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Elbsandsteinherbst

„Der Herbst hat noch nicht begonnen!“, versuche ich mir ganz fest einzureden. Ich habe mir ein Handtuch umgeschlungen und stehe fröstelnd an der Freiluftdusche des Zeltplatzes in Jetřichovice (Dittersbach). Es ist die einzige Dusche hier. Sterne funkeln am Nachthimmel und die Außentemperatur sinkt im Sturzflug. Der einsame Wasserhahn verheißt nichts Gutes. Nur eine Rohrleitung führt zu ihm und sein Hebel kennt nur „Auf“ oder „Zu“. Mir wird klar: Das wird „eiswürfelkalt“! Aber es muss sein. Ich fühle mich ausgepowert und meine Haut klebt salzig. Ich lege das Handtuch ab und stelle mich unter den Duschkopf. Tapfer zähle ich bis drei, dann lege ich den Hebel um. Eine Sekunde später treffen mich Wasserpfeile an Hals und Rücken …

 

Aber was mache ich eigentlich auf diesem Zeltplatz? Warum stehe ich nicht unter der heißen Dusche zu Hause? Ganz einfach: Ich hatte Sehnsucht nach den Bergen, war viel zu lange keine Mountainbike-Tour gefahren und dann hatten sich im Kalender noch zwei freie Tage gefunden. Klar, dass es mich in mein Lieblings-Elbsandsteingebirge zieht.

 

Das Ankommen in der Gebirgslandschaft ist immer ein merkwürdiges Gefühl. Irgendwie kann ich es gar nicht glauben, dass ich jetzt hier bin und zwei Tage nach Herzenslust radeln werde. Schnell, fast schon hektisch, ist das Fahrrad zusammengesetzt und der Rucksack gepackt. Bestimmt habe ich irgendetwas Wichtiges vergessen. Egal, es kann mir nicht schnell genug gehen. Ohne festen Plan beschließe ich, von Jetřichovice kommend, zuerst nach Na Tokáni (Balzhütte) hinauf zu strampeln. Die harte Steigung gefällt mir gut, ich kann mich richtig schön austoben. An der oberen Wegkreuzung schließe ich mein Fahrrad an einen Baum und wandere zu Fuß weiter. Ich will den Rudolfův kámen (Rudolfstein) erkunden und in seiner Nähe sind Fahrräder leider tabu. In einer gemütlichen Wanderung über verwunschene Waldpfade umkreise ich den Aussichtspunkt, bevor ich ihn erreiche. Sogar die Sonne lässt sich nicht lumpen und so bekomme ich neben dem Spaß der kleinen Klettereinlage noch einen herrlichen Ausblick.



Aber bin ich jetzt so ein Wanderwürstchen geworden, oder was? Keine Sorge, auch das Mountainbiken kommt nicht zu kurz! Da gibt es nämlich noch ein Ziel, das ich unbedingt sehen möchte. Es ist die Soví jeskyně, die Eulenhöhle. In der tschechischen Pfadfinder-Literatur spielt sie eine wichtige Rolle. Es gibt nämlich einen Abenteuerroman von Miloš Zapletal. Dort unternimmt ein Trupp 15-jähriger Burschen einen mehrtägigen Fußmarsch, mit dem Ziel die Eulenhöhle zu erreichen. (Leider gibt es von dem Buch keine deutsche Übersetzung.) Das Buch wird offenbar bis heute als Vorlage für Langstreckenwanderungen benutzt, denn im Internet gibt es dazu einige Erlebnisberichte. Bis zu dieser Eulenhöhle habe ich wirklich noch eine schöne Strecke vor mir. Auf den Nationalpark-Radrouten 3076, 3031 und 3032 durchquere ich fast den ganzen hinteren Teil der Böhmischen Schweiz. Ich fahre fast nach Doubice (Daubitz), schramme nur knapp am deutschen Grenzübergang bei Zadní Doubice (Hinterdaubitz) vorbei und komme schließlich in Kopec (Hemmehübel) heraus. Das ist eine schöne und endlose Strecke durch tiefen Wald. Ein paar knackige Anstiege geben die Würze, aber es geht auch immer wieder hinunter. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Dafür kreuzt in einiger Entfernung ein stattlicher Hirsch den Weg. Das Tier ist die Ruhe selbst. Langsam schreitet es in den Wald. Als ich Sekunden später die Stelle passiere ist der Hirsch vom Erdboden verschluckt. 

