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Tour der Missverständnisse

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Putzig sehen sie ja aus, die geschnitzten Hamsterfiguren am Wegesrand der Blockline-Route. Sie gucken „so süß“, dass es nicht den geringsten Zweifel geben kann: Hier wird der ganzen Familie, Vater-Mutter-Kindern, etwas geboten.

 

Ob es auch einen Haken an der Sache gibt? 


Die „Blockline“ ist eine ausgewiesene Mountainbike-Strecke im Osterzgebirge. Sie verfügt im Cyberspace über eine aufgemotzte Website mit bunten Bildern und vielen Anglizismen. In der harten Realität gibt es verschiedene Etappe von 52 bis 66 Kilometern Länge und diese liebevoll geschnitzten Figuren an den Pausenplätzen. Ich nehme mir den „Loop1“ vor, der ein „Abschalten in den Tiefen wundervoller Natur“ verheißt. Auch ein Treffen mit Dachs und Rothirsch wird versprochen. Ich finde sowieso, die ausgewiesenen 53 Kilometer sind ein gutes Warm-Up für das, was in diesem Kurzurlaub noch kommen kann. In diesem Moment ahne ich noch nicht, dass ich einiges nicht richtig verstanden hatte.

 

Als ich am Morgen aus meiner bewährten „Rollenden Räuberhöhle“ klettere und mich und mein Monsta-Bike auf die Tour vorbereite, wird mir mein erstes Missverständnis bewusst. Irgendwie dachte ich, dass das Wetter an einem 25. April schon etwas frühlingshafter sein müsste. Aber hier in Cinovec auf dem Kamm des Erzgebirges begrüßen mich deutlich einstellige Temperaturen und ein grau bedeckter Himmel. Vor gerade einmal drei Tagen verbrachte ich mit meiner E-Bike-begeisterten Ehefrau einen beinahe sommerlichen Fahrradtag in unserem Bad Freienwalder „Gebirge“ inklusive einer Rast auf den sonnenbeschienenen Liegestühlen einer Freiluftgastronomie. Der Kontrast zur heutigen Wetterlage könnte kaum größer sein. Beinahe möchte ich glauben, in den Winter gereist zu sein. Nur der Schnee fehlt.

 

Natürlich habe ich die Blockline-Runde für mich ein wenig umgestellt. Genau genommen drehte ich so lange am Loop1, bis mein persönlicher Startpunkt in Cinovec, dem tschechischen Nachbarort von Zinnwald liegen würde. Hier kenne ich einfach einen ruhigen Übernachtungsparkplatz mit Bademöglichkeit im kleinen See. Wobei, auf das Bad verzichte ich heute Morgen dann doch lieber!

 

Als ich abfahrbereit bin, bekomme ich schnell noch eine Ermahnung. Ein Seniorenpaar ist gerade für einen Wanderausflug auf dem Parkplatz eingetroffen. Die alte Dame mustert mich und bemerkt mütterlich: „Sie müssen Handschuhe anziehen, junger Mann!“ (Das „Junger Mann!“ hat sie nicht gesagt, aber es hätte gut zu ihr gepasst.) Ich kann sie jedoch beruhigen, die Handschuhe habe ich natürlich nicht vergessen und ich werde sie bei Bedarf zum Einsatz bringen.


Ein frischer Morgen in Cinovec
Ein frischer Morgen in Cinovec

Erstmal Kaffee!
Erstmal Kaffee!

Wie so oft brauche ich erst einmal Zeit, um mit mir, dem Bike und der Strecke warm zu werden. Dazu dient gleich hinter Zinnwald ein nebelfeuchter Forstweg. Die kleinen gelben Blockline-Schildchen locken mich von Kilometer zu Kilometer weiter. Der Weg ist nur wenig anspruchsvoll, so dass ich mich und das Monsta-Bike langsam an das Radfahren gewöhnen kann. Besondere Aufregungen werden erst einmal nicht geboten. Links und rechts befinden sich die Bäume des Waldes, in der Mitte mein Schotterweg. Gelegentlich muntern mich kurze und harmlose Anstiege auf, doch sie können meinen persönlichen Energiereserven nicht gefährlich zu werden.

