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Auf den Brocken!

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Heute ist das Lotterleben vorbei!

Heute ist Sport angesagt!

 

Ich will von Ilsenburg auf den Brocken. Das sind mehr als 800 Höhenmeter auf nur 12 Kilometern. Und eigentlich geht es nur bergauf.


Um mit dem Fahrrad auf den Brocken zu kommen, gibt es immerhin vier Möglichkeiten, was erstaunlich viel für eine Nationalpark-Kernzone ist. 

  1. Da ist zum einen der Klassiker, die Brockenstraße von Schierke, die man mit etwas Schmackes in den Beinen auch mit dem Rennrad hinauffahren kann. Sie ist vollständig asphaltiert. 
  2. Die Auffahrt von Ilsenburg führt über Forstwege und stößt etwa auf halbem Weg von rechts auf die Brockenstraße. 
  3. Kurz vor dem Gipfel mündet dann noch von links der Goetheweg auf die Brockenstraße. In seiner Verlängerung kommt er aus Torfhaus herauf und stellt damit den westlichen Zubringer dar. Er ist die landschaftlich vielleicht schönste Variante und hat gleichzeitig die wenigsten Höhenmeter. 
  4. Schließlich gibt es noch - ganz ohne Brockenstraße - einen alten militärischen Betonplattenweg, der aus nördlicher Richtung auf den Gipfel führt. Er ist enorm steil und wegen der holperigen Platten eine ganz besondere Herausforderung. 

Der aufmerksame Leser hat es längst erraten: Ich nehme heute die Nummer 2, die Ilsenburger Variante der Brockenstraße. Sie sollte auch bei diesem vorwinterlichen Wetter gut passierbar sein und ist gleichzeitig etwas spannender als die Asphalt-Variante.

 

Die ersten Kilometer im Ilsetal sind matschig und eben. Der Körper kommt langsam auf Temperatur und die Geländereifen dürfen schon wieder etwas vom allgegenwärtigen Schlamm naschen. Links und rechts wird der Forstweg begleitet von steilen Berghängen mit winterlich kahlen Laubbäumen. Direkt neben mir spielt die Ilse mit großen Steinmurmeln. Sie plätschert ihr Morgenlied. Am Abzweig zu den Ilsefällen geht es endlich aufwärts. Ab der Bremer Hütte gesellt sich langsam Schnee dazu und leider auch die erschreckenden Bilder des abgestorbenen Waldes. Der Borkenkäfer hat ganze Arbeit geleistet. Hektar für Hektar, Quadratkilometer für Quadratkilometer ragen die kahlen Leichen der toten Stämme in den Himmel. Einige von ihnen konnten sich nicht mehr halten und bilden ein Riesenmikado auf der Erde. Gruselig ist auch, dass alle Baumstämme am Wegesrand in ungefähr drei Meter Höhe mit der Motorsäge abrasiert wurden. So will man vermeiden, dass abgestorbene Äste auf den Forstweg fallen. Diese toten Holzsäulen sehen gruselig aus. Dass man sie stehen lässt, folgt sicher irgendeinem Mantra der ökologischen Forstwirtschaft. Trotz des leicht dunstigen Wetters reflektiert der weiße Schnee ein grelles Tageslicht. Das macht die Szenerie nur noch gespenstischer.

 

„Hier hat man halt kapituliert.“ kommt es mir in den Sinn. Aber Kapitulation ist vielleicht nicht das richtige Wort. Kapitulation setzt Kampfeswillen voraus. Gekämpft für den Wald hat man hier kaum. Lieber wird das zeitgeistige Märchen vom Menschen als Fehlfunktion der Schöpfung erzählt. Danach wäre die Erde ohne uns ein Ort der friedlichen Glückseeligkeit. Gestern hatte ich unten in Wernigerode ein großes Banner gelesen. „Wenn der Wald stirbt, stirbt Wernigerode. Danke Nationalpark!“ stand darauf. Das sind bittere Worte und ich beginne zu verstehen, was Gastronomen und Hotelbetreiber damit ausdrücken wollen.