 

Beim Jagdschloss Šternberk, das 1993 endgültig abgerissen wurde, gönne ich meinem Bike wieder eine Ruhepause. Schnell habe ich die Eulenaussicht gefunden. Der Blick fällt hinunter in das Tal. Das ist nichts Spektakuläres, aber nach so viel Wald aus der Radlerperspektive kann man hier den Bäumen einmal auf die Köpfe gucken. Auf zur Höhle! Gleich in der nächsten Schlucht muss sie sein. Eine deutliche Pfadspur weist den Weg. Aber wo ist die Höhle? Ich schlage mich durch, bis ich ganz unten im Talgrund bin. Nichts! Auch der Pfad ist hier verschwunden. Dann wieder hoch. Die meisten Trittspuren führen zu einer winzigen, sandigen Terrasse. Dort lehnen ein paar Felsplatten so aneinander, dass sich ein kurzer Kriechgang zwischen die Steine ergibt. Aber das kann doch nicht die berühmte Eulenhöhle sein, oder doch?

 

Später finde ich im Internet einen Blogbeitrag, der aus dem letzten Kapitel von Miloš Zapletals Buch zitiert:

 

Sie fühlten sich schrecklich enttäuscht. „Ist das wirklich eine Eulenhöhle?“, Fragte Martin ungläubig. Mein Großvater nickte. „So ein Loch!“, sagte Renda verächtlich. „Und wir gehen so weit“, bemerkte Dan genervt. „Es war nur ein symbolisches Ziel einer großen Reise“, sagte mein Großvater. „Der Vater meines Vaters hatte ihn ausgewählt. Also, warum es ändern?“ Er machte eine Pause und fuhr fort: „Immerhin Eulenhöhle, das hört sich ziemlich gut an. Geheimnisvoll. Eine Eule ist ein Symbol der Weisheit. Und Höhlen regen die Fantasie an. Am Ende jeder großen Reise, die man auf sich nimmt, ohne die Hindernisse zu umgehen, ohne ihnen feige auszuweichen, wird man ein bisschen weiser, erfahrener und selbstbewusster.“

(Danke an Googles Übersetzer! Ich musste die maschinellen Formulierungen nur noch ganz wenig glattschleifen.)

 

Das ist es also. Die Eulenhöhle ist nur so eine Art pädagogischer Zeigefinger. Felsnischen wie diese gibt es ja tausendfach im Sandsteingebirge. Wahrscheinlich war der erwähnte Großvater der Chef des nahen Kinderferienlagers auf dem Schlossgelände. Da hat er die Eulenhöhle gleich strategisch günstig ausgewählt und konnte seinen Jungs Dusche und Abendessen bieten. Und ich? Bin ich jetzt enttäuscht? Nicht wirklich. Ich hatte doch jede Menge Spaß beim Radeln, Klettern und Erforschen!

 

Die offizielle Fahrradroute durch das Tal des Brtnický potok (Zeidlerbach) ist eine kleine Sensation. Der Weg ist meist nicht mehr als eine Fahrspur, und das ist gut so. Er schiebt sich in wildem Geschlängel durch einen abwechslungsreichen Wald. Ab der Touristenbrücke (Sie heißt wirklich so!) rollt es wieder asphaltiert. Ausnahmsweise ist das o.k., denn mir läuft die Zeit davon. Heute Vormittag, als ich meinen Rucksack packte, habe ich nämlich wirklich etwas vergessen: die Fahrradbeleuchtung!

 

Nun gebe ich ordentlich Gas! Die kleinen Landstraßen mit ihren engen Serpentinenkurven und knuffigen Felsenbegleitern am Fahrbahnrand kann ich sogar genießen, wenn ich nicht trödele! Im letzten Tageslicht und ein bisschen außer Atem schaffe ich es, meine Pension Kugelblitz zu erreichen (Das ist mein Auto.)

