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Hauptstadtflucht

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Sonntag der 2. Februar, ein Berliner Regentag:

 

Falscher Ort, falsche Zeit und falsches Wetter. Was tun, wenn das Berg-Fahrrad trotzdem ausgeritten werden will? Dann sollte ich doch mal nachsehen, was die Großstadt-Trails hergeben! Weil es langweilig ist, wie ein begossener Pudel Runden um den eigenen Kiez zu drehen, braucht es noch ein Ziel. Ich entscheide mich für Bad Saarow. Die Entfernung erscheint angemessen und das mollig warme Wasser der ansässigen Therme lockt. (Nicht nur mich, sondern auch meine liebe Familie, die mich dort mit dem Auto abholt.)

 

Und wie sieht es nun mit den Trail-Qualitäten in Berlin und um Berlin aus?  

 



Etappe 1:

Petrus hält gerade noch dicht. Also nichts wie los: In einer Entfernung von gerade einmal 6 Kilometern von meinem Zuhause radele ich auf das ehemalige Bahngelände in Karlshorst. Sandige Wege, jede Menge Schotter (echter Bahnschotter, nicht das, was die Gravel-Freaks dafür halten) und ein paar vergessene Eisenbahnschwellen in einer steppenartigen Landschaft sind die Zutaten für dieses kleine Revier. Mächtig abgelegen ist es hier und die Großstadt pulsiert in weiter Ferne. 

 

Etappe 2:

Immer noch kein richtiger Regen. Dafür aber ein echter Singletrail auf einer Bahntrasse? Ja, den gibt es in Berlin! Der Bahndamm verläuft an der nördlichen Kante der Wuhlheide und hat nie Schienen gesehen. Das Bauprojekt wurde gestoppt, denn Deutschland hatte plötzlich andere Prioritäten als das Schienennetze um die Reichshauptstadt Germania zu optimieren. Heute verbindet der rund einen Kilometer langer Bahnbogen ein gesichtsloses Neubaugebiet an der Karlshorster Trabrennbahn mit dem S-Bahnhof Wuhlheide. Viel wichtiger: Er macht Mountainbikern, Joggern und mir mächtig Spaß! Ich probiere, Monstas (Das ist mein neues Bike!) Kletterfähigkeiten aus und lenke geradewegs den steilen Damm hinauf. Zu meiner Überraschung funktioniert es im ersten Anlauf. Wir sind schon fast ein Team!

 

Etappe 3:

Ein paar sanfte Tröpfchen fallen, doch das macht nichts, denn ich bin in den  Müggelbergen. Die sind natürlich ein Klassiker! Offenbar hat die Forstbehörde kapituliert und so zieht sich mittlerweile ein schönes Geflecht feiner Trails den Hang entlang. Dazu gibt es kilometerlange Wege direkt am Wasser der Dahme. (Für alle Ortsunkundigen: In Berlin fließen eben nicht nur Havel und Spree!) Ich nutze die Gelegenheit und tobe mich ordentlich aus. Zuerst stehen die Kanonenberge, der Schmetterlingshorst, und ein langes Stück Uferweg auf dem Programm. Nach einer Prise Strandsand an der verwaisten Badestelle (kein Badewetter heute) kämpfe ich mich auf steilen schmalen Pfaden zum Funkturm und zur Müggelseeaussicht hoch. Nach rauf kommt runter. Bald stehe ich am unteren Ende der elend langen Müggelturmtreppe, um gleich noch einmal hinaufzuzuckeln. Ein selbstgebastelt aussehendes Schild verkündet: „Willy-Weg“. Na,dann sei gegrüßt, unbekannter Willy!  Am Ende komme ich an wieder an eine sandigen Badestelle heraus. Diesmal blicke ich auf die Große Krampe. Ich mache ein Picknick, freue mich über den schönen Ausblick auf den See und diesen feinen Ausritt heute.

 

Etappe 4:

Der kurze Regenschauer scheint vorbei zu sein. Ich fahre zum kleinen Bruder des Müggelbergs. Es ist der eher gedrungene Seddinberg. Er wohnt auf einer eigenen Halbinsel, die von der Großen Krampe, der Dahme und dem Seddinsee umschlossen ist. Aber um den Möchtegern-Berg geht es hier gar nicht. Vielmehr bereise ich das Land, das ihn umgibt. Dieses Land hat eine bewegte Vergangenheit. Hier wurde früher einmal Kies abgebaut, dann veranstaltete die Polizei Schießübungen und später landeten Agrarflugzeuge. Zum Schluss vergrub man im verschwiegenen märkischen Sand die gewaltige Leninstatue, die einmal auf dem Platz der Vereinten Nationen (ex Leninplatz) stand. Schon seit den 1920er Jahren waren an den weitläufigen Uferstreifen einige belebten Zeltplätze entstanden. Sogar ein gemauertes Hafenbecken für Frachtkähne gab es. Die Schiffe holten erst den geförderten Kies ab und brachten Jahre später Trümmerschutt aus dem zerbombten Berlin. O.k., die Kaimauern gibt es immer noch und gerade heute träumt hier ein einzelnes Hausboot vor sich hin.