 

In sportlicher Hinsicht ist der Weg am Gelben Brink vor allem harte Arbeit. Ich habe das gewusst und bin daher mental gerüstet. Besonders zermürbend ist die Kombination aus der kräftigen Steigung, der eher ereignislosen schnurgeraden Strecke und der Tatsache, dass sie eben einfach kein Ende findet. Zum Glück ist der Zentimeter Neuschnee keine wirkliche Hürde für Monstas fette Reifen. Eine besondere Herausforderung ist es, mit den wechselnden Temperaturen zurecht zu kommen. Zwiebelschichten hin oder her, unter Last produziert der Körper eine enorme Hitze. Die verleitet dazu, Mütze und Handschuhe auszuziehen und die Jacke zu öffnen. Aber schon an der nächsten Ecke, um die dank der Gefräßigkeit der Borkenkäfer ein scharfer Wind pfeift, kann die Situation ganz anders aussehen. Ganz zu schweigen von kleinen Pausen oder der späteren langen Abfahrt, bei der der Fahrtwind für Luftkühlung sorgt, während die innere Heizung auf Sparflamme schaltet.

 

Am Brockenbett ist endlich die Brockenstraße erreicht. Hier auf reichlich 900 Metern Höhe verkrieche ich mich in eine Schutzhütte, um meine Zwiebelschalen zu ergänzen. Im Grunde ziehe ich alles an, was ich mitgenommen habe. Nach kurzem Boxenstopp geht es hinaus auf die leicht beschneite Brockenstraße. Verglichen mit dem Anstieg auf dem Gelben Brink wirkt die moderate Steigung wie ein Wellnessprogramm. Natürlich hat auch dieses Wellnessprogramm seine Tücken, denn auf dem letzten Kilometer geht es wieder ordentlich zur Sache. Aber das ist eben auch der letzte Kilometer vor dem Gipfel und dadurch mental keine große Hürde mehr.



Das Klima auf Norddeutschlands höchstem Berg ist heute eisig kalt und neblig. Trotzdem sind an diesem Werktag erstaunlich viele Wanderer auf den Brocken gekommen. Etliche von ihnen drängeln sich frierend in die kleine Schutzhütte, denn der Touristensaal und alle anderen Gebäude sind wegen der offiziellen Pandemieverordnung geschlossen. Fraglich, ob so effektiver Infektionsschutz aussieht.

 

Wegen des ungemütlichen Wetters beschränkt sich mein Aufenthalt auf das notwendige Minimum des Beweisfotos. Dann bin ich schon wieder weg. Bis Schierke werde ich mehr als 550 Höhenmeter vernichten. Im Sommer wäre das ein ausgesprochen vergnügliches Unterfangen. Doch bei dem frostigen Fahrtwind sind das heute nicht die angenehmsten Aussichten. Um die Sache nicht zu langweilig werden zu lassen, entschließe ich mich, ein Stück des Goethewegs zu fahren. Es ist der Abschnitt, der entlang der Bahngleise der Brockenbahn verläuft und für mich einer der schönsten Wege im Harz. Sein Streckenprofil ist ein lieblich-sanftes Auf-und-Ab. Es gibt viel Landschaft zu sehen und die parallelen Bahnschienen sorgen für Eisenbahnromantik. (Coronabedingt fährt die Bahn aber derzeit nicht.) Heute kommt noch ein Hauch Schnee dazu. Wie zu erwarten, kann ich meinem Eselchen auf dem Goetheweg nur selten freien Lauf gönnen. Dafür schlendern einfach zu viele Touristen herum. Ab dem stillgelegten Bahnhaltepunkt geht es steil abwärts. Links probiere ich einen Waldweg Richtung Schierke. Das war genau die richtige Entscheidung. Der Weg ist touristenfrei und auf den Bäumen hat sich eine Menge Schnee halten können. Ich fühle mich wie bei einer lustigen Schlittenfahrt durch den Winterwald. Monsta protestiert: „Ich bin doch kein Bimmelschlitten“