 

Ein Stellplatz auf der Campingwiese zu finden ist in der Nachsaison ja nun wirklich kein Problem. Und dann kommt die Sache mit der Dusche …

 

Wasserpfeile treffen mich an Hals und Rücken! Ich zucke zusammen. Mein ganzer Körper besteht nur noch aus Gänsehaut. Ich muss da jetzt durch! Es ist so kalt hier, dass sogar das Leitungswasser dampft! Moment mal …  Es dampft? Und kalt waren eigentlich auch nur die ersten Spritzer! Das ist ja warmes Duschwasser! Ich kann es gar nicht glauben. Aus der Dusche strömt unregulierbar mollig warmes Duschwasser! Sensationell! Der Abend ist gerettet!

 


Zweiter Tag

 

Nächster Morgen. Träge beginnt der Tag auf dem Zeltplatz. Zu meiner Überraschung hat der kleine Kiosk geöffnet. So gönne ich mir erstmal ein Rühreifrühstück. Die Saison scheint hier endgültig vorbei zu sein, auf dem Platz herrscht beinahe gähnende Leere und hier beim Frühstück ich bin der einzige Gast. Zeit beim dünnen Kaffee über meine Pläne nachzudenken. Welche Pläne?

Irgendwie ist schon klar, dass ich als erstes wieder nach Na Tokáni heraufkurbeln werde. Wieder komme ich gut ins Schwitzen, aber heute ist mir jeder Meter der Steilstrecke bestens vertraut, denn die Erinnerung ist ja keine 24 Stunden alt. Ich weiß genau, wo die Steigung anzieht und wo es leichter rollt und begrüße jeden Stein und jedes Gebüsch wie einen alten Freund. Und so blöd es klingt: Wieder genieße ich es!



Kaum oben angekommen, biege ich nach Zadní Jetřichovice (Hinterdittersbach) ab. Auf perfektem Asphalt geht es auf der Fahrrad-Nationalparkautobahn stramm bergab. In zügellosem Leichtsinn reiht sich Kurve an Kurve. Das Bike macht Tempo und schwingt fröhlich hin und her. Die Böhmerlandstraße im Anschluss gibt sich dagegen seriös: Gefälle und enge Kurven gibt es hier nicht, aber auch keine Anstiege. An der Kreuzung zum Treppengrund fasse ich den spontanen Beschluss, „Zeidlers Elysium“ zu besuchen. Das ist ein ziemlich beeindruckender, wildromantischer Riesensteinhaufen mit Felsentunnel. Damit alle wissen, dass er so heißt, ist sein Name deutlich sichtbar in einen der Klötze eingemeißelt. Auf Wanderkarten oder in einem Reiseführer wird man diesen Geheimtipp dagegen vergeblich suchen. Aber werde ich das Elysium (lateinisch „Insel der Seeligen“) überhaupt finden? Ich parke mein Fahrrad und folge einem schmalen Pfad in den Wald. Ich habe Glück, der Ort ist richtig! Aber diesen Zustand der vollkommenen Seeligkeit zu erreichen, ist gar nicht so einfach. Der Boden erscheint nachgiebig und rieselt durch verborgene Felsspalten, die er nur mühsam bedeckt. Und dann muss noch ein Felsblock erklommen werden. Irgendjemand hat ein paar Äste an den Felsen gelehnt, aber das Holz ist morsch und brüchig. Nach ein paar Versuchen habe ich es geschafft. Ich stehe mitten in dem unordentlichen Haufen gewaltiger Sandsteinbauklötze. Überall gibt es Büsche, Moose und Farne und ich komme mir vor wie in der Urwaldwildnis. Beeindruckend! 

 

(Als kleinen Service für die Nachfahrer, hier die Position von Zeidlers Elysium: 50.880410, 14.353961 )

 

Ein paar Minuten später - ja, ich hatte es wirklich geschafft, unfallfrei aus dem Elysium herauszuklettern - sitze ich wieder im Sattel. Aber die Fahrt ist kurz. Kaum bin ich über die deutsche Grenze gerollt, halte ich schon wieder. Ich will mir das Kirnitzschtal unterhalb der Rabensteine ansehen.

