Bielatal Bike & Hike

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„Wandern ist herrlich!“ Sagt wer? Sage ich! 

 

Da ist der selbst ernannte Meister abenteuerlicher Mountainbike-Touren wohl verrückt geworden. Dabei weiß doch jeder, dass Wanderer und Radfahrer natürliche Feinde sind! 

 

Und doch bleibe ich dabei: Wandern ist herrlich, besonders wenn es dabei ordentlich über Stock und Stein geht. Wenn es dann in einem abgelegenen Winkel der Natur noch eine Menge zu sehen gibt, wenn kleine Herausforderungen gemeistert werden wollen und wenn dabei die ganze Welt nach Abenteuer riecht - dann ist die Wanderung perfekt. 

 

Bevor sich alte Fahrradhasen Sorgen über meinen Geisteszustand machen: Als alte Bikebulette genieße ich selbstverständlich die geschmeidige Fahrt auf zwei flinken Rädern in vollen Zügen. Doch das Beste ist, Wandern und Radeln zu kombinieren! Längere Distanzen, die beim Wanderer schon beim Anblick der Landkarte für Fußblasen sorgen, lassen sich kurzerhand und mit Vergnügen auf dem Rad bewältigen. Aber die wahren Hotspots, die Felsen, die Stiegen und die Höhlen wollen auf jeden Fall zu Fuß erkundet werden. Insider ahnen es mittlerweile längst: Es geht wieder einmal ins Elbsandsteingebirge! So gesehen ist meine plötzliche Zuwendung zur Wanderlust auch nicht neu. Schließlich heißt das Buch, das ich geschrieben habe, ja auch „Bike und Hike Elbsandstein“.


Diesmal ist meine liebe Frau Tina mit von der Partie. Wir genießen und erleben also zusammen. Unterwegs sind wir im weitläufigen linkselbischen Gebiet, dort wo die Wälder tiefer, die Felsen kleiner und die Touristen etwas weniger zahlreich sind. Unser streng geheimes temporäres Feldlager befindet sich im Großraum des Orts Cunnersdorf, so dass wir unsere Bike-Tour kurzerhand in diesem Dorf beginnen lassen. Eine schmale asphaltierte Straße leitet uns am Freibad vorbei in den Wald. Unsere Fahrräder rollen gut. Der feine Straßenbelag lässt fast vergessen, dass es die ganze Zeit sachte bergauf geht. Rechts von uns murmelt der Cunnersdorfer Bach sein plätscherndes Lied. Gleich hinter ihm steigt eine Bergflanke steil empor. Keine 500 Meter entfernt von hier würden sich auf dem langgezogenen Gipfel der Katzensteinfelsen und die Signalaussicht verstecken. Doch diese beiden Aussichtfelsen sind für uns Straßenbenutzer unerreichbar.

 

Nach ein paar Kilometern gesellen sich links ein paar kleinere Sandsteinfelsen an den Wegesrand. Sie kündigen den Abzweig des Taubenbachwegs an, der in Wirklichkeit ebenfalls eine kleine und feine Straße ist. Sie führt zum Taubenteich, wo es einen inzwischen recht bekannten offiziellen Biwakplatz gibt. Auch der Taubenteich ist heute nicht unser Ziel. Aber es ist schon bemerkenswert, was es in diesem Wald für ein dichtes Netz autofreier und sogar rennradtauglicher Straßen gibt. Wer hier wandert und nicht Fahrrad fährt, hat selbst schuld!

 

Wir bleiben vorerst unserer Straße und unserem Bach treu. Erst an der nächsten größeren Waldkreuzung fahren wir links und halten uns an den Fuchsbach. Die Steigung wird ein wenig strenger und die Anstrengung gibt den Vorwand für eine kleine Pause. Zeit, den Blick herumschweifen zu lassen. Was ist das für ein herrlicher Wald! Der Fuchsbach hat sich unweit des Wegs ein wildromantisches Tal gegraben. Direkt am Wegesrand verzücken die Blüten diverser Waldkräuter und kleine, leuchtend rote Walderdbeeren bitten um eine Verkostung. Alles strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Und diese Ruhe ist ganz real, denn Siedlungen oder Autostraßen sind kilometerweit entfernt.