 

Bibbernd erreiche ich Schierke. Jetzt bin ich ganz schön durchgefroren. Dass die Kälte ganz real ist, zeigen viele kleine frische Reifansätze am Fahrrad. Ich fasse den Plan, auf rückwärtigen Wegen zurück in das Tal der Ilse zu radeln. Dabei könnte ich noch die Paternosterklippen und den Ilsestein besuchen. Da ich diese Wege noch nicht kenne, bin ich gespannt, auf was ich mich gerade eingelassen habe. Auf jeden Fall komme ich herunter von der Straße mit ihrem schmutzigen Matsch.

 

Um den Erdbeerkopf trumpfen die Fortswege mit kontinuierlichen Anstiegen und mit einer gewissen Eintönigkeit auf. Wald und Kahlschläge, mehr gibt es nicht zu sehen. Hier, abseits des beliebten Brockenumfelds begegne ich auch keiner Menschenseele. Das alles nagt an meiner Moral. Solange ich Gas gebe, ist mir ausreichend warm. Doch ich spüre, dass der innere Motor längst nicht mehr mit voller Kraft läuft. Laut meiner digitalen Landkarte komme ich auch nur langsam voran und bei einer kleinen Rast stelle ich sogar fest, dass die Apfelschorle in meiner Trinkflasche beginnt, einzufrieren. Diese Rast bringt zum Glück die mentale Wende. Frisch zugeführte Energie trifft auf ein unerwartetes kilometerlanges Gefälle. Die Plessenburg, die keine Burg sondern ein abgelegenes Gasthaus ist, liegt verwaist in einer kleinen Talsenke. Auch ohne Corona wäre hier nichts los.

 

Der Erlebniswert steigt auf den letzten Kilometern. Mit Paternosterklippe und Ilsenstein stehen überdies zwei echte Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. Der Ilsenstein hat sogar einen historischen Bezug, denn schon ein gewisser Heinrich Heine kletterte hier herum und tat das, was er am besten konnte: dichten.

 

„Ich bin die Prinzessin Ilse, Und wohne im Ilsenstein; Komm mit nach meinem Schlosse, Wir wollen selig sein. …“

 

Selbstverständlich klettere auch ich auf dem Stein herum. Ich kann gar nicht anders. Dabei blicke ich zurück. Sofort fallen mir die veränderten Perspektiven durch die großflächigen Kahlschläge auf. Außerhalb der Kernzone des Nationalparks lässt man der Natur keineswegs freien Lauf und kämpft mit radikalem Einschlag um die verbliebenen gesunden Flächen. Bemerkenswert ist, wie gut man jetzt das Landschaftsrelief erkennen kann, dass vorher unter einer undefinierten grünen Biomasse verborgen war.

 

Meine eigene Biomasse bewege ich mehr oder weniger gewandt vom Kletterfelsen zurück zum Monsta-Bike. Vor mir liegt nur noch ein kurzes Stück Weg. Nach ein paar hundert Metern an der Bergflanke geht es rasant abwärts und schon bin ich auf der Ilsetal-Straße und damit gegen 15 Uhr schon am Parkplatz.

Da hätte ich ja noch eine ganze Stunde bis zum Einbruch der Dunkelheit! Warum bin ich denn jetzt schon hier? Weil es genug ist: Ich war auf dem Brocken, hatte eisigen Wind um die Nase und Schnee unter den Reifen. Ich kämpfte mit knackigen Anstiegen und erlebte Euphorie und Durststrecken und schließlich sogar eine Winterwaldlandschaft.

 

Guter alter Harz, du bist eben doch eine Reise wert, nicht nur als Corona-Ersatz-Ziel!


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