 

Der Weg ist einfach zu finden: Ich muss immer nur der blauen Markierung folgen. Bald schmiegt sich der Kirnitzschtalweg eng an den mäandrierenden Fluss. Das sprudelnde Wasser glänzt, weil sich inzwischen wieder einige freche Sonnenstrahlen hervorgewagt haben. Am Rand stehen stattliche Felsen, auf denen waghalsige Bäume balancieren. Diese Landschaftsinszenierung ist eine ganz große Oper und kein Vergleich zu den langweiligen Kiefernforsten um Berlin. Dort wo das Tal enger wird, verlässt der Weg den Fluss, um auf das Niveau der umliegenden Felsen zu klettern. Es ist aber nicht etwa eine schnöde Treppe, die hinaufführt. Der geneigte Besucher gelangt über Sandstein zunächst durch einen interessanten Felsentunnel, bevor ein paar Eisenstufen übernehmen. Auf dem oberen Weg können sich die Sinne erst einmal ausruhen. Die Generation unserer wandernden Großeltern wäre freilich auf dem „Kerbensteig“ direkt an der Kirnitzsch weitergewandert. Glaubt man alten Berichten, hatte man damals im Tal einen wahren Abenteuertrail inszeniert. Über mehrere Brücken und gewagte Galerien an den Felsen spazierte man durch ein wildromantisches Tal. Auf Höhe der ehemaligen Schönerlinder Brücke konnte man schnell auf die tschechische Seite wechseln, um das „Schwarze Felsentor“ zu besichtigen. Es liegt keine 50 Meter vom Flussufer entfernt. Von dort übernimmt noch heute ein Wanderweg, der übrigens auch die blaue Markierung trägt. Die Zeiten des Kerbensteigs sind indes längst Geschichte. Hochwasser haben die Brücken auf dem Gewissen, die sozialistischen Bruderstaaten fanden eine hermetisch dichte Grenze viel besser und die heutigen hauptamtlichen Naturschützer mögen keine Wanderer. Obwohl ich nicht vorhabe, irgendetwas Verbotenes zu tun, geht mir der Kerbensteig nicht aus dem Sinn. Ist das hier rechts vielleicht nicht genau jene Schlucht, die zur Schönerlinder Brücke führte?

 

Beim Hermannseck geht es noch eine Etage höher und hier ist der Wald keine große Oper mehr, sondern nur noch Kurkonzert. Ich trete den Rückweg an und werde von einer Regendusche überrascht. Als ich mich zum Schutz in die Büsche schlage, entdecke ich im Tal einen schmalen Pfad. Könnte ich nicht dort weiter, anstatt mich auf der Forststraße zu langweilen? Komoot sagt es geht. So bin ich ab sofort auf dem Rotkehlweg unterwegs. Am Beginn der Kernzone des Nationalparks darf ich nicht mehr weiter. Ich halte ich mich brav rechts und muss eine steile Böschung hinauf. Hier überhaupt einen Pfad zu erkennen, braucht schon viel guten Willen. Mehr Sorgen bereitet mir die Felsenwand oberhalb, die mir den weiteren Weg versperrt. Als ich mich schon darauf einstelle, die ganze Strecke wieder zurück zu gehen, öffnet sich vor mir eine schmale Felsspalte. Ich kann mich durchzwängen, kämpfe mich aufwärts und sehe bald aus wie ein Ferkel. Dafür komme ich genau auf meinem geplanten Wanderweg wieder heraus. Ein Hoch auf die digitalen Helferlein! Noch ein letzter Ausblick von hoch oben auf die Kirnitzsch (Rabensteinaussicht), dann noch ein paar Meter weiter und ich kann mein Fahrrad wieder in Empfang nehmen.

 

