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Jenseits des Bielatals

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Heute ist Freitag, der 13. Endlich hat sich die Sonne wieder einmal entschlossen, in der Sächsischen Schweiz vorbeizuschauen. Pünktlich zu diesem Ereignis wache ich morgens um 8.00 Uhr auf. Meine Pension „Zum roten Kugelblitz“ steht schon am richtigen Fleck, nämlich auf dem Wanderparkplatz bei Markersbach.

 

Nur wenige Minuten später sind mein Mountainbike Monsta und ich bereit, die Berge, den Herbst und die Sonne zu begrüßen.


O.K., auf die Sonne müssen wir noch warten, sie ist noch nicht munter. Es ist ein ruhiger Novembermorgen, ein wenig dunstig, windstill und nicht zu kalt.

 

Auf der Verbindungsstraße zwischen Markersbach und Raum bin ich ganz allein. Beruhigend schnurren die Räder über den Asphalt. Die Farben dieses Herbstmorgens prägen sich mir ein. Es sind die leuchtend gelben Punkte der kleinen Blätter auf grau-braunem Hintergrund.

   

Nach ein paar hundert Metern gebe ich den Reifen Schotter. Mein Ziel ist der Diebsgrund, ein vergleichsweise enges Tal, das von einer Reihe kleinerer Sandsteinfelsen bewacht wird. Leider wird hier der Weg schnell schlammig. „Wie gut, dass ich nicht Gravelbike fahre!“ denke ich bei mir. Da weiß ich aber noch nicht, dass auch für mich in einhundert Metern Schluss sein wird. Schmatzend sinken erst das Vorder- und dann das Hinterrad in die aufgeweichte Masse. Ich blase lieber zum Rückzug, auch weil der Diebsgrund ohnehin eine Sackgasse ist.

Jetzt bin ich also erst 20 Minuten auf Tour und doch habe ich es schon geschafft, dem Monsta-Bike ein zünftiges-schlammiges Aussehen zu verpassen. Wenn das kein guter Anfang ist!

Zur Abwechslung rolle ich auf breiten Forstwegen weiter. Für mich wurde heute sogar ein gelber Teppich ausgerollt. Er besteht aus Millionen Lärchennadeln, die für ein besonders weiches Fahrgefühl sorgen. Nach wenigen Minuten habe ich mein nächstes Ziel, die Grenzplatte erreicht. Immer noch wabern Nebelschwaden um die beeindruckend hohen Felsen. Doch die Sicht ist schon klar genug, um die Häuser von Ostrov (Eiland) weit unten im Tal auszumachen. 

 

Jetzt zeige ich Monsta den schmalen Pfad hinunter zum Grenzwegwächter. Der Name dieses Felsens ist Programm, denn genau hier verläuft die Staatsgrenze zur Tschechischen Republik. Natürlich genehmige ich mir einen winzigen Auslandsaufenthalt an diesem romantischen Ort. Dann rumpeln wir den Pfad zur Bielatalstraße hinunter. In diesen Minuten geschieht etwas erstaunliches. Der Nebel verzieht sich und gibt den Blick auf einen blauen Himmel frei. Nur die Sonne blinzelt immer noch etwas verschlafen.



Inzwischen bin ich an der Abzweigung zum Lattenweg angekommen. Ich lasse mein Bike am Waldrand zurück und wandere den steilen Pfad zu den Felsen hinauf. Gleich hier befindet sich eine ganz besondere Felsengruppen. Es sind die Gipfel um den Sherriff und den Glücksturm. Insgesamt 9 bizarre Sandsteinbrocken stehen hier auf engstem Raum im Wald herum. Jeder von ihnen ist ein beliebter Kletterfelsen und gemeinsam bilden sie ein Labyrinth aus Gängen, Scharten, Kaminen und verkeilten Blöcken. Obwohl der Anblick nicht neu für mich ist, bin ich ganz verzaubert von der Vielfalt der Formen. Es ist ganz klar, ich war viel zu lange auf Sandsteinentzug! Aus purem Vergnügen klettere ich ein wenig auf dem angrenzenden Massiv herum. Dann hat es mir ein Felsen mit dem eigentümlichen Namen „Würfel“ angetan. Kantig sieht er zwar aus, aber eine Ähnlichkeit zu einem Würfel kann ich nicht sehen. Aber darum geht es gar nicht. Ich habe gehört, dass es an dem Felsen einen Aufstiegsweg gibt, der mit einem spektakulären Durchschlupf durch ein enges Loch beginnt, dem ein einfacher Kamin folgt. Ob ich es mal versuchen sollte? Schon kraxele ich an der Felswand herum. Das Loch ist erst in gut zwei Metern Höhe, aber es gibt gute Tritte und Kanten zum Festhalten. Etwas enttäuscht stelle ich fest, dass das Loch eher ein Spalt ist und eigentlich ziemlich groß aussieht. Trotzdem ergeben Versuch und Irrtum nur eine liegende Position als einzige Möglichkeit, die Engstelle zu passieren. Danach stehe ich am Boden des Kamins. Er wirkt nicht sehr einladend und so verzichte ich auf weitere Kletterversuche. Ich beschließe, mich wieder meinem Fahrrad zu widmen. Dafür muss ich natürlich noch einmal durch den Geburtskanal.