 

Die nächsten beiden Sehenswürdigkeiten liegen erfreulicherweise direkt am Weg. Zum einen ist es eine viel fotografierte, uralte geschwungene Brücke aus groben Steinklötzen. Sie führt über den Taubenbach. (Auf den Fotos sieht man fast nie die monströse Betonbrücke gleich neben dem Kleinod.) Gerade sind zwei Frauen dabei, die kleine Brücke in die richtige Fotoperspektive zu rücken. Ihrem hoch bepackten Rucksäcken nach zu urteilen, befinden sich die Damen auf einer mehrtägigen Wandertour. Ein kurzes Schwätzchen ergibt, dass sie sich auf dem „Forststeig“ befinden, einer 100 Kilometer langen Hüttentour. Die Attraktion des Forststeigs liegt neben der freundlichen Landschaft (freundlich, aber nicht gerade spektakulär) in den von der Forstverwaltung aufgestellten Biwakhütten, die jeweils einen Tagesmarsch auseinanderliegen. Und was ist die Sehenswürdigkeit Nummer zwei? Es ist der Fuchsteich. Er ist ein richtiger kleiner romantischer Waldsee. Idyllisch spiegeln sich die Bäume im Wasser und als i-Tüpfelchen gibt es sogar eine kleine bewaldete Insel. Und hier noch ein kleines Extrawissen: Der Fuchsteich, wie auch sein Bruder, der Taubenteich, wurden künstlich angelegt. Mit dem Wasser dieser Teiche konnte das geschlagene Holz in großem Schwall die Bäche hinuntergespült werden. Gerade heute ist am Fuchsteich eine Menge los, jedenfalls für Fuchsteich-Verhältnisse. Gleich vorn lagern ein paar Menschen, die versuchen, sich von der Sonne bräunen zu lassen. Hoffentlich gibt das keinen Sonnenbrand! Weiter hinten palavert eine andere Gruppe lautstark über Brennweiten, Perspektiven und Verschlusszeiten. Wenn ich das richtig sehe, haben sie einen ganzen Handwagen (!) mit Fotoequipment dabei. „Das geht seit der Erfindung von Handys doch viel einfacher!“ denke ich bei mir und schieße mit dem Mobiltelefon schnell ein Foto von der Waldidylle. Später stellt sich heraus, dass gerade diese Aufnahme unscharf wurde. Dumm gelaufen! 

 

Die nächste Kreuzung hat den seltsamen Namen Eulentor. Gleich hier verläuft die Grenze nach Böhmen und der Děčínský Sněžník (Hoher Schneeberg), der höchste Berg weit und breit, ist nur einen Katzensprung entfernt. Das aber nur fürs Protokoll, denn dort wollen wir nicht hin. Für uns bedeutet das Eulentor, dass die Steigung endlich ein Ende hat. Jetzt können wir uns hinunter ins Bielatal stürzen. In wilder Fahrt rasen wir den Schotterweg hinab, dass die Steinchen nur so fliegen. Natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, die einzige Pfütze weit und breit spritzen zu lassen. Wie erwartet, bringt mir das die Schelte meiner Frau ein. Gegen Ende des Gefälles muss ich Tina sogar bremsen. Ich habe mir nämlich eine kleine Exkursion zu den in den Felsen entlang der Dürren Biele in den Kopf gesetzt. Ein schmaler Pfad zweigt von dem breiten Fahrweg ab. Wir schieben die Bikes ein kleines Stück in den Wald hinein und schließen sie an einem bereitstehenden Baum fest. Frei nach dem Motto: „Was Fritz Wanderer nicht weiß, macht ihn nicht heiß!“ sind die Räder vom Hauptweg aus kaum noch zu sehen. Fahrräder erhitzen aus unerfindlichen Gründen oft die Gemüter von Fußwanderern und wir wollen ja unnötigen Blutdruck vermeiden. Besonders bei der Hitze!

 

Der Pfad, den wir gerade hochstapfen, ist ein Zugangsweg zu der Reihe von Kletterfelsen, die das Tal der Dürren Biele flankieren. Der erste Felsen, der uns heute begegnet heißt Schwarzbeerturm. (Das ist falsch geschrieben und müsste eigentlich Schwarzbärturm heißen!) Wir finden das passend, denn unser Familienmaskottchen und CvA (Chef von allem) ist Tedzi, ein Schwarzbär! Der nächste Felsen hat den Namen Schiefe Nadel. Er könnte auch Monsterzahn oder krumme Nase heißen - aus der Vielfalt der Formen ergeben sich die verrücktesten Felsgestalten. Es ist überhaupt kein Problem, hier versteinerte Hexen, Zauberer oder Geister zu sehen. Oder Pokale, Horzel, Schildbürger, Stinkmorchel sowie Zwerge, Zähne und Kalifen. (Die letzten 7 sind richtige Felsennamen!) Besonders spannend finde ich, dass die Schwerkraft aufgehoben zu sein scheint. Da thronen tonnenschere Steinkörper auf verdächtig dünnen Säulen, hier neigt sich so eine Apparatur derart bedenklich, dass eigentlich alles sofort zusammenbrechen oder wenigstens umkippen müsste. Ich bin - wie eigentlich immer hier - schwer fasziniert. 