 

Überraschend kommt bei Altenberg ein alter Bergbau-Förderturm in Sicht. Ich mag solche Industrie-Artefakte! Schon bald verschwindet der Turm aus dem Sichtfeld und es folgen wieder Forstwege, Wald und Feld. Unentschlossen mäandriert die ausgewiesene Strecke um den Kurort Altenberg herum. Ich werde dabei von diesen kleinen, an Bäume genagelten Schildchen geleitet. In den gar nicht so seltenen Zweifelsfällen muss die elektronische Navigation aushelfen. Würde ich meinen Weg auf einer Landkarte verfolgen, bemerkte ich schnell, dass ich mehr oder weniger im Kreis fahre und mich bisher nur wenig von meinem Ausgangspunkt entfernt habe. So ist der Weg eben das Ziel.

 

Doch dann lasse ich Altenberg langsam hinter mir. Ich bin jetzt in einem Wald aus hohen Bäumen. Aus der Radlerperspektive sehe ich vor allem viele Stämme. Die Laubblätter und Nadeln spielen sich auf einer höheren Ebene ab. Ohnehin verlangt die Strecke nun mehr Aufmerksamkeit. Sie ist immer noch eine Forststraße, die jedoch gleichzeitig ein paar Herausforderungen in Form von Steigungsprozenten, Schlamm und Steinen bereithält. Mindestens der aufgewühlte Schlamm ist nicht Bestandteil des offiziellen „Blockline“-Abenteuers. Er ist das Ergebnis der Arbeit schwerer Forstmaschinen. 



Während ich vor mich hintrete, nimmt das Blockline-Programm in meinem Kopf Gestalt an. Auch wenn sich der Geist anfangs noch ein wenig sträubt, beginne ich, das Konzept zu verstehen. Ist es bei Licht betrachtet wohl nur eine Marketing-Seifenblase? Die „Software“ ist jedenfalls perfekt. Die wunderschöne Website der Blockline riecht nach Abenteuer und Freiheit. Sie weckt das Verlangen, selbst auf dem Bike dabei zu sein! Hochprofessionelle Fotos spielen mit Stimmungen. Sie erzeugten auch bei mir die Sehnsucht auf intensive Naturerlebnisse und ein erfrischendes Bad in der Waldluft. Das Osterzgebirge sieht wie eine wahre Traumlandschaft aus. Dazu lockt noch ein prall gefüllter Shop. Dort werden Touren-Pakete mit allerlei Gimmicks, wie eine Art Logbuch, eine lederne Halskette und ein Tuch sowie natürlich verschiedene Shirts, Mützen und vieles mehr vermarktet. All diese netten kleinen Dinge brauche ich nicht, aber ihre Darbietung steigerte meine Vorfreude. Bei dieser aufwendigen Werbung muss das Produkt einfach großartig sein, oder? 

 

Schauen wir uns die die „Hardware“ an: Da ist zum einen die Landschaft. Das Osterzgebirge ist eine stille Schönheit. Die Berge wirken so hügelartig sanft, dass man ihnen ihre Höhenmeter überhaupt nicht ansieht. Es gibt tiefe Wälder, glucksende Bächlein und über allem liegt eine fast unwirkliche Ruhe. Spektakuläre Monumente sind nicht die Sache des Erzgebirges. Doch auch spezielle Mountainbike-Trails finde ich auf der Strecke nicht. Die Wege der Blockline sind zumeist ganz ordinäre Forststraßen und Wirtschaftswege. Manchmal werden dabei ausgesprochen schöne Fleckchen angesteuert. Aber nicht selten habe ich den Eindruck, dass wieder und wieder Umwege genommen und unnötige Schleifen gedreht werden. Oft scheint es, die geplanten Kilometer wären noch nicht „voll“ gewesen. Und weil die Mountainbike-Reifen nun einmal grob sind, werden geradezu zwanghaft asphaltierte aber ruhige Straßen vermieden und bucklige Feldwege vorgezogen. Aber warum?