  

Minuten später radle ich bei schönstem Sonnenschein weiter auf der Bielatalstraße entlang. Mit der Kaiser-Wilhelm-Feste im Hintergrund malt die Morgensonne ein kitschiges Postkartenbild, das unbedingt fotografiert werden will. Sekunden später drehen sich die Räder schon wieder. Es ist ein schönes Gefühl, sich hier ein wenig auszukennen und gleichzeitig immer wieder Neues zu entdecken. Links von mir auf der Bergflanke müsste jetzt der Sachsenstein liegen. Wollte ich da nicht immer schon einmal hoch? Warum nicht heute? Schnell wende ich mein Eselchen und treibe es die engen Kurven der Alten Rosenthaler Straße hinauf.  Kurz oberhalb des Sachsensteins parke ich mein Fahrrad und stehe nach wenigen Treppenstufen vor dem Felsen. Seine Besonderheit ist die lange, leuchtend gelb angestrichene eiserne Stiege, die bis auf den Gipfel führt. Im oberen Bereich muss sie sich um ein paar Felsnischen winden und einen schmalen Durchschlupf passieren, bevor die Aussichtsplattform erreicht wird. Und der Ausblick lohnt sich wirklich! Genau gegenüber präsentieren sich all die Vorzeigefelsen des Bielatals. Und natürlich sind auch die inoffiziellen Wahrzeichen dieses Felsenparks, die spektakulären Herkulessäulen, bestens zu erkennen.

 

Jetzt sind es zunächst breite Forstwege und dann kleine Landstraßen, auf denen ich radle. Als hätte jemand das Fernsehprogramm gezappt, ist die Landschaft plötzlich ausgewechselt. Kein einziger Felsen ist mehr zu sehen. Stattdessen gibt es Hügel, weite Felder, Dörfer und die Novembersonne.

  

Ab dem Örtchen Bahra möchte ich für ein paar Kilometer den gleichnamigen Fluss begleiten. Die Straße jedoch scheint schon seit längerem gesperrt zu sein. Ein Hochwasser hatte viele Schäden angerichtet, dass eine gründliche Erneuerung nötig wurde. Sollte ich es versuchen, hier durchzukommen? Ein Fahrrad ist schließlich kein Reisebus und lässt sich zur Not auch an einem Bagger vorbeitragen. Außerdem: „Wer wagt, gewinnt!“



Tatsächlich erfolgt die Passage völlig unspektakulär und kein einziger verärgerter Bauarbeiter bremst meine Fahrt. Der erste Abschnitt der gesperrten Straße ist mit Schlaglöchern übersäht. Der Asphalt ist vielfach gebrochen und die Straße ist voll von bunten Markierungen wie „Durchlass“, „Stützmauer“, diversen Zahlen und verwirrenden Pfeilen. Teil 2 dagegen ist perfekt, nagelneu und für die Öffentlichkeit noch nicht freigegeben. Baumaschinen sehe ich keine.

 

Am Ende der Straße wartet das nächste Flüsschen auf mich. Es ist die Gottleuba. Am anderen Ufer soll es einen schönen Weg geben, der einmal ein alter Bahndamm war. Aber wie komme ich da hin? Zunächst verwirrt mich meine digitale Karte mit einer kleinen Brücke, die es gar nicht gibt. Etwas weiter entfernt sehe ich die rostige Stahlgitterkonstruktion einer alten Eisenbahnbrücke. Das könnte die Lösung sein! Das stark korrodierte Ungetüm ruht in einer Art Dschungel aus Büschen und anderem Grünzeug. Leider versteckt sich in der Vegetation auch ein solider Bauzaun, der die Brücke absperrt. Gerade als ich mich schon ärgern will, entdecke ich eine schmale hölzerne Nebenbrücke für Fußgänger. Damit steht der Bahntrasse nichts mehr im Weg!

