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Braunschweig - Berlin, Singlespeed

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„Aber mit dem Fahrrad können Sie doch gar nicht auf der Autobahn fahren!“, sagt die alte Dame, mit der ich gerade ins Gespräch gekommen bin. Wir sitzen an diesem Samstag-Morgen plaudernd in einem Fernbus nach Braunschweig. Hinten auf dem Gepäckträger reist mein Fahrrad „Silberpfeil“ mit. Braunschweig ist kein Sehnsuchtsort von mir. Ein Mix aus Fernweh, Flixbus-Fahrplan und Wetterkarte waren die Zutaten für dieses Ziel.


Aber was hat das mit verFLIXt & Bike zu tun? Was ist das überhaupt? Eine neue Blog-Kategorie? 

 

Die Ursprünge dieses Bike&Bus-Unterfangens liegen nun schon einige Tage zurück. Im Frühsommer des vergangenen Jahres waren ja die Erkundungstouren für mein Buch „Bike & Hike Elbsandstein“ abgeschlossen und die Texte allesamt im Kasten. Wollte nun etwa Langeweile aufkommen? Nein, denn schnell war eine neue Idee geboren: Mit kleinem Gepäck und meinem rasanten Singlespeed-Rad „Silberpfeil“ würde ich den Flixbus nehmen und die Flucht aus Berlin antreten. In ein- bis zweitägigen Touren könnte ich dann zurück in die Hauptstadt radeln. Gesagt - getan. In drückender Junihitze nahm ich die Strecke Dresden - Berlin unter die Räder. Später folgten Stettin (im Juli) und Rostock (Anfang August). Dieser Blog ist zu jung, um diese alten Tourgeschichten schon zu kennen. 

 

Und jetzt also Braunschweig. Im neuen Jahr 2020 hatte ich mir einen wichtigen Termin im Kalender dick angestrichen: den 1. März! Ab diesem Tag würde der Flixbus wieder Fahrräder befördern. Höchste Zeit, dann das Unternehmen „verFLIXt & Bike“ fortzusetzen.

 

Dresden, Stettin, Rostock - auf meiner Landkarte fehlte eindeutig die Richtung West. Aber welcher Ort käme in Frage? Magdeburg? Gar nicht schlecht, aber fast noch Berliner Speckgürtel. Zwei Tage radeln dürften es schon sein. Nächster Vorschlag: Wolfsburg. Ich könnte dem Mittellandkanal und später der Havel folgen. Ein kurzer Blick ins Netz offenbart: Kein Fahrradtransport nach Wolfsburg. Dann eben Braunschweig. 

 

Braunschweig - Magdeburg

Es ist nicht so, dass ich Braunschweig nicht kenne. Es gibt hier süße verwinkelte Gassen, den Geheimtipp einer antiquarischen Buchhandlung und das prächtige Welfenschloss mit seiner Quadriga, das in Wahrheit nur eine Außenfassade für ein Shoppingzentrum ist. Übrigens, einen schönen Weihnachtsmarkt hat Braunschweig auch, nur nicht im März! Von Glanz und historischer Bausubstanz ist am Braunschweiger Hauptbahnhof jedoch wenig zu spüren. Die Innenstadt ist weit. Die in den 1950er Jahren hypermoderne Bahnhofsarchitektur wirkt heute eher abweisend und der riesige leere Bahnhofsvorplatz ist auch nicht gerade ein lauschiges Plätzchen. „Damals nannte man die riesige Weite wohl großzügig!“, kommt es mir in den Sinn.

 

Ich finde jetzt keinen Grund hier zu verweilen. Ohnehin setzt das vertraute Kribbeln der Fahrradlust ein und schnell sitze ich im Sattel und durchquere Vorstadtstraßen. Gleich danach kommen die üblichen Einfamilienhaus-Schlafdörfer der Pendler. Spannend wird es am Horizont. Dort zeichnet sich ein bewaldeter Berg ab. Es ist der Elm, der im Lexikon diplomatisch als Mittelgebirgszug bezeichnet wird, weil das Wort „Gebirge“ nun wirklich etwas anmaßend wäre. Etwas über 300 Meter sind die höchsten Gipfel hoch und ganze 15 Kilometer misst das Hügelland in seiner größten Ausdehnung. Immerhin, in Luftlinie bis zur Nord- und Ostsee oder im Osten bis weit hinter die polnische Grenze würde dann auch nichts Höheres mehr kommen. In einem Anfall von Übermut hatte ich meine Strecke quer über die Kuppen des Elm geplant. Eigentlich sollte das auch kein Problem sein, aber ich fahre eben Singlespeed. Und hatte ich nicht gerade erst in der häuslichen Werkstatt meine Übersetzung mit einem größeren Kettenblatt „verlängert“? Nun habe ich etwas Respekt vor dem Anstieg. Die Bewährungsprobe beginnt gleich hinter dem Ort Lucklum, der einmal eine Zentrale des Deutschen Ritterordens war und entsprechende allerlei historische Gebäude aufzuweisen hat. Viel schlimmer ist, dass das Kopfsteinpflaster auch noch aus der Ritterzeit zu stammen scheint. 