Die Blockline im Internet: Freiheit & Abenteuer!
Die Blockline im Internet: Freiheit & Abenteuer!

Bin ich etwa nicht zufrieden mit dem Produkt „Blockline“? Welches Produkt denn bitte? Zu meiner eigenen Verblüffung ist die Blockline ein reines Marketing-Soufflé aus rosarotem Werbeschaum, unter dem sich in Wahrheit eben nicht mehr verbirgt als ein halber Tag Streckenplanung auf Komoot, ein paar kunstvoll geschnitzte Hamster und die leider unvollständige Wegmarkierungen.

 

Damit sind wir bei meinem zweiten Missverständnis angekommen: Die Landschaft ist auf eine unaufdringliche Art schön. Doch ich hatte gehofft, dass ein stark beworbener Mountainbike-Trail in irgendeiner Weise angelegt sein müsste oder wenigstens eine schlüssige Geschichte erzählen könnte.

 

Ich will nicht ungerecht sein. Die Strecke hat absolut ihre Reize. Manchmal sind es Kleinigkeiten, wie ein hölzernes Portal auf einer Wiese, das im Winter den Start einer Ski-Loipe markiert. In der schneefreien Zeit radelt man eben durch dieses Tor. Dann sind da die beschaulichen Dörfer und die wechselnden Perspektiven in der hügeligen Landschaft. Es gibt weite Wälder und plätschernde Bäche.

 

Aus Übermut verlasse ich die Strecke, um mir einen Extraberg zu gönnen. Der unbedeutende Gipfel lässt sich mit Mühe bezwingen und kostet Schweiß. Er bietet dann doch keinen Ausblick, weil er dicht zugewachsen ist. Im Grunde kündigt sich hier das dritte Missverständnis an. An diesem Punkt glaube ich noch, dass die vorgegebene Route für Gebirgsverhältnisse viel zu flach verläuft. Dabei kommt die Dynamik des Höhenprofils auf diesem Loop1 gerade erst in Schwung.

 

Doch vorerst gibt es eine wirkliche Überraschung. Nach rasanter Talfahrt mit anschließendem Anstieg erblicke ich eine Fata Morgana. Am Waldrand finde ich ein großes rechteckiges Schwimmbecken mit Sprungbrett und angrenzender gepflegter Liegewiese. Der Pool ist frei zugänglich und wird hier von einem durchfließenden eiskalten Bach gespeist. Weit und breit gibt es keine Ortschaft in der Nähe. Da liegt nur dieses wunderbare Schwimmbecken am Rande des Waldes. Es wirkt wie aus einer anderen Welt, denn es gibt keinerlei Absperrungen und Maschendrahtzäunen. Auch Anzeichen von Vandalismus oder Müllablagerungen sucht man vergeblich. Vermutlich gibt es hier während der Badesaison nur friedliche Besucher und selbst der Bademeister ist ein väterlich-lieber Geselle. Vielleicht neigt meine Fantasie gerade zu einer idyllischen Übertreibung. Doch es gibt starke Indizien, dass die einzige Gemeinsamkeit zum Berliner Columbiabad (gut bekannt aus den Schlagzeilen der Presse) nur die Bezeichnung „Freibad“ ist. Keine Frage, diese Art Freibad hier gefällt mir allemal besser!


Im Winter startet unter diesem Portal eine Langlaufpiste.
Im Winter startet unter diesem Portal eine Langlaufpiste.

Fata Morgana am Waldrand: Das Freibad von Schönfeld.
Fata Morgana am Waldrand: Das Freibad von Schönfeld.