Der Pfad, auf dem wir die Felsenparade abschreiten, bleibt schmal. Mal müssen wir ein paar Steinstufen hinaufklettern, dann geht es wieder abwärts. Fast immer geht es hautnah an den Felsen entlang. So kann es auf keinen Fall langweilig werden! Erstaunlich ist, dass wir auf unserem Pfad noch keiner Menschenseele begegnet sind! Dabei sind doch fast alle Felsen, an denen wir vorbeigekommen sind, ausgewiesene Kletterfelsen, wir haben Wochenende und es herrscht ausgesprochenes Felsenkletterwetter!



Lange bleibt uns die Einsamkeit dann doch nicht erhalten. In der Nähe von Falkenwand und Gespaltenem Turm treffen wir auf das erste Klettergewimmel. Bunte Helme sowie eine Menge Seile und Karabinerhaken sind zu sehen. Vom Gipfel werden Kommandos gerufen. Wie es scheint sind wir in eine Art Kletterschule geraten. Wir halten uns am Rand, versuchen nicht im Weg zu stehen und staunen über die Kletterkünste. Nachdem uns der Weg mit dem Kletterfelsen so viel fürs Auge geboten hatte, muss er sich von dieser Anstrengung etwas ausruhen. Die Felsen werden kleiner und ziehen sich in den Wald zurück. In sanften Bögen windet sich der Fußpfad durch brusthohe Farne. Während Tina sich für eine kleine Pause entscheidet, will ich mir nur noch ganz schnell die Felsen um den Sultan, den Sheriff und den Morschen Kopf ansehen. Wie sich herausstellt, bilden diese Felsen eine kleine Gemeinde. Wie die Häuschen in einem kleinen Dorf stehen sie eng beieinander. Zwischen ihnen gibt es Wege und schmale Gassen. Und genau wie sich die Nachbarn im Dorf mit der Bauart ihrer Häuser gegenseitig übertrumpfen wollen, versuchen es hier die Felsen mit Höhe und origineller Gestalt. Aber jedes Dorf wäre langweilig ohne die Menschen. Darüber brauche ich mir hier keine Sorgen zu machen! Kein Felsen, an dem nicht mindestens ein buntes Menschlein hängen würde. Oft sind es sogar ganze Familien mit Mutter, Vater und Kindern. Auch die Allerkleinsten werden sorgfältig eingebunden und mit kleinen Sturzhelmen versehen mit auf die Felsen gezogen. Größere Kinder, die nicht mit ihren Eltern klettern wollen, toben durch die Felsengassen. Sie zwängen sich durch enge Spalten, springen über Klüfte und kraxeln auf den Felsklötzen herum, die man mit halbwegs gutem Gewissen gerade noch ohne Sicherung klettern kann. Bald gehöre auch ich zu diesen „größeren Kindern“. Ich habe großes Vergnügen, durch Felsspalten zu kriechen und mich - so behände es mit 53 Jahren und 80 kg Gewicht eben geht - auf Felsvorsprünge hinaufzuziehen. Gleich darauf entdecke ich eine Mini-Höhle, die groß genug ist, einer Kuscheltierfamilie eine bequeme Wohnung zu bieten. Das muss ich Tina zeigen! Doch wo steckt meine Frau nur? Nach einer Weile finden wir uns an eher unerwarteter Stelle. Es ist doch erstaunlich wie labyrinthhaft und unübersichtlich ein paar hundert Quadratmeter Sandstein-Felsenlandschaft sein können!