 

Diese mit bestem Bahnschotter versehene Wegstrecke könnte gewöhnliche Fahrradreifen in Schwierigkeiten und die Radsportler anschließend beim Aufpumpen ins Grübeln bringen. Monstas breite Gummis hingegen schlappern locker über das Geröll. Links rekelt sich tief unten zwischen den Bäumen glitzernd die Gottleuba. Sie ist gar nicht mal so schmal, wie ich es erwartet hatte. Ab Zwiesel, einem Ortsteil von Berggießhübel gibt es wieder Asphalt unter die Reifen und auch gleich einen original restaurierten Bahnsteig mit Sitzbänken, Ortstafel und Andreaskreuz am nahen Bahnübergang. Meiner oberflächlichen Reisevorbereitung ist es geschuldet, dass ich nicht wusste, dass Berggießhübel ein Kurbad ist. So wusste ich auch nichts vom gepflegten Kurpark, der mir jetzt als Kulisse für eine kleine Brotzeit dient.

 

Weiter geht die Fahrt über verkehrsarme Landstraßen. Alle kleinen Flüsse und Bäche hier in der Gegend fließen nach Norden und jeder hat für sich ein tiefes Tal in die Landschaft gegraben. Weil ich mich jedoch quer - also nach Westen - bewege, nehme ich praktisch jede Anhöhe mit.

 

Liebstadt empfängt mich mit dem malerisch gelegenen Schloss Kuckuckstein und einer verwinkelten kleinen Innenstadt mit kuscheligen Gassen. Kurz vor Döbra muss auf einem Ackerweg noch ein letzter Hügel bezwungen werden und ich bin in meinem finalen Tal. In diesem Tal wohnt das Bächlein Trebnitz, an dessen Ufern es mich südwärts zieht. Das Gewässer windet sich über feuchte Wiesen und seinen Windungen folgen erstaunlich hoch aussehende Hügel. Doch die können mir jetzt egal sein, denn ich bleibe immer in der Nähe des Ufers. Die Räder dürfen sich hier ein wenig auf Schlamm und Schotter austoben, aber im Grunde bleibt der Weg immer gutmütig. Leider ist es nicht zu vermeiden, dass ich irgendwann das lauschige Tal wieder verlassen muss. Wie zu erwarten, kostet das ein wenig Mühe.

 

Hinter Liebenau trete ich endgültig die Rückreise an. Hinter einem lichten Wäldchen begegne ich der überdimensionalen Autobahnbrücke nach Prag und komme gleich danach an der tschechischen Grenze an. Dort folge ich wieder einem Bach, der sich später als die schon bekannte Gottleuba erweist. Hier ist sie eben ein wenig schlanker. Diesmal begleite ich das Gewässer in Fließrichtung, was auch für mich ein gewisses Gefälle bedeutet. Den Zusatzschub nehme ich gerne mit, doch leider hat der Waldweg eine Neigung zu ausgesprochen fiesen Querrinnen. So wird das nichts mit einem gepflegten Temporausch! Ganz automatisch werde ich an den Gottleuba-Talsperren-See geführt. Er ist nett anzuschauen, doch lange bleibe ich nicht an seinem Ufer. Auch weil die liebe Sonne inzwischen schon wieder ihre Vorhänge zugezogen hat, will ich lieber in Bewegung bleiben.

 

Für den Schluss meiner Expedition habe ich mir noch etwas ganz Besonderes vorgenommen. Dazu muss ich allerdings erst einmal wieder aus dem Tal heraus. Über ein Stück Landstraße und einen kleinen Schleichweg komme ich zum „Hohlen Stein“. Tatsächlich: Hier in einem Wäldchen versteckt sich ein kleines „Prebischtor“! Es macht Spaß, durch den Felsen hindurchzusteigen und nach Belieben darüber hinweg zu klettern. Bestimmt wäre das hier eine schöne Kulisse für eine Filmszene. Wie wäre es, wenn eine verirrte, schöne Prinzessin durch das Felsentor schritte, um dahinter einem listigen Zauberer zu begegnen?

 

Wie geplant bin ich nun unmerklich wieder in die Nähe meines Ausgangspunkts geraten. Von meinem rollenden Basislager trennen mich nur zwei Hügelkuppen. Etwa hundert Höhenmeter geht es auf den Augustusberg. Ein Wäldchen später wird auf einer steilen Wiesenabfahrt (Was für eine tolle Rodelbahn im Winter!) die ganze Höhenenergie wieder vernichtet. Jetzt bin ich in Markersbach. Damit mir nicht kalt wird, geht es wieder steil aufwärts! Und da parkt schon mein Auto …


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