Das Verwöhnprogramm geht sogar weiter. Nach einem kurzen Abschnitt auf einer befestigten Straße, die hier sogar „Bierweg“ heißt, geht es auf einem Traumpfad weiter. Zuerst wird auf einem Brücklein die gar nicht so wilde Wilde Weißeritz überquert. Bald danach schmiegt sich der Weg an den Weißbach. Der Bach sorgt für stete Bewässerung, so dass in dieser unbewaldeten Talaue das üppigste Grün zu finden ist. Das i-Tüpfelchen bildet eine gemütliche Raststation mit Blockline-Logo, die von einem kleinen Rudel fantasievoll geschnitzter Goldhamster bewacht wird. Richtig, am Anfang dieser Geschichte sind wir den Hamstern schon einmal begegnet!

 

Der schönste Weg hat einmal ein Ende und der satte Anstieg auf der Straße hoch in den Ort Hermsdorf holt mich aus meinen Tagträumen. Ehrlich gesagt, war es ja mein ursprünglicher Plan, hier im Gebirge ordentlich ins Schwitzen zu kommen. Doch die bisherige Streckenführung hatte mich mit ihrem „Mecklenburger-Schweiz-Feeling“ etwas eingelullt. Jetzt wird in den Gebirgsmodus umgeschaltet.


Von wegen "sanfte Hügel": Das Erzgebirge kann auch steil!
Von wegen "sanfte Hügel": Das Erzgebirge kann auch steil!

Gleich hinter Hermsdorf verliere ich kurz den Faden der Strecke, finde die Radroute aber gleich am Kalkwerk im Gimmlitztal wieder und fahre endlos geradeaus durch einen Wald. Die wiederkehrenden Anstiege bewältige ich nicht mehr ganz so spielerisch wie heute Morgen. Jeder von ihnen fordert zwar nur einen mäßigen Kraftaufwand, doch die Einsätze summieren sich. Als ich dann in rasender Fahrt nach Holzhau hinunterdüse, ahne ich schon, dass ich jeden einzelnen Meter wieder hinaufmuss.

 

Mit 630 Metern über Null markiert Holzhau praktisch den tiefsten Punkt meiner Strecke. Nur 2½ Kilometer später werde ich mit 830 Metern schon wieder in den höheren Regionen dieses Gebirges sein. Von meinem Missverständnis mit den Höhenunterschieden war ja schon die Rede.

 

Holzhau ist ein recht belebter Ort, jedenfalls wenn man Erzgebirgsverhältnisse zum Maßstab nimmt. Die Durchfahrtsstraße scheint für die Region von einiger Bedeutung zu sein, es gibt einen Bahnhof und sogar ungewöhnlich viele Speiselokale und Pensionen. Übrigens liegt auch das offizielle Blockline Hauptquartier hier und markiert damit Start und Ziel für alle die, die nicht eigenmächtig am Loop drehen.

 

Nach Süden hin, wo Sachsen bald endet und Tschechien beginnt, ist der Ort von einem hohen Bergrücken begrenzt. Auf seiner Flanke zeugen mehrere Skiliftanlagen von winterlichen Sportaktivitäten. Und genau diesen Berg muss ich jetzt hinauf. Die „Alte Straße“ (alternativ gäbe es noch die „Bergstraße“) ist ungemütlich steil, ja sie kennt auf ihrer ganzen Länge kein Erbarmen. Zudem kommen mir noch ein paar fröhliche Wanderer entgegen, so dass ich aus optischen Gründen auf eine Verschnaufpause verzichten muss. In einem Waldstück schleiche ich noch knapp am höchsten Gipfel der ganzen Gegend vorbei, dann ist es geschafft. Der Berg heißt Steinkuppe und ist ein satter 8000er, wobei sich diese Zahl natürlich auf die Maßeinheit Dezimeter bezieht. Auf dem folgenden Forstweg geben mir die angesammelten Höhenmeter ordentlich Schub, so dass ich in kürzester Zeit das Örtchen Teichhaus erreiche. Von nun an geht es auf einer Bahntrasse weiter.