 

Mit der Begutachtung dieses Kletter-Hotspots ist unsere erste „zu-Fuß-Expedition“ auch schon zu Ende. Wir machen uns auf die Socken, um zu unseren Bikes zurück zu kommen. Um Zeit zu sparen, nutzen wir diesmal den breiten Forstweg im Tal. Hier treffen wir auch eine Menge Wanderer. Erstaunlich, was manche Leute nur für seltsame Freizeitvergnügen haben: Sie schleppen sich - womöglich stundenlang - in einiger Distanz an einem eher langweiligen Wald vorbei. Dabei werden sie jede Sekunde von der lieben Sonne beobachtet, die sie stets mit sengender Hitze bedenkt. Wie gesagt, für uns ist dieser ereignislose Kilometer auf heißem Schotter nur die kürzeste Verbindung zu unseren Velos, für andere scheint er der Höhepunkt des Tagesausflugs zu sein. Kaum sind die Räder von der Kette gelassen, rasen sie schon in wildem Tempo dem nächsten aufregenden Ziel entgegen. Scharf rechts geht es für ein kurzes Stück auf einem schmalen, unebenen Pfad weiter. Meine Frau, das Naturtalent auf dem Mountainbike, hackt mit ihren 26 Zoll Rädern lässig über die armdicken Wurzeln. Ich muss da weniger achtsam sein, denn Monstas Monsterreifen  schlucken sowieso Unebenheiten aller Art. Die Fahrt endet an einem verträumten Bach, wo schon zwei andere Fahrräder (aber nicht deren Besitzer) warten. Tina plädiert für eine Pause. Bald sitzen wir am flachen Ufer und kühlen unsere Füße im sprudelnden Wasser. Während wir uns unsere mitgebrachte Brotzeit schmecken lassen, beobachten wir zwei blaue Libellen über dem Wasser. Diese zarten und feenhaften Wesen führen einen wilden Tanz auf. Mal schwirren sie knapp über der Wasseroberfläche, dann schlagen sie wilde Haken durch die Luft oder setzen sich nur für Sekunden auf einen wippenden Grashalm. Gebannt folgen wir der faszinierenden Choreographie. Doch dann tauchen andere Libellen auf. Es sind große schwere Tiere, die mit ihrer dunkelgrünen Farbe aussehen, wie militärische Hubschrauber. Wachsam patrouillieren sie den Bachlauf entlang. Von einer Sekunde zur nächsten sind unsere blauen Feen-Libellen verschwunden. Sie erscheinen erst wieder, als die dunkelgrünen Kampfdrohnen abgezogen sind.

 

Sind wir denn nur für ein Picknick an diesen Ort gekommen? Natürlich nicht! Ein paar Stufen weiter oben wartet die Schwedenhöhle auf uns. Der Eingang ist ein unscheinbares Loch im Felsen. Auch der Raum dahinter erscheint nicht gerade überwältigend. Das Geheimnis der Schwedenhöhle ist aber, dass es weiter hinten noch einen Durchschlupf in einen weiteren, viel größeren Raum gibt. Es kostet mich einige Überredungskunst, Tina dazu zu bewegen, mir durch den Felsenschlund zu folgen. Dabei sind wir gut ausgerüstet, denn wir haben daran gedacht, eine Taschenlampe mitzubringen. (Eigentlich ist es der Fahrradscheinwerfer.) Kaum haben wir uns ein wenig in dem dunklen Verließ umgesehen, hören wir Kinderstimmen. Bald sind wir von zwei kleinen Jungs umringt, die gemeinsam mit ihrem Vater ein Höhlenabenteuer erleben. Die Aufregung ist besonders groß, als dann noch ein Schatz gefunden wird! Ganz am Ende der Höhle entdecken die Kinder eine Plastikdose. Darin finden sie einen Bleistiftstummel und ein richtiges Höhlenbuch. Der größerer der beiden, der schon schreiben kann, übernimmt den Eintrag. Natürlich schreiben auch wir uns in das Buch ein.

 

(Für Unkundige sei angemerkt: Viele dieser Höhlen im Elbsandsteingebirge sind insofern erschlossen, dass es ein kleines Wegweiserschildchen gibt. Ansonsten ist alles naturbelassen. Es gibt kein Kassenhäuschen, keine Treppen, keine Laufstege und natürlich auch kein elektrisches Licht.)  