 



Langsam, aber stetig kriecht die Landstraße nun ein breites Tal hinauf. Links und rechts flankieren große Hügel. Sie geben sich schon ein bisschen mittelgebirgig. Schneller als gedacht erreiche ich die Teiche am Gasthaus Reitlingstal. Danach zieht die Straße noch einmal an und für finale 200 Meter muss ich dann doch noch in den Wiegetritt. Einigermaßen verblüfft stelle ich fest, dass ich am Gasthaus Tetzelstein schon den Höhepunkt des Miniaturgebirges erreicht habe. Das ging ja leichter als gedacht! Natürlich hat auch dieser Ort seine Geschichten: Zunächst war da um 1500 herum dieser Johann Tetzel. Sein Beruf war „Ablassprediger“, was bei einem gewissen Martin Luther für schlechte Laune sorgte, denn der Martin hielt den Ablasshandel für ein äußerst unehrenhaftes Geschäft. Doch auch Tetzel wurde in seinem Job nicht glücklich. Er wurde - vermutlich auf der Durchreise - hier im Wald beraubt und erschlagen. Viele hundert Jahre später wurde es lustiger. 1894, nach Fürsprache durch Forstmeister Schütz war endlich das Ausflugslokal errichtet worden. Der Forstmeister versprach sich durch das nahe Anwesen „menschliche Hilfe“ im Falle eines „Notfalls“. Dieser „Notfall“ trat daraufhin täglich gegen Sonnenuntergang ein, wenn der Förster beim Dämmerschoppen in der Kneipe versackte. Für mich ist es noch zu früh für eine Rast. Auf sehr guten Straßen widme ich mich einem munteren Auf- und Ab quer durch den Wald. Ich staune, dass hier kaum Fahrzeuge unterwegs sind. Zahlenmäßig sind die Radfahrer sogar in der Überzahl, aber das nur, weil mir vorhin ein größerer Pulk entgegenkam. Das finale rasante Gefälle nach Schöningen saugt mir die mühsam erarbeitete Wärme aus der Kleidung. Ich habe mit meiner Tourenplanung zwar den trockenen Teil Deutschlands erwischt und über den schönen Rückenwind mag ich mich nicht beklagen. Aber wirklich warm ist es heute nicht und die Sonne kämpft einen verzweifelten Kampf gegen Dunst und Wolken.

 

Schöningen ist zum Glück ein größerer Ort, der die Annehmlichkeit einer Bäckerei zu bieten hat. Da kann ich natürlich nicht widerstehen. Lange dauert der Zwischenstopp jedoch nicht. Die Straße ruft!

 

Gleich hinter dem Ort wartet noch eine zweite Überraschung: Es ist das gewaltige Loch eines Braunkohletagebaus. Den erwartet hier auf dem Breitengrad von Hannover und Berlin wohl kaum jemand. Ein passabler Weg führt direkt am Rand des Kraters entlang. Das Loch sprengt, wie bei solchen Bergwerken üblich, alle Maßstäbe und Dimensionen. Das futuristische Gebäude mitten auf einer Freifläche neben dem Tagebau wirkt wie eine Fata Morgana. Was kann das nur sein? Die spleenige Idee eines mittelständischen Unternehmensbosses scheidet als Erklärung aus, denn nirgendwo sind Produktions- oder Lagerhallen zu entdecken. Später erfahre ich, was es mit diesem Bauwerk auf sich hat. Die spektakuläre Halle heißt Paläon. Im Tagebau hatte man vor einiger Zeit acht steinzeitliche Speere gefunden. Das nahmen clevere Lokalpolitiker zum Anlass allerlei Fördermitteln anzuzapfen und den Speeren ein überdimensionales Museum und sich selbst ein protziges Denkmal zu bauen. Selbstverständlich ist die Betreibergesellschaft mittlerweile längst pleite und das unrentable Objekt an den Geldhahn des Landes Niedersachsen angeschlossen. Das Grundproblem bleibt dabei natürlich bestehen: Welche zahlenden Gäste reisen schon in das Niemandsland zwischen Magdeburg und Hannover, nur um acht alte Wurfgeschosse zu betrachten? Nichts desto trotz: Das Paläon ist ein beeindruckender Bau, der in dem großen Nichts seiner Umgebung fabelhaft zur Geltung kommt! Am Ende des Bergwerks finde ich noch ein wenig Tagebau-Folklore in Form eines musealen Schaufelradbaggers und einer leuchtend gelben Elektrolok. Ich kenne den Drang, allerlei Tagebaugeräte zur Schau zu stellen, aus den Mitteldeutschen Braunkohlegruben. Dort sind die Maschinen aber meist größer.