 

Ab dem Jahr 1885 verlief hier eine Eisenbahnverbindung vom böhmischen Brüx (heute tschechisch Most) ins sächsische Freiberg. Die Strecke war besonders für die Kohleversorgung der sächsischen Industrie von Bedeutung. Dabei wurde der Brennstoff mit bis zu zehn Güterzügen täglich aus dem Brüxer Braunkohlerevier über den Erzgebirgskamm in die Freiberger Region transportiert. Wer sich mit der Geschichte ein wenig auskennt, weiß, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland zu einer absoluten Eiszeit kam. An Kohlezüge war nicht mehr zu denken, zumal die Wehrmacht die Strecke teilweise zerstört hatte. Erstaunlich für mich ist jedoch, dass die sozialistischen Bruderstaaten die bestehenden Verbindungen nicht wieder reaktivierten, um einen florierenden Handel wieder aufleben zu lassen. Wie auch immer, diese Strecke über den Erzgebirgskamm wurde nicht wiederhergestellt. Stattdessen wurde die Unterbrechung immer länger.  Schließlich sprengte die DDR im Jahr 1973 hier bei Teichhaus eine wichtige Brücke. Sie tat das spektakulär und kameragerecht im Zuge der Produktion des DEFA-Spielfilms „Schüsse in Marienbad“.

 

Gerade an dem einzigen verbliebenen Brückenkopf radle ich jetzt vorbei. Dann geht es auf oder genauer neben dem alten Bahndamm weiter. Irritiert stelle ich fest, dass ich gerade nur so langsam wie eine Schnecke vorankomme. Die stetige Steigung wird von den Augen gar nicht wahrgenommen, doch den Beinen bleibt sie nun einmal nicht verborgen. In der Nähe des ehemaligen Bahnhofs Hermsdorf-Rehefeld - heute ein Hotel - fallen mir die vielen jungen Bäume am Weg auf. Hier hat sich die schöne Tradition entwickelt, dass Brautpaare an dem früheren Bahndamm einen Baum pflanzen. Auf kleinen Schildchen kann man die jeweiligen Vornamen und das Hochzeitsdatum lesen. Der Bahnhof diente im 19. Jahrhundert sogar regelmäßig als Haltepunkt für den Sächsisch-Königlichen-Hofzug. Majestät geruhten nämlich gern in ihrem nahen Jagdschloss Rehefeld zu verweilen und nutzten die Eisenbahn für die Anreise. Zu diesem Zweck wurde im Empfangsgebäude ein spezieller königlicher Aufenthaltsraum geschaffen, der heute noch existiert und für Festlichkeiten gebucht werden kann.


Alter Brückenkopf am Bahntrassen-Radweg.
Alter Brückenkopf am Bahntrassen-Radweg.

Der Jelení potok markiert die Grenze zur Tschechischen Republik.
Der Jelení potok markiert die Grenze zur Tschechischen Republik.

Bis nach Moldava v Krušných (Moldau im Erzgebirge) ist es nur noch ein Katzensprung über die Grenze. Ich habe mich kurz entschlossen, den Loop 1 zu verlassen und stattdessen einen Abstecher nach Tschechien zu unternehmen. Damit verzichte ich auf den Kahleberg (905 Meter), was meine Beine dankbar zur Kenntnis nehmen. Dieser Bahnhof von Moldava wirkt riesig, obwohl ein großer Teil der Gleise längst abgebaut wurde. Als Grenzstation musste er jede Menge behördlicher Bürokratie vom Zoll über die Grenzpolizei, die Post bis zu den Bahnverwaltungen beherbergen. Außerdem wurden viele Abstellgleise und Lagerräume für zu verzollende Ware benötigt. Wie schon erwähnt, hatte die Bahnstrecke einige Bedeutung und deshalb war Moldava alles andere als ein Kleinbahnhof.