Nach dem Höhlenbesuch tragen uns unsere treuen Eselchen das kurze Stück bis zum Imbissstand an der Ottomühle. Klar, wir können jetzt eine kleine Stärkung gut gebrauchen, aber die Einkehr ist sowieso Pflicht, denn die Ottomühle ist eine Institution. Im Grunde ist der Kiosk an der Ottomühle (um den Kiosk geht es, nicht das gleichnamige Restaurant) nur ein kleiner Verkaufsstand mit ein paar grob gezimmerten Sitzgelegenheiten drum herum. Doch das Speisenangebot würde auch einer Ausflugsgaststätte alle Ehre machen. Neben diversen Würstchen stehen deftige Hauptmahlzeiten, Suppen und sogar Forelle auf der Kreidetafel. Bier, Eis, Süßigkeiten und Souvenirs gibt es hier sowieso. Der Wirt spricht natürlich feinstes sächsisch. Routiniert knallt er die bestellten Speisen auf den Pappteller. Hier bleibt niemand hungrig! 

 

Einen Moment zögern wir dennoch, denn die Entscheidung fällt nicht leicht. Wahrscheinlich wegen der sommerlichen Temperaturen essen wir (entgegen unserer Gewohnheiten) nur eine Kleinigkeit und halten uns auch beim guten Bier zurück. Trotzdem genießen wir die Ottomühlen-Atmosphäre in vollen Zügen!   

Irgendwann realisieren wir, dass wir nicht für alle Zeit an der Ottomühle sitzen bleiben können. Jetzt ist es Zeit für mich, mein letztes Ziel wie das berühmte As aus dem Ärmel zu schütteln. In der Dramaturgie unserer kleinen Fahrradreise fehlt noch der landschaftliche Höhepunkt. Kein Problem. Wir sind schließlich im Bielatal und da gibt es ja noch die Felsengasse mit den Herkulessäulen!

 

Dazu satteln wir noch einmal unsere Fahrräder. Die asphaltierte Straße bis zur Schweizer Mühle misst nicht einmal zwei Kilometer. Auf dem Fahrrad ist das natürlich kaum der Rede wert. Doch schon diese kurze Strecke zeigt uns das ganze Dilemma des Sächsische-Schweiz-Ausflugstourismus: Der einzige Parkplatz an der Straße platzt aus allen Nähten. Das verleitet die Autofahrer, direkt am Wegesrand zu parken. Selbstverständlich verteilt das Ordnungsamt fleißig Knöllchen, was sicher in manchen Familien zu einer leicht getrübten Wochenendstimmung führen wird. Lustlos und schwerfällig trotten größere Wanderergruppen die Chaussee entlang. Wenn sie hier keinen Parkplatz ergattert hatten, werden sie wohl noch eine ganze Weile weiter trotten. Wie genial ist da das Fahrrad! Auf dem Rad ist so eine kurze Verbindungsetappe ein Klacks und ein Abstellplätzchen findet sich immer!

 

Dieses Fahrrad-Abstellplätzchen ist in diesem Fall eine Fußgängerbrücke an der Schweizer Mühle. Auf geht’s zu Fuß in den Felsenpark! Ein kleiner Anstieg ist nicht zu vermeiden. Doch diese Steigung ist kurz und die Höhe hält sich in Grenzen. Schließlich sind wir ja im Bielatal, der Puppenstube dieses kleinen Gebirges. Und dieser Bereich hinter der Schweizer Mühle ist das Puppenstubenwohnzimmer! Auf engstem Raum sind lauter kleine Schmuckstücke aufgestellt, die wir jetzt besichtigen. Es beginnt mit einer niedlichen, wildromantischen Turmruine, an der Rapunzel sicher ihre Freude gehabt hätte. Ein paar Schritte später sind wir an der Kaiser-Wilhelm-Feste. Der gemauerte Kasten gibt vor, eine Festung zu sein. In Wahrheit handelt es sich nur um eine Art begehbares Möbelstück mit romantischem Ausblick in das felsenreiche Bielatal. Natürlich fehlen auch die fantasievollen Felsen nicht. Die meisten sind Felsenkinder, die davon träumen, einmal ganz groß zu werden. Ganz allein wandern wir in diesem Landschaftsgarten nicht. Klar, es ist Sommer und dazu noch Wochenende! Überall stöbern Spaziergänger herum, so dass man sich bestimmt nie unbeobachtet fühlen kann. Aber von Gedränge kann wirklich keine Rede sein. Unser Weg schickt uns ein wenig auf und ab und entlässt uns am Eingang der Felsengasse. Dieser Pfad wurde schon vor über 100 Jahren begehbar gemacht und was uns erwartet ist eine ganz große Oper!