 

Schon im nächsten Dorf, in Hörtensleben, überquere ich die Zonengrenze. Das hätte sich vor 40 Jahren sicher wesentlich spektakulärer gestaltet. Doch gerade hier in Hörtensleben hat man die Grenzanlagen mit all ihren Zäunen, Mauern, Kontroll- und Todesstreifen sorgfältig restauriert. Die Landstraße zerschneidet heute sozusagen die Grenzlinie und dadurch zeigt sich der „antifaschistische Schutzwall“ über einige hundert Meter im anschaulichen Querschnittsbild.

 

Damit bin ich also in Sachsen-Anhalt. Landstraßenabschnitte und Orte, deren Namen man aus dem Verkehrsfunk kennt -„heute wieder Autobahnstau zwischen Irxleben und Eilsleben“- wechseln einander ab. Die Landschaft besteht aus langgezogenen Hügeln, Dörfern, Windrädern und Freileitungen. Wald gibt es hier nicht und der Schiebewind hat leichtes Spiel. Auch der Autoverkehr stresst nicht, denn der rollt lieber auf der nahen Autobahn. (Hoffentlich ohne Stau!) Hier gibt es nichts Spektakuläres, das Land wirkt entschleunigt. Und gerade jetzt komme ich gut voran! Gleich hinter Drakenstedt wechsle ich auf einen Wirtschaftsweg, der mir völlig unerwartet zwei Dörfer später eine für das schaltungslose Fahrrad „fast-nicht-zu-schaffen-Steigung“ beschert. Bei Niederdodeleben wartet ein weiteres Highlight. Ein wenig außerhalb gibt es einen Bismarckturm. Natürlich liegt der, wie bei Bismarcktürmen so üblich, auf einem kleinen Berg. Wieder wird mir eindrücklich klar, warum „normale“ Fahrräder eine Schaltung haben. Der Turm steht am Ende einer größeren, leicht hügeligen Rasenfläche, die von Hecken und Bäumen umschlossen ist. Der freie Raum verleiht dem Turm einen würdigen Rahmen und bestimmt ist diese Fläche auch ein dörflicher Volksfestplatz. Schön ist auch, dass man ohne Eintritt die Stufen hinaufsteigen und sich oben auf der Plattform den Wind um die Nase wehen lassen kann. Heute weht er ganz schön kräftig! Von hier oben lässt sich auch schon gut mein Tagesziel, Magdeburg, ausmachen.

 

Magdeburg wirkt für mich immer ein bisschen wie „durch den Wind“. Die gewaltigen Wunden des II. Weltkriegs sind nur schlecht verheilt und der im Sozialismus vollzogenen Neubau des Stadtzentrums blieb fragmentarisch. So präsentiert sich Magdeburg heute wie eine zusammengewürfelte Ausstellung sämtlicher Bauphasen und -stile, gemischt mit einem kräftigen Schuss Gewerbegebiet. Mein Hotel, obwohl zentrumsnah, wirkt dabei eher wie Gewerbegebiet. Und hier steht mir jetzt noch eine kleine Herausforderung bevor. Ich muss mein Bike mit auf das Zimmer schmuggeln, denn auf ein anständiges Schloss habe ich aus Gewichtsgründen verzichtet. Aber wie? Ich entscheide mich für die Überrumpelungstaktik. Als ich nach dem Rezeptionisten klingle, lehnt mein Silberpfeil schon wie selbstverständlich am Empfangstisch. Und genau so selbstverständlich schultere ich dann später das Sportgerät und setze mich Richtung Lift ab. Super! Keine Fragen, keine Diskussionen, keine Probleme. Magdeburg wird mir in diesem Moment immer sympathischer!



