiter stehe ich vor der Burg Kost. Das ist eine beachtliche Anlage, die kurioserweise im Tal inmitten dichter Wälder und Teiche und dabei eben nicht wie üblich auf einem Berg liegt! Das Verteidigungskonzept der Burg sah daher einst die Flutung der gesamten Umgebung vor. Im 15. Jahrhundert verbreitete sich das Gerücht, dass die Burg dadurch uneinnehmbar sei. Genau genommen wurde diese Geschichte vom damaligen Besitzer der Burg, Zajícové z Hazmburka (Der Hase von der Hasenburg), herumerzählt. Eingenommen wurde die Burg tatsächlich nie, aber es hat wohl auch nie jemand ernsthaft versucht, sie zu stürmen.

 

Kurzerhand radle ich durch das große Tor auf den Burghof. Der wird schon von einer großen Schülergruppe belagert. Ach ja, es ist die Zeit der Schulklassenfahrten! Die Burg selbst kenne ich schon von einem Familienurlaub vor 8 Jahren. Ohnehin bin ich gerade weniger an alter Bausubstanz interessiert, als an einem Kiosk für Getränke und andere Erfrischungen. Der Schönheitsfehler der Burg Kost ist aber, dass es einen solchen Verkaufsstand hier nicht gibt. Da wäre nur das Restaurant von der Sorte Eichenholztäfelung, Schweinebraten-Kraut-Knödel und Pivo. Klar, schwere Hausmannskost wäre im Moment nichts für mich, aber dass ich nicht auf ein Bierchen (oder ein Mineralwasser) einkehre, ist wieder so eine Eselei.


Die Burg Kost.
Die Burg Kost.

Hinter der Burg beginnt der experimentelle Teil der Route. Ich schlage mich wortwörtlich ins Gebüsch. Der Wanderweg verengt sich, er wird steinig und dann auch noch steil. Ich muss ein Stück schieben. Dann rollt das Rad - wenn auch zäh - weiter.

 

Endlich erscheint ein Dorf! Doch in den Vorgärten der Häuser ist leider niemand, den ich um Wasser bitten könnte. Dafür sehe ich im Zentrum des Örtchens eine Wasserpumpe. Das könnte nicht nur eine Erfrischung, sondern überhaupt meine Rettung sein! Im Grunde ist die Pumpe sogar ein Déjà-vu-Erlebnis für mich. Vor einigen Jahren, auf meiner Tour von Prag nach Dresden, war es ähnlich heiß. Und plötzlich stand da an meinem Weg eine Wasserpumpe, die nach einigen quietschenden Schwengelhüben in großem Schwall herrlich kaltes Wasser ausspuckte! Auch dieser Pumpenschwengel hier quietscht, doch aus dem Auslauf rieseln nur ein paar Rostkrümel. Die Geschichte scheint sich also doch nicht zu wiederholen. Dann weiter …

 

Zur Abwechslung verliert sich mein geplanter Weg in undurchdringlicher Vegetation. Dafür bietet sich eine unbefestigte Straße an, die leider an ein paar Häusern endet. Auf einem Trampelpfad muss ich mein Bike eine Böschung hinunterschleppen, doch dann habe ich endlich wieder Asphalt unter den Rädern. Die Straße bringt mich zu einer Kette von Teichen, an denen es eine historische Mühle geben soll, die mein Frühstücksfreund heute Morgen erwähnte.

 

Gleich am ersten Teich mache ich eine Pause und stecke meine Füße in das lauwarme Wasser. Ist das herrlich! Schnell nutze ich die Gelegenheit und schütte mir noch eine Mütze voll Wasser über den Kopf. Auch das tut gut! Und schön ist auch, dass ich jetzt schon ganz dicht am Ziel bin. Von der nahen Nebákov-Mühle (Nebákovský mlýn, gegründet im 15.Jahrhundert und im 18. Jahrhundert im Barockstil umgebaut) müsste ein Pfad direkt zu meinem Auto führen. Nach Jiřís Jugenderinnerungen sollte der Weg unmittelbar bis zu meinem Parkplatz führen und mit dem Mountainbike gut befahrbar sein. Mag sein, dass das 1973 so war. Heute, 50 Jahre später, folgt der geneigte Fahrradtourist einem zweifelhaften Trampelpfad entlang eines schmalen Wassergrabens. Dann kämpft er sich durch eine Brennesselplantage, um schließlich in einem wilden Verhau umgestürzter Bäume stecken zu bleiben. Das wird nix!