 

Zur Overtüre schlängeln wir uns durch ein paar Felsbrocken hindurch. Langsam steigt der Weg an und damit steigt die Dramatik. Die Ausblicke auf turmhohe Felsen werden immer spektakulärer. Zum vorläufigen Finale lädt eine hölzerne Sitzbank ein. Kaum hat man Platz genommen, fällt der Blick auf die atemberaubenden Herkulessäulen. Schwere Steinköpfe thronen auf verdächtig dünnen Hälsen. (Es sind übrigens zwei Säulen, auch wenn viele Fotos durch geschickten Anschnitt des benachbarten Felsens den Eindruck erwecken, es wären drei.) 

Wir ruhen uns einen Moment aus und beobachten die zahlreichen Kletterer. Direkt vor uns an einer der Säulen klettert routiniert ein junger Romeo im schicken Oberhemd(!). Seine Julia, die er fachmännisch sichert, ist bestimmt sehr beeindruckt. (Wie gesagt, das ist ganz große Oper hier!) Weiter rechts macht eine junge Frau im Nachstieg ihre ersten Kletterversuche. Bedächtig probiert sie Kletterzug um Kletterzug und arbeitet sich langsam nach oben. Wie ich sie beneide! Gern würde ich versuchen, ihren Kletterweg zu schaffen. Vielleicht irgendwann einmal … Mir bleibt ein bisschen Boulderei. Immer scharf an der Leichtsinnsgrenze wage ich ein wenig zu kraxeln. Dazu muss mir die kleine Kuppe gleich hinter der Aussichtsbank genügen.

 

Ein paar Meter weiter entdecken wir eine ganze Felsenstadt. Um einen Innenhof aus feinstem Zuckersand gruppieren sich ein paar Felsentürme. Und es gibt keinen Felsen, keine Kante und keinen Riss in der Umgebung, in dem nicht ein buntes Stück Mensch steckt. Zwischen den Felsen toben Kinder. Es werden Picknicks abgehalten und wartende Hunde staunen über das eigenartige Kletterhobby ihrer Herrchen. Kurz gesagt es herrscht eine fröhliche, fast volksfestartige Stimmung. Später bittet uns ein älteres Paar um ein Foto. Die Frau trägt Sandaletten und für einen Augenblick kommt die Frage auf, ob dieses Schuhwerk geeignet sei. Doch warum nicht? Wir sind doch nicht in den Alpen! Mit etwas Umsicht kommt man auch mit diesen Trittchen durch die Felsenarena. Zur Sicherheit ist dieses bewanderbare Naturschauspiel geradezu umzingelt von schützenden Häfen, wie Parkplatz, Kneipe und Bergwachtstation. Die Gralshüter der Wanderetikette wären natürlich entsetzt. Na und? 

 

Nach all den Eindrücken bleibt uns der Rückweg zu den Bikes logischerweise nicht erspart. Wir wählen einen sumpfigen Dschungelpfad mit Teich am Fuße der Felsen und vermeiden so die Straße. Den Mücken ist es zum Glück zu heiß, sie lassen uns in Ruhe.

Und jetzt zurück nach Cunnersdorf? Tina entschließt sich, lieber hier im Schwedengarten zu warten, bis ich das Auto holen würde. Dieser Schwedengarten ist ein kleiner verwilderter Park. Irgendwo soll es hier exotische nordische Gehölze geben. Viel wichtiger aber ist, dass meine Frau ein ruhiges und schattiges Plätzchen auf einer Bank gefunden hat. Ich bekomme die Gelegenheit, mit dem Rad zurückzufahren und es dabei ordentlich rocken zu lassen. Die Fahrt gestaltet sich ungezügelt, unkompliziert und rasant, weil nach knackigem Anstieg eine kilometerlange Talfahrt folgt. Da kann mir die allerletzte Steigung hinter Cunnersdorf doch gar nichts mehr anhaben!

Was lernen wir? Es lohnt sich wirklich, einmal über den Fahrrad-Tellerrand zu sehen! Wenn man sich erst einmal überwunden hat, vom Sattel zu steigen und sich auf eigenen Füßen fortzubewegen, eröffnen sich ganz neue Welten! Und das Elbsandsteingebirge ist eine Erlebniswelt. Ich kenne keinen anderen Ort, bei dem es auf geografisch so kleinem Raum so viel zu sehen gibt. Dadurch bleiben die Wege kurz und es wird nie langweilig. Deshalb sind wir uns in diesem Punkt einig: Wir kommen wieder!

 



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