Magdeburg - Potsdam

Das Beste an so einer Hotelübernachtung ist natürlich das Frühstück. Im Pauschalpreis ist alles enthalten, was das Radlerherz begehrt. Und es ist eine gute Gelegenheit, bei einer gemütlichen Tasse Kaffee den Tourenplan für heute aufzustellen. Grob gesagt will ich der Elbe soweit nach Nordosten folgen, bis sich eine geradlinige Möglichkeit ergibt, ostwärts nach Brandenburg und schließlich nach Potsdam zu rollen. (Traditionell ist beim ersten Bahnhof des Berliner S-Bahn-Netzes Schluss. Das ist in diesem Fall Potsdam.) Wie man die Sache auch nimmt, die Strecke wird heute mindestens 130 Kilometer lang! Damit ist auch klar: Die Aussage „Magdeburg ist ja noch Berliner Speckgürtel“ gehört wohl doch in das Reich der Legenden.

 



Nachdem ich meinen Rucksack gepackt habe, bin ich auch schon auf dem Rad und fast genauso schnell habe ich Magdeburg verlassen. Ein toller asphaltierter Radweg führt ein wenig kreuz und quer durch weite Elbauen. Die stellen sich als platte Ebene dar, auf der ein wenig Buschwerk und vereinzelten Bäume den Hochwassern standgehalten haben. Bald bin ich beim Magdeburger Wasserstraßenkreuz. Das Ganze sieht nicht wie eine normale Straßenkreuzung, sondern eher wie ein Autobahnkreuz aus. Unten fließt der breite Strom der Elbe. Darüber führt eine Brücke. Auf dieser Wasserbrücke verläuft der Mittellandkanal, der weiter nach Osten Elbe-Havel-Kanal heißt. Natürlich gibt wie bei einer Autobahn auch Auf- und Abfahrten, so dass die Schiffe zum Beispiel von der Elbe auf den Mittellandkanal wechseln können. Dazu sind einige Schleusen nötig und sogar ein kleines Schiffshebewerk gibt es. Obwohl die Wasserstraßen schon am Anfang des 20. Jahrhunderts geplant und bis 1942 weitgehend realisiert wurden, fehlte das Herzstück, die Trogbrücke. Die kam erst im Jahr 2003. Und jetzt, wo das technische Wunderwerk fertiggestellt ist, kam dann noch eine überraschende Erkenntnis dazu: Es gibt kaum Schiffe, die die 2 Milliarden Euro teure Querverbindung überhaupt nutzen.  

 

Aus der Radfahrerperspektive bekomme ich von der ganzen Wasserbautechnik kaum etwas mit. Von unten sieht man der neuen Brücke nun einmal nicht an, dass sie bis zum Rand mit Wasser gefüllt ist. Dafür ist der Elberadweg beinahe schlagartig zu Ende. Das ist auch gut so, denn weiter voraus würden allerlei Kanäle den Weg versperren. So führt mich die Straße erst einmal nach Niegripp, wo ich versuche, mich wieder zum Elbdeich durchzuschlagen. Nach meiner Erfahrung kann die Fahrt auf den Deichen der großen Flüsse, wie hier der Elbe, ein wahrer Genuss sein. Die Landschaft erscheint gleichzeitig urwüchsig und endlos. Mit Ausnahme gelegentlich vorbeituckernder Lastkähne existieren in diesem Kosmos keinerlei Motorfahrzeuge. Und auch der Fluss selbst, der sich irgendwo in der Ferne verliert, strahlt eine beeindruckende Ruhe aus. Idealerweise wird dieses Naturerlebnis durch eine feine asphaltierte Fahrradspur auf dem Deich gekrönt. Und das ist der Punkt: Asphalt ist nicht garantiert. Stattdessen können es auch gegossene Spurplatten sein. Die sind eigentlich auch ganz ok. Es gibt aber auch festen Schotter (naja …), die gefürchteten Betonplatten aus Ostproduktion oder im schlimmsten Fall einfach Gras oder Baustellenschlamm. Den verschiedenen Fahrbahnqualitäten stehen allerlei Hinweistafeln und Schilder gegenüber: „Fahrradweg“, „Elberadweg“, „Umleitung“, „Fahrradfahren verboten“, „Gesperrt“. Manchmal steht da auch kein Schild, sondern ein ganz ordinärer Bauzaun.