Auch wenn es nicht so aussieht: Das Wasser ist eine Erfrischung!
Auch wenn es nicht so aussieht: Das Wasser ist eine Erfrischung!

Mir bleibt der rot markierte „Goldener Wanderweg durch das Böhmische Paradies“, der eine steile Schiebestrecke und natürlich einen gehörigen Umweg beinhaltet. Die verbleibenden zwei sonnigen Straßenkilometer radle ich wie in Trance. Dann ist ein alter Esel endlich am Ziel!

 

Trinken, Essen und wieder Trinken! Das alles bietet meine rollende Versorgungsstation reichlich. Sogar etwas Schatten spendet der kleine rote Flitzer und gibt mir die Gelegenheit mich neben dem Auto auf einer Decke lang zu machen. So hänge ich wohl zwei Stunden ab. Als meine Regeneration ausreichend fortgeschritten ist, fahre ich (mit dem Auto) doch noch baden …

 

Die Nacht aber, so habe ich gerade beschlossen, werde ich direkt am Kraftort verbringen! Da sie warm und trocken bleiben soll, schlafe ich kurzerhand im Freien direkt auf dem Feld. So werde ich aus erster Hand den spektakulären Sonnenaufgang zwischen den Felsen sehen und muss dafür nicht einmal aufstehen …

 



PS: Der nächste Morgen ist bedeckt und damit fällt das Sonnenwendespektakel in diesem Jahr aus. Dafür streifen eine Menge enttäuschter Leute mit großen Kameras um mich herum über das Feld. So ist auch diese Nacht sehr kurz für mich. Ich packe noch vor 5 Uhr meine Sachen, verlasse schnell die Gegend und schlafe mich an einem anderen Ort erst einmal richtig aus. 


Wunsch ...   (im Internet gefunden)
Wunsch ... (im Internet gefunden)

... und Wirklichkeit.
... und Wirklichkeit.

PPS: Darf ich noch ein Fazit ziehen? Das Böhmisches Paradies ist kein Paradies der Superlative. Wer die höchsten Berge, die meisten Felsen und die spektakulärsten Aussichten sucht, ist hier falsch. Aber die fehlenden Extreme sind kein Nachteil. Ist es in Wahrheit nicht so, dass die höchsten Berge unendlich viel Schweiß für den Aufstieg fordern würden? Müsste man in einem Gebiet mit den meisten Felsen nicht tagelang wandern um alles zu sehen und werden nicht sogar die spektakulärsten Aussichten fade, wenn ihre Reize in Überzahl auf uns einstürmen?  

Das wahrhaft paradiesische im Böhmisches Paradies ist das richtige Maß! Wanderungen werden nicht zu Gewaltmärschen und die Ein- und Ausblicke in die Natur streicheln die Seele. Die Entfernungen sind kurz und die Attraktionen dabei reizvoll und in angenehmer Distanz. Wie es sich für ein altehrwürdiges Tourismusgebiet gehört, gibt es natürlich auch ausreichend Gastronomie. Der Fahrradfahrer findet vor allem verträumte Landstraßen im Umland der Felsengärten. Auf seinen Touren wird er beinahe zwangsläufig an einer der großartigen historischen Burganlagen vorbeiradeln. Will er die Sandsteinfelsen besuchen, sollte er sich aber unbedingt mit der Idee des „Bike & Hike“ anfreunden!

 

Kurz gesagt, es gibt viel zu entdecken im Böhmischen Paradies und trotzdem wird jeder entspannt und entschleunigt von der Reise zurückkehren! Noch ein Tipp: Man muss sich nicht unbedingt -wie ich- gerade den heißesten Tag des Jahres für eine solche Tour aussuchen …



Hinweis: Auch ich verrate die genaue Position der „Küssenden Vögeln“ und des „Elefantenrüssels“ in diesem Bericht nicht. Die Aufzeichnung auf der Streckenkarte habe ich dazu ein wenig begradigt, so dass ich an den Sehenswürdigkeiten scheinbar direkt vorbeigeradelt bin. Ich bin mir aber sicher, wer den Text aufmerksam liest und dazu mit den verschiedenen Online-Kartendiensten umgehen kann, findet die Felsen ganz bestimmt!

 

Hinweis: Einige Weblinks im Text verweisen auf Websites in tschechischer Sprache.

Ich empfehle, die Übersetzen-Funktion des Webbrowsers zu nutzen!

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