Ich habe beschlossen, in Bad Schandau ein paar Lebensmittel einzukaufen und auf dem Weg noch eine Klettereinlage mitzunehmen. Routiniert spule ich die Kilometer an der Kirnitzsch, dem Saupsdorfer Weg und der Zeughausstraße ab. (Schweigen wir davon, dass ich zunächst versehentlich in den Stimmersdorfer Weg abgebogen bin und damit einige sinnlose (und verbotene) Extra-Höhenmeter absolviert habe.)  Ich stoppe erst wieder am unteren Affensteinweg, direkt am Zugang zur Häntzschelstiege. Wann bin ich eigentlich zum letzten Mal die untere Häntzschelstiege geklettert? Das muss lange her sein! Heute nehme ich beide Teilabschnitte in Angriff! Die Häntzschelstiege ist immer ein Genuss! Sie funktioniert wie ein riesiges Klettergerüst auf einem Spielplatz. Der Unterschied liegt im traumhaften Naturerlebnis einerseits und andererseits in den echten 100 Metern Fallhöhe, wenn etwas schiefgeht. (Zur Beruhigung: 100 Meter sind es nur ganz oben.) Zu den besonderen Erlebnissen gehört hier auch immer wieder, Kletterneulingen bei der Angstbewältigung zuzusehen. Heute kraxelt mit mir eine Truppe junger Menschen in der üblichen Konstellation: Ein flaumbärtiger, „erfahrener“ Hase zeigt Sandsteinneulingen die Bergwelt. Entsprechend groß ist das Weh und Ach. Unter stetigem Karabinergeklicke staut sich die Klettergesellschaft den engen Felskanal hoch. Zum Glück war ich schneller und damit zuerst im Schacht. So habe ich Zeit, ganz oben die überragende Aussicht zu genießen. Das Wetter spielt jetzt Waschküche. Obwohl ich trocken bleibe, kann ich in der Ferne drohende Wolken, Regenschauer und Sonnenstrahlen gleichzeitig sehen. Als die Kletterfreunde endlich alle auf dem Felsplateau sind und damit die Stiege freigegeben haben, tauche ich schnell wieder in den Felsenkamin und gelange so auf schnellstem Wege zurück zu meinem Bike. Nach offizieller Lesart wird der Abstieg der Stiege nicht so gern gesehen, aber dabei geht es darum, gefährliche Begegnungen zu vermeiden. Das ist schon einmal kein Problem, denn es ist niemand sonst hier.

Zurück auf dem Sattel: Die Route unterhalb der Affensteine gehört zu meinen Lieblingsstrecken. Der Weg ist ein wenig ruppig. Er knallt mir einige heftige Anstiege vor die Reifen, die sich jedes Mal kurzfristig in flowiges Gefälle auflösen – Mountainbiken von seiner schönsten Seite! Die Reststrecke zum Supermarkt ist dann bequemes Elberadwegcruisen.

 

Eine viertel Stunde später verlasse ich mit schwerem Rucksack das Lebensmittellager. Verhungern werde ich nun nicht mehr, aber jetzt kann ich die Tatsachen auch nicht länger verdrängen: Mein Nachtquartier steht praktisch am entgegengesetzten Ende des Elbsandsteingebirges. In einer knappen Stunde wird es dunkel und ich habe - Darf man wirklich so blöd sein? - wieder meine Lichtanlage vergessen.  

Ich trete wie der Teufel in die Pedale. Die Kirnitzschtalstraße ohne Licht zu fahren ist gerade noch akzeptabel, aber die Kilometer ziehen sich in die Länge, wenn man in Zeitnot ist. Der folgende autofreie Abschnitt benötigt nicht wirklich einen Scheinwerfer. Als ich in Zadní Jetřichovice ankomme, kann man die Resthelligkeit nun wirklich nicht mehr als Tageslicht bezeichnen. Auf der ebenfalls autofreien Böhmerlandstraße wird es langsam zappenduster. Ich versuche das Tempo zu halten, auch weil ich einen nächtlichen Wald ziemlich gruselig finde. Ab Vysoká Lípa (Hohenleipa) bin ich wieder Straßenverkehrsteilnehmer und habe damit ein echtes Lichtproblem. Mein Ziel ist der Nachbarort Jetřichovice und der ist noch gut fünf Kilometer entfernt. Ich könnte schieben …

 

Weil es nur vereinzelte Fahrzeuge auf der Straße gibt, entscheide ich, lichtlos durch die Nacht zu pedalieren. Immer wenn sich ein Auto nähert, was man in der ländlichen Einsamkeit lange vorher hört, springe ich ab. Ich verziehe mich dann in den Straßengraben oder die Böschung hinauf. Wenn mich der eine oder andere Autofahrer dann in letzter Sekunde wahrgenommen hat, wird er sich seine Gedanken über diese „Touristen“, oder darüber gemacht haben, was der „Suff“ so alles anrichten kann.

Jedenfalls komme ich nach bangen Minuten glücklich am Ziel an. Ich genieße die warme Zeltplatzdusche, schlage mir den Bauch voll und lasse den erlebnisreichen Tag Revue passieren. 

 

Was ist das nur für ein herrliches Herumtreiberleben!

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