Doch von den vielen Aktivitäten der Vergangenheit ist sonst nichts mehr zu merken. Keine Sehenswürdigkeiten, keine Ziele. Alle Wege führen ins Nichts oder qualifizieren sich als endlose Umwege. Es gibt nur märkische Mischwald-Natur mit glitzernden Seen in der Nachbarschaft.  Auch nicht schlecht, zumal Berlins quirlige Mitte Lichtjahre weit entfernt scheint. Deshalb kommen auch nur die härtesten Spaziergänger und Gassi-Geher hier her und genau darum macht das Herumcruisen mit dem Mountainbike so viel Spaß! 

 

Etappe 5:

Nichts Neues von der Wetterfront. Der Uferweg entlang des Oder-Spree-Kanals ist etwas für Leute, die Freude daran haben lange geradeaus zu fahren und dabei ein paar Kilometer zu machen. Pluspunkte: keine Autos, rechts das Wasser des Oder-Spree-Kanals, links Kiefernwald und in der Mitte ein passabler Weg. Nachteil: „Fahren wir überhaupt noch?“ Wald, Weg und Wasser bilden für eine quälend lange Zeit ein Standbild. Naja, die alternativen Strecken wären auch nicht besser.

 

Etappe 6:

Dicke graue Wolken drohen Unheil an. Bei Hartmannsdorf kommt endlich die Gelegenheit, der Monotonie zu entfliehen. Ich will die junge wilde Spree ein Stück zu begleiten. Es scheint, als wolle das Flüsschen auf keinen Fall nach Berlin fließen. Es windet sich und bäumt sich auf und bildet damit viele Schleifen und Kreise auf der Landkarte. Dort sind auch noch ausgedehnte Wiesen und ein paar Fleckchen Wald verzeichnet. Klingt idyllisch und ist es auch. Doch zuerst fahre ich auf einem landwirtschaftlichen Weg durch plattes Land. Eine Gang neugieriger Jungbullen glotzt mich von der Weide aus an. Dann kommen schon märkische Kiefern in aufgelockerten Grüppchen. Gleich links zeigt sich die Spree, um gleich wieder im Bogen zu verschwinden. Dreihundert Meter später ist sie wieder da. Jede Menge lauschige Plätze locken, einen Schlafsack auszurollen und an einem Feuerchen einen milden Sommerabend zu verbringen. Sommerabend? Wie haben Februar und inzwischen regnet es dicke Tropfen. Ich habe wohl noch 1½ Stunden Fahrt vor mir …

 

Etappe 7:

Regenwasser von oben, tiefe Pfützen von unten. Mangels geeigneter Wege kann ich der Spree nicht mehr direkt folgen. Der Waldweg trägt den seltsamen Namen „Küchengestell“ und verläuft kilometerweit schnurgerade durch den Wald. Es ist Nutzwald, eine unendliche Plantage von Waldbäumen: sauber, ordentlich, langweilig. Bin ich bald am Ziel? 

 

Etappe 8:

Der Dauerregen hört heute nicht mehr auf. Die Rauener Berge liegen gerade vor mir. Das Wort „Berge“ könnte nach fast 80 Kilometern abschreckend sein, doch dazu gibt es in Brandenburg keinen Grund. Natürlich wird es ein Stück aufwärts gehen, aber wirkliche Berge sind hier doch völlig unbekannt. Im Grunde sind die Rauener Berge ein spannendes Revier. Ein Kohlerevier sozusagen. Von 1842 bis 1920 wurden in Rauen viele tausend Tonnen Braunkohle aus der Erde geholt. In besten Zeiten arbeiteten hier über 300 Bergleute! Eine historische Spurensuche müsste sich wirklich lohnen. Zudem gibt es einen Aussichtsturm und sogar die Reste einer Skischanze sollten im Wald zu finden sein. Doch heute ist das alles nichts mehr für mich. Trotz Regenkleidung beißt die fiese feuchte Kälte schon in die Füße. Der triefende Wald ist ganz schön, aber tiefer Genuss will sich nicht mehr so recht einstellen. Nach Berg und Tal kommt Bad Saarow in Sicht. Der regennasse Kurort döst im Sonntags-Nachmittags-Schlaf. Vereinzelt werden Kinder und Hunde ausgeführt. Ich rolle langsam aus und freue mich riesig auf einen heißen Kaffee und auf das wohlig warme Wasser der Therme …

 


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