 

Der Witz an der Sache: Von der Art der Ausschilderung oder Sperrung kann man nie auf die Art oder Qualität des Weges schließen. „Versuch und Irrtum“ ist angesagt! Es beginnt mit Irrtum und Bauzaun. Etwas abseits auf einem leicht schlammigen Feldweg komme ich immerhin zum nächsten Dorf. Hinter Bauzaun Nummer 2 folgt ein passabler Schotterabschnitt, der sich nach ein paar Metern zu Spurplatten verbessert. Später muss ich ein Stück ins Hinterland. Der Weiler Blumenthal gibt mit üblem Kopfsteinpflaster alles, um mich zu vergraulen. Doch gleich danach finde ich für 10 Kilometer die asphaltierte Traumkonfiguration. Landschafts- und Temporausch pur!

 

Auf Höhe der Ortschaft Parey wird es Zeit sich von der Elbe zu verabschieden. Der Elbe-Havel-Kanal, der sich bisher in der Nähe gehalten hatte, wendet sich hier von der Elbe endgültig ab. Er wird nun in ein paar Kilometern meine Begleitung übernehmen. Mit schon leicht knurrendem Magen schlage ich mich nach Genthin durch. Die Landstraßen dahin sind kaum befahren und gleich hinter der Stadt findet sich ein Pausenplatz am Kanal. Nach den bisher absolvierten 65 Kilometern schmeckt der gestern eilig im Supermarkt zusammengestellte Proviant hervorragend. Dazu hat sich die Sonne herausgetraut und nach einer Weile leistet mir ein älterer Herr mit Hollandrad und Basset-Hund Gesellschaft. Er erzählt von seinen Fahrradabenteuern. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, radelt er einmal jährlich mit seinen Freunden zu einem einige Kilometer entfernten Gasthaus. 

 

Die Weiterfahrt gestaltet sich wider Erwarten etwas zäher. Vielleicht liegt es daran, dass die Beine fälschlicherweise auf Feierabendmodus geschaltet haben, vielleicht ist auch der suboptimale Schotterweg schuld. Bei Kilometer 80 habe ich Wusterwitz und wenig später Kirchmöser erreicht. Jetzt bin ich schon im Dunstkreis der Stadt Brandenburg und der Havelseen. Direkt an den Ufern von Möserschem- und Breitling-See führt mich ein schöner Fahrrad- und Spazierweg entlang. Das ist vielleicht keine Strecke zum Rasen, aber dafür umso mehr zum Genießen. Zwischen den Bäumen schaut immer wieder das leuchtende Blau des Wassers hindurch. Doch zu viel Zeit für Seitenblicke sollte man während der Fahrt nicht einplanen, denn der Weg ist recht schmal und zeichnet sich durch jähe Wendungen aus. Die nächste Pause ist dann schon in Brandenburg. Genauer gesagt am Bahnhof Brandenburg, wo ein Bistro mit leckerem Softeis wirbt. Knapp 100 Kilometer sind geschafft, aber weit mehr als 30 liegen noch vor mir!

 

Ich beschließe, Umwege und Experimente zu vermeiden und auf dem Radweg entlang der Bundesstraße einfach ein paar schnelle Kilometer zu machen. Über Kopfhörer treiben mich flotte Beats voran, damit ich Potsdam zeitnah erreiche. Somit ist diese letzte Etappe auch eher Pflicht als Kür. Um offen zu sein, dieser Streckenabschnitt tut auch nichts um mich vielleicht doch noch zu verführen. Die Orte erweisen sich als Mix aus LPG-Zweckbauten, verschiedenen Einfamilienhäusern und bunten Werbetafeln. Mit jedem Kilometer, den ich dichter nach Potsdam komme, werden nun auch die Autos zahlreicher und teurer, während sich in gleichem Maße der Straßenzustand verschlechtert. Nicht selten ist auch der Fahrradweg ein buntes Potpourri aus Bordsteinen, Baustellenausfahrten und Schlaglöchern. Gut durchgeschüttelt und pünktlich mit dem Ende meiner Musik erreiche ich schließlich Potsdam.

 

Am Ende macht sich ein Gefühl von Zufriedenheit und Stolz breit. 237 Kilometer habe ich auf dem Fahrradsattel gesessen. Die Befürchtung meiner Reisebekanntschaft, dass ich die Autobahn benutzen müsste, hat sich natürlich nicht bewahrheitet. Auf den Straßen Niedersachsens, Sachen-Anhalts und Brandenburgs habe ich mir eine Menge Wind um die Nase wehen lassen und sooo viel gesehen! Wohin geht es das nächste Mal?


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