 

Gleich hinter dem Bahnhof wird aus der Straße ein Schotterweg, der schließlich mit mir im Wald verschwindet. Gegenüber des deutschen Dorfs Rehefeld weisen Schilder auf die untergegangene Enklave Kalkofen hin und darauf, dass es hier einmal eine Brücke über die Wilde Weißeritz gab. Das macht mich neugierig. Auf einem Pfad gelange ich an das Ufer des Bachs genau an die Stelle der einstigen Brücke. Gleich gegenüber sehe ich die Häuser von Rehefeld. Und sofort kommt mir der Gedanke, mit dem geschulterten Fahrrad durch den Bach zu waten und meine Reise auf deutscher Seite fortzusetzen. Mir gefällt das Subversive und für Blödsinn bin ich ja sowieso gern zu haben! Nur meine Trägheit und die Tatsache, dass ich dazu meine Schuhe ausziehen müsste, bewahrt mich vor einem weiteren, diesmal besonders peinlichen Missverständnis. Wäre ich mit dem Fahrrad auf dem Buckel durch den Bach balanciert, hätten sich die Anwohner des Grenzwegs in Rehefelde vermutlich vor Lachen auf den Boden geworfen. Dann hätten sie doch beobachtet, wie ein Verrückter mit Fahrrad einen Sturz ins eiskalte Wasser riskiert, wo er doch nur 200 Meter weiter über die neue grenzüberschreitende Fußgängerbrücke das Flüsschen ganz bequem überwinden könnte!

 

Als ich fünf Minuten später diese Fußgängerbrücke finde, radle ich schnell hinüber und wieder zurück. Ich tue es hauptsächlich, weil das Radfahren auf diesen 20 Metern verboten ist. Die Idee, in Deutschland weiterzufahren hat sich dagegen in Luft aufgelöst.


Nasse Füße unnötig: Es gibt eine feine Fußgängerbrücke über die Wilde Weißeritz.
Nasse Füße unnötig: Es gibt eine feine Fußgängerbrücke über die Wilde Weißeritz.

Immer geradeaus: Die Erzgebirgsmagistrale Nr. 23.
Immer geradeaus: Die Erzgebirgsmagistrale Nr. 23.

Auf den folgenden Kilometern muss ich noch einmal mit einem heftigen Anstieg kämpfen. Ich tue das in Etappen und muss mir immer wieder eine kurze Pause genehmigen, um wieder zu Atem zu kommen. Immerhin feuert mich ein einsetzender feiner und mit Eiskristallen vermischter Nieselregen an. Er sorgt dafür, dass ich nicht zu lange verweile. Endlich gelange ich auf jene Gebirgsstraße, die gleichzeitig die tschechische Fahrrad-Erzgebirgsmagistrale Nummer 23 darstellt. Ich kenne diese Straße von früheren Reisen als schmales Asphaltband im Nebel, das von unzähligen Krüppelbäumchen gesäumt wird. Die Bäume, die hier ein karges Schicksal ertragen müssen, sind erwartungsgemäß auch heute da. Nur der Nebel fehlt. Stattdessen regnet es eben.

 

Trotz des Wetters bin ich jetzt gelassen, denn dort vorn tauchen schon die ersten verstreuten Häuser von Cinovec auf. Damit weiß ich, dass ich es geschafft habe! Als ich an der rollenden Räuberhöhle angekommen bin, mag ich übrigens immer noch nicht baden. Später genehmige ich mir aber eine heiße Freiluftdusche und noch später erlebe ich eine weitere Überraschung: Meine Schlafhöhle und die ganze Umgebung werden über Nacht in ein feines Mäntelchen aus Schnee gehüllt! Naja, das Wettermissverständnis war ja schon abgehakt!

 

Zeit für ein Fazit: Wie war es denn nun auf der Blockline? Ich sag es einmal diplomatisch: Vieles kam anders, als ich es mir vorgestellt hatte. So wurde es eben eine spannende, herausfordernde und wunderbare Tour der kleinen Missverständnisse. Und anstrengender als gedacht, war die Rundfahrt allemal!



Nachspiel, nächster Tag im Sportareal Klíny:

Weil mich der Loop1 der Blockline gestern so gefordert hatte, lasse diesen zweiten Tag ruhiger angehen, als ursprünglich geplant. Meine großen Visionen von wilden Gipfelstürmereien habe ich aufgegeben. Zur Abwechslung möchte ich lieber wieder auf einem angelegten Flowtrail durchs Gelände hoppeln. Ich weiß, eigentlich ist Klíny für diese Möglichkeit nicht gerade bekannt. Normalerweise brettert und springt die Kamikaze-Fraktion hier vollgefedert auf kurzen, knackigen und sehr technischen Pisten den Berg hinunter und lässt sich dann mit dem Lift wieder hinaufziehen. Doch für Leute wie mich gibt es auf der anderen Seite des Bergs, tief im Wald, ein kilometerlanges Netz von präparierten Fahrspuren ganz ohne Lift. Das müssen einfach wunderbare Strecken sein. 



Als sich die Schneegraupelwolken endlich verzogen haben, ziehe ich los. Der erste Abschnitt verläuft bergauf. Es rollt schon gut los, auch wenn ich mich zunächst kurz verfahre. Aber schnell finde ich den Weg wieder. Doch dann kommen leider Steine, Wurzeln, nochmals Wurzeln und wieder Steine. Weil mir aufwärts gleichzeitig der Schwung fehlt, bleibe ich hängen. Gut, das kann passieren. Aber davon, dass die Strecke hier geschmeidig unter den Rädern hindurchfließt, kann wirklich keine Rede sein. Ich fluche. Immerhin sitze ich schnell wieder auf dem Sattel und rolle weiter. Bestimmt wird die Strecke gleich besser. Wird sie nicht. Schließlich rutscht mir auf einem Steinfeld das Rad weg und ich kippe wie ein nasser Sack zur Seite. Langsam wird es ärgerlich. Fahre ich so schlecht, oder liegt es am Gelände? Was kann ich nun tun? Mitten auf dem Abhang kann ich ja nicht bleiben, also weiter!

 

Ich fahre, schiebe und kämpfe mich weiter bis zum Startpunkt der talwärts führenden Routen. Okay, ab jetzt hat das Gefälle den Schub übernommen. Es treibt mich locker über alle Hindernisse und da die Kennfarbe des Trails „Blau“ (einfach) ist, sollte ich von nun an nicht enttäuscht werden! Auf geht’s! 

 

Meter für Meter, Hindernis für Hindernis bewältige ich die Piste. Aber auch hier habe ich mit Steinen und Wurzeln meine Mühe. Die Abfahrt beginnt mit harter Arbeit und nur wenig Vergnügen. Erst im zweiten Drittel kommt für ein paar hundert Meter so etwas wie ein geschmeidiger Bewegungsfluss auf. Doch gleich darauf muss ich schon wieder schwitzen, um die Fuhre sicher in Tal zu bekommen. Ich beginne an mir zu zweifeln. Habe ich etwa alles verlernt? Hatte ich im letzten Jahr nicht viel Freude an diversen Trails?

 

Auf diese Weise reiht sich mein Ausflug nach Klíny immerhin nahtlos in die Tour der Missverständnisse ein. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob ich es bin, der die Klíny-Trails nicht verstanden hat. Vielleicht sind auch den hiesigen Trail-Erbauern ein paar Missverständnisse unterlaufen ….


P.S. Einige Wochen später auf den Trails vom Singltrek pod Smrkem, auf den Trutnov-Trails und dem Singletrek Nr. 14 bei Szklarska Poręba werde ich wieder versöhnt! Ja, so macht Mountainbiken auch in diesem Jahr Spaß!




Hinweis: Einige Weblinks im Text verweisen auf Websites in tschechischer Sprache.

 

Ich empfehle, die Übersetzen-Funktion des Webbrowsers zu